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Detlev Schlichter: Monetäre Grundprinzipien und inflationäre Depression (Teil 2/2)

10.12.2012  |  Presse
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Daily Bell: Was halten Sie von einem privaten Gold/Silber-Standard? Wäre das nicht ein natürlicher Ausfall?

Detlev Schlichter:“Privat” hört sich für mich immer gut an. Ich möchte, dass der Markt, d.h. eine handeltreibende Öffentlichkeit, entscheidet, was Geld ist. Gold und Silber wären meine Hauptkandidaten, aber wer weiß? Tatsächlich fasziniert mich auch das Bitcoin-Experiment. Einige Aspekte sind sehr spannend. Man könnte es als kryptographisches Gut bezeichnen, dass keinen zentralen Emittenten hat und keinen fixierten Rechtbereich - und im Grunde ein unelastisches Angebot. Faszinierend.


Daily Bell: Geben Sie uns einen Eindruck davon, wo Sie sich hinsichtlich Selgin und White verorten. Es gab große Auseinandersetzungen zwischen ihnen und Murray Rothbard über das freie Bankenwesen.

Detlev Schlichter: Ich kenne mich mehr mit Rothbards Arbeit aus und weniger mit der Selgins und Whites, ich muss also vorsichtig sein. Das ist ein schwere Frage, weil ich Gefahr laufe, alle Beteiligten dieser Debatte zu verletzen. Ich will aber so viel sagen - und das ist mein persönlicher Eindruck:

Rothbard hat mit seiner Aussage Recht, dass das partielle Reservesystem unnötig ist und immer Störungen verursacht. Falsch war allerdings, dass er es als Betrug bezeichnete, er hatte somit auch mit seiner Annahme Unrecht, dass es dieses System in einer Privatrechtsgesellschaft - ohne Staat und unter strenger Einhaltung der Prinzipien des Privateigentums - nicht geben könne. Ich vermute, als Privateigentum-Anarchist sollte es so etwas in seiner anarcho-kapitalistischen Welt nicht geben.

Selgin und White stellen richtig fest, dass das partielle Reservesystem nicht betrügerisch ist (oder dass es nicht zwangsläufig betrügerisch sein muss) und es spontan am Markt entstand. Sie liegen falsch mit ihrer Annahme, dass es (aus diesem Grund?) keine Störungen verursacht und sogar bei der Befriedigung des "Geldbedarfs“ helfen kann. Wie Geldbedarf befriedigt wird, habe ich ja schon zuvor erklärt. Das Geschäftsfeld der Banken ist nicht einmal die Befriedigung des Geldbedarfs, sondern die Befriedigung des Kreditbedarfs, und als partielle Reservesysteme können sie sogar diesen Kreditbedarf stimulieren. Das Geld, oder die fiduziarischen Medien, das sie im Verlauf dessen schöpfen, sind ein Nebenprodukt ihres Kreditgeschäfts. Der Faktor, der ihre partiellen Reserve-Aktivitäten hemmt, ist nicht die öffentliche Geldnachfrage oder ihr Fehlen, sondern das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Solvenz der Bank.

Wie ich schon sagte, befürworte ich die Freiheit des Bankenwesens nicht, weil ich der Meinung bin, dass so etwas wie das partielle Reservesystem nicht entstehen könnte oder dass dieses quasi unschädlich wäre. Ich bin einfach der Auffassung, dass die Probleme in einem staatsfreien Geldsystem, in dessen Zentrum hartes Marktgeld steht, geringfügig wären.


Daily Bell: Wie ist Ihr Standpunkt hinsichtlich des freien Bankwesens ganz allgemein? Was denken Sie über das sogenannte "wildcat banking“ in den USA vor dem Bürgerkrieg? War es tatsächlich so schrecklich?

