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Marc Rich: Vom Flüchtlingsjungen zum Öltycoon

17.03.2011  |  Redaktion
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Als wäre das alles nicht schon widersprüchlich genug, half Rich den Marxisten in Angola, die Ölindustrie zu entwickeln, dem sozialistischen Jamaica, die Aluminiumindustrie zu retten, den revolutionären Sandinisten in Nicaragua, an harte Währungen zu kommen, oder Fidel Castros Kuba, seine Rohstoffe zu verkaufen.

Dies zeigt Richs Geschichte eben auch: Wenn es um den Rohstoffhandel geht, zumal um das strategisch eminent wichtige Erdöl, ist vieles nicht so, wie öffentlich gesagt wird. Wenn es um nationale Interessen geht, zählen weder Moral noch politische Ideologien. Wenn es ums Geschäft geht, liegt Regierungen jeder politischen Couleur das Geld näher als die Rhetorik

Als ich ihn einmal fragte, ob man neutral bleiben könne, wenn man mit Diktatoren, Rassisten und korrupten Regimes Geschäfte treibt, meinte Rich knapp: "Ja, Business ist neutral. Sie können eine Handelsgesellschaft nicht aufgrund von Sympathien führen."

Marc Richs Geschichte kann als Verkörperung des amerikanischen Traums gelesen werden: Aus eigener Kraft schaffte er den Aufstieg vom mittellosen Flüchtlingsjungen zum Öltycoon; mit Talent und Fleiß, mit Intelligenz und Kreativität, mit Charme und Aggressivität.

Geboren wurde er im Dezember 1934 in Antwerpen als Marcell David Reich. Die Eltern waren deutschsprachige Juden. Marc Richs erste bewusste Erinnerung ist die Bombardierung Antwerpens durch die deutsche Luftwaffe im Mai 1940. Fast ohne Geld und ohne ein Wort englisch zu sprechen, flüchtete die Familie in letzter Minute und mit viel Glück auf einem Frachtschiff vor dem Holocaust nach Marokko und schließlich in die USA. Marc Rich sollte für immer die Mentalität eines Überlebenden und eines Flüchtlings behalten. Auch darin wurzelt seine Entschlossenheit, Erfolg zu haben.

In New York stieg Rich nach einem kurzen Abstecher an die Universität als 19jähriger in den Handel ein. Bei Philipp Brothers, dem damals weltgrößten Rohstoffhändler, der von einer Gruppe von deutsch-jüdischen Immigranten um Ludwig Jesselson geführt wurde, lernte Rich das Geschäft von der Pike auf und machte sich schnell einen Namen.

Zur Branchenlegende wurde Rich, weil er die Industrie revolutionierte: Man übertreibt nicht, wenn man sagt, dass Marc Rich + Co den Spothandel erfand, ohne den der heutige Handel mit Erdöl nicht denkbar wäre. Die Zuger Firma zerschlug fast im Alleingang das Kartell der sieben führenden Ölkonzerne (wie etwa BP, Shell oder Texaco). Dieses Kartell kontrollierte den Markt von der Förderquelle bis zur Zapfsäule und basierte auf sehr langfristigen Verträgen zu fixen Preisen.

Dank Marc Rich wurde Rohöl ab Mitte der siebziger Jahre freier, effizienter und zu transparenteren Preisen gehandelt als je zuvor. Und: Dank unabhängigen Händlern wie Rich konnten die Rohstoff reichen Länder die Dominanz der Konzerne brechen und künftig besser von ihren Bodenschätzen profitieren.

Auf dem Höhepunkt seiner Macht kam der Fall: Zum Verhängnis wurden Marc Rich im Kern zwei Geschäfte: Er handelte nach der Revolution im Iran 1979 trotz US-Embargos mit iranischem Erdöl, während Amerikaner in der US-Botschaft in Teheran als Geiseln gehalten wurden. Und er versuchte, mit komplizierten Geschäften von den Ölpreiskontrollen zu profitieren, die damals in den USA galten. Für Staatsanwalt Ru-dy Giuliani, den späteren New Yorker Bürgermeister, war beides illegal. Er bezeich-nete Rich als "größten Steuerbetrüger in der Geschichte der USA" und klagte ihn 1983 des "Handels mit dem Feind" Iran an.

Rich, der bis heute seine Unschuld beteuert, setzte sich noch vor der Anklage in die Schweiz ab und kehrte nie wieder in die USA zurück. Ob die Geschäfte der Schweizer Firma rechtmäßig oder illegal waren, wurde darum nie von einem Gericht geklärt.

Staatsanwalt Giuliani ließ den Fall Rich, auf dem er seine politische Karriere aufbaute, bewusst eskalieren. Er ließ Rich auf die FBI-Liste der meist gesuchten Verbrecher setzen und ihn von US-Polizisten auf der ganzen Welt jagen. Amerikanische Undercover-Agenten versuchten sogar einmal, Rich illegal aus der Schweiz zu entführen - und flogen peinlicherweise auf.

17 Jahre lang versuchte das mächtigste Land der Welt vergeblich, Marc Rich habhaft zu werden. 2001 wurde er schließlich von Präsident Bill Clinton an dessen letztem Tag im Amt begnadigt. Der Grund: Israelische Politiker wie Präsident Shimon Peres und Verteidigungsminister Ehud Barak hatten sich persönlich bei Clinton für Rich eingesetzt. So dankten sie es dem "King of Oil", dass er Israel in schwierigsten Zeiten mit Öl versorgt, heimlich Mossad-Operationen finanziert hatte und sich als großzügi-ger Philanthrop gezeigt hatte.

Bis heute hat es kein Konkurrent geschafft, bedeutender zu werden. Die Marc Rich + Co heißt mittlerweile Glencore und ist eines der größten Unternehmen der Welt in Privatbesitz. Rich hat seine Firma 1994 dem Management unter der Leitung des Deutschen Willy Strothotte verkauft, das mit ihr wohl noch in diesem Frühling an die Börse gehen wird. Es dürfte eines der größten IPOs des Jahrzehnts werden: Die Investment-Bank Liberum Capital schätzte den Wert von Glencore jüngst auf 60 Milliarden Dollar (über 40 Milliarden Euro).


© Daniel Ammann

Das Buch von Daniel Ammann "King og Oil", Marc Rich - Vom mächtigsten Rohstoffhändler der Welt zum Gejagten der USA, ist im Orell Füssli Verlag (Zürich) erschienen und kann über jede gut sortierte Buchhandlung oder über unseren Buchshop bezogen werden.






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