Detlev Schlichter: Ich bin insgesamt für ein freies Bankenwesen. Ich bin aber kein Experte für diese Zeit und würde daher lieber nicht kommentieren. Geschichte kann so hilfreich sein. Die Diskussionen über Geld und Banken müssen sich letztendlich an echter Wirtschaftstheorie orientieren - und am gesunden Menschenverstand.


Daily Bell: Werden Metallstandards zu ruinöser Deflation führen?

Detlev Schlichter: Das ist eines der weiterverbreiteten Missverständnisse hinsichtlich des "harten“ Geldes. Nein. Diese Annahme wird weder durch theoretische Grundlagen noch durch historische Beispiele gestützt. Interessanterweise wurde, so viel ich weiß, noch nie ein Papiergeldsystem eingeführt, weil die Öffentlichkeit die Nase voll von der "ruinösen Deflation“ vorhergehender Metallstandards hatte.

Eine theoretische Analyse würde den Schluss nahelegen, dass es wahrscheinlich, über lange Zeit betrachtet, zu einer moderaten Deflation kommen kann, die in den historischen Aufzeichnungen kaum auszumachen ist. Die Preise würden, über längere Zeit betrachtet, eine leicht sinkende Tendenz aufweisen, die aber noch nie ein Problem war. Die Vorstellung ist Unsinn, dass jemand, der sinkende Preise erwartet, nicht heute kauft, sondern warten würde, bis die Preise morgen niedriger sind - und nach dieser Logik dann morgen wiederum auf übermorgen warten würde. Diese Person würde in einem deflationären Umfeld wahrscheinlich nie irgendetwas kaufen. Diese Vorstellung blendet das Konzept der Zeitpräferenz komplett aus, bei dem es sich nicht um ein Element der Psychologie handelt, sondern um einen notwendigen Bestandteil jeder Form menschlichen Handelns. Etwas zu wollen, bedeutet (unter gleichbleibenden Bedingungen), etwas lieber früher als später zu wollen.


Daily Bell: Wie viel staatliche Präsenz muss es in einer monetären Wirtschaft geben? Ein wenig? Gar keine? Und wenn ja, in welcher Form?

Detlev Schlichter: Überhaupt keine. Wie auch in allen anderen Lebensbereichen müssen natürlich Verträge eingehalten und Privateigentum geschützt werden. In unserer Gesellschaft sollte das die Schlüsselfunktion des Staates sein. Darüber hinaus sehe ich keine spezielle Funktion für den Staat. Ich würde tatsächlich eine komplette Trennung von Geld und Staat vorschlagen. Es gäbe mit Sicherheit keinen Platz für Dinge wie "Geldpolitik". Eine solche Politik kann nur kontraproduktiv sein.


Daily Bell: Sind Banken notwendig?

Detlev Schlichter: Lassen wir den Markt entscheiden. Es braucht sicherlich eine Art finanzieller Vermittlung - das heißt einen Transfer von Ersparnissen zu Investitionen. Institutionen wie Banken können dabei eine Rolle spielen. Ich sehe aber keine Notwendigkeit für ein partielles Reservesystem der Banken, ich sehe aber auch keinen Grund, dieses zu verbieten.



Daily Bell: Wo fing Geld an? Im Tempel oder wurde es privat in Umlauf gebracht?

Detlev Schlichter: Macht das einen Unterschied? Wissen Sie, der Gedanke, dass wir jetzt Anthropologen oder diesen oder jenen Geldgeschichtler fragen müssten, was Geld sei und was mit unserem Geldsystem falsch läuft, ist einfach absurd. Wir alle benutzen Geld jeden Tag. Wir wissen, warum wir Geld nutzen und wir wissen, was es uns nützt. Und auch wenn die Wirtschaftswissenschaft eine junge Forschungsdisziplin sein mag, so gibt es sie doch immerhin schon seit 300 Jahren, und einige sehr intelligente Menschen haben in dieser Disziplin schon sehr gute Arbeiten hervorgebracht.

Geschichte kann uns in dieser Hinsicht helfen. Ohne gute theoretische Grundlagen können wird Geschichte nicht einmal verstehen oder interpretieren. Diese ganze Aufregung um den Anthropologen David Graeber und die Annahme, er hätte Adam Smith entthront und somit angeblich auch die gesamte moderne Geldtheorie, ist Unsinn und zudem ein Beispiel dafür, wie man historische Tatsachen ohne angemessene theoretische Grundlagen fehlinterpretieren kann. Ich mag vielleicht kein Anthropologe sein, doch David Graeber ist mit Sicherheit kein Ökonom.

Fangen wir also wieder mit weniger strittigen Aussagen an. Handel kann auf zwei verschiedene Weisen betrieben werden: Direkter Tausch oder indirekter Tausch. Beim direkten Tauschgeschäft werden Güter oder Dienstleistungen gegen andere Güter oder Dienstleistungen eingetauscht. Beim indirekten Tauschhandel tauscht man Güter oder Dienstleistungen gegen ein Tauschmittel ein (Geld - das fungibelste Gut), dieses Tauschmittel wird dann wieder gegen Güter und Dienstleistungen eingetauscht. Es ist selbsterklärend, dass sich in einem indirekten Tauschsystem potentiell ein viel breiteres Netz aus Handelsbeziehungen knüpfen lässt, und dass unsere moderne Wirtschaft, die ganz endscheidend von Arbeitsteilung abhängig ist, ohne Geld unvorstellbar wäre.

Ich bin sicher, dass man meinen Gedankengängen bis hierhin folgen kann, auch ohne bei den Stämmen in Papua-Neuguinea gewesen zu sein oder das Steinscheiben-Geldsystem des Alten Spartas studiert zu haben. Warum kann man das sofort verstehen? Ganz einfach! Weil man selbst Teil dieser modernen Geldwirtschaft ist. Denn man ist ja selbst ein Geldnutzer. Man weiß, warum man Geld nutzt und warum es von Wert ist. Das ist ein besserer Ausgangspunkt für jede Form von Geldtheorie, als das Aufspüren von Indizien, warum irgendjemand angeblich vor 2000 Jahren irgendetwas als Geld benutzt hat.

Einige der neue Anthropologen und “Historiker” behaupten nun, dass es in den frühen Tagen der Zivilisation keinen oder nur ganz wenig Tauschhandel gegeben hätte; stattdessen hätte man aus dem Stehgreif ein ausgeklügeltes Kreditsystem benutzt. Sie helfen mir also, eine Hütte zu bauen und ich bezahle Sie dafür in einigen Monaten mit Weizen, wenn die Ernte eingefahren wird. Na was? Auch das ist Tausch. Es ist ein direkter Tauschhandel. Zwischen beiden Komponenten der Transaktion liegt eben nur eine Zeitspanne. Wenn Sie den Weizen später entgegennehmen und ihn verbrauchen, dann hat eine direkte Tauschtransaktion stattgefunden. Wenn Sie den Weizen aber entgegennehmen, um diesen gegen etwas anderes, das sie wirklich brauchen, einzutauschen, dann handelt es sich um ein indirektes Tauschgeschäft, und potentiell um den Beginn einer Geldwirtschaft - was davon anhängt, ob sich Weizen als Tauschmittel in ihrer Gemeinde durchsetzt. Hätten wir uns auf eine Weizenmenge geeinigt, aber zum Lieferzeitpunkt würden Sie nun lieber das Milch-Äquivalent zur Weizenmenge, dann ist auch das ein direkter Tauschhandel. Hausbau kann gegen Milch oder Weizen funktionieren.

Zweifellos hat der indirekte Tauschhandel gegenüber dem direkten seine Vorteile, und das versteht jeder, der schon einmal Geld benutzt hat. Wahrhaft erstaunlich ist die Behauptung einiger Anthropologen und Historiker, dass die Menschen, die vor tausenden Jahren Handel trieben, angeblich nicht die Vorteile von Geld verstanden, und dass die Erfindung des Geldes - und somit der Beginn des indirekten Tauschhandels - die Existenz des Staates oder der Hohepriester in den Tempeln voraussetzte. Aber auch wenn das tatsächlich wahr sein sollte, dann ändert das nichts an folgender Tatsache: Sobald Geld zu zirkulieren begann, profitierte die Handel treibenden Öffentlichkeit, da sie deutlich weiter reichende und somit auch wohlstandsfördernde Handelsbeziehungen knüpfen konnte. Auch wenn der Staat das Geld erfand, so kamen die Vorteile des Geldes direkt jedem Geldnutzer zu - und das bis auf den heutigen Tag. Das erklärt auch, warum die Öffentlichkeit sofort wieder andere Sachwerte (Schmuck, Zigaretten, Gold- oder Silbermünzen) als Tauschmittel einsetzt, wenn ein Staat zusammenbricht oder das Staatsgeld vernichtet wird (Hyperinflation).

Ganz abwegig wird es dann, wenn behauptet wird, der Staat sollte die Kontrolle über das Geld haben, weil angeblich die Hohepriester in den Tempeln - also die Vorgänger des modernen Staates - das Geld erfunden hätten. Denn das läge in der Natur des Geldes. Es tut mir leid, aber das ist wirklich lächerlich. Das grenzt schon an Mystizismus. Unser Verständnis von Geld und Bankenwesen setzt Vernunft, Analyse und echte Wirtschaftstheorie voraus. Geld ist eine soziale Konvention und ein ökonomisches Werkzeug. Und wie mit allen Werkzeugen verstehen wir es durch Benutzung.


Daily Bell: Was wird mit dem Euro passieren? Wir der Yuan die Führungsrolle übernehmen?

Detlev Schlichter: Da wir uns dem Ende des derzeitigen, des jüngsten und mit Abstand ambitioniertesten Experiments mit ungezügeltem Fiat-Geld, das die Menschheit jemals unternommen hat, nähern, bleibt nur zwei Alternativen: Entweder hören wir auf, Geld zu drucken und kehren zu einer Form des harten Geldes zurück, die die ungehemmte Bildung echter Marktpreise und die Auflösung der angestauten Ungleichgewichte zulässt - oder wir bekämpfen diese notwendige und letztlich unausweichliche „Reinigung" durch ständig erhöhte Fiat-Geldproduktion. Aktuell scheint die Politik für die letztere Option entschieden zu haben. Und so wie es aktuell aussieht, betrifft das die politischen Entscheidungsträger in den USA, in der Eurozone, in Großbritannien, in Japan und in China. Ich erwarte daher eine massive globale Währungskrise, ein hyperinflationäres Endspiel.


Daily Bell: Bewegt sich die Welt auf eine allgemeine Depression zu?

Detlev Schlichter: Das derzeitige "Durchwursteln" wird solange anhalten, bis der Punkt erreicht ist, an dem die Öffentlichkeit das Vertrauen verliert. Wenn dann die Anleiheverkäufe einsetzen und die Geldguthaben aufgelöst werden, dann ist das Spiel vorbei. Das Endspiel ist dann eine inflationäre Depression.


Daily Bell: Ist das Geld-Problem das entscheidendste?

Detlev Schlichter: Die wichtigste Problem ist die fortlaufende Aushöhlung unserer individuellen Freiheitsrechte. Aber Freiheit und Geld sind eng miteinander verbunden. Eine freie Wirtschaft und eine freie Gesellschaft sind unvereinbar mit staatlich kontrolliertem Geld. Wenn sich die Krise zuspitzt, wird es, so fürchte ich, immer aggressivere staatliche Interventionen in der Wirtschaft und allen Lebensbereichen geben. Meine Einschätzung der Zukunft der Freiheitsrechte ist keine gute. Leider.


Daily Bell: Danke, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben.


© Anthony Wile
www.thedailybell.com

Dieser Artikel wurde am 04.11.2012 auf www.thedailybell.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.



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