Die Tulpen-Spekulation: An der Wiege des Kapitalismus
29.12.2012 | Presse
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An der Tulpenspekulation waren rund 300 Personen involviert, wobei die meisten Beteiligten namentlich nachweisbar und untereinander stark vernetzt waren. Viele davon gehörten der Sekte der sogenannten Wiedertäufer an. Daher würde man in unserer Zeit die Tulpenspekulation als klassisches Insider-Geschäft bezeichnen. Bei einer derartig geringen Personenanzahl, noch dazu ausschließlich aus dem Mittelstand, muß ein Ökonom schon viel Phantasie aufbringen, um hier eine erhöhte Geldmenge, die sicher andere wirtschaftliche Probleme verursacht hat, als Ursache der Spekulation zu erkennen.9Vielleicht wurden diese Preissteigerungen im Laufe der Tulpenspekulation sogar inszeniert, um am Ende der Preisrally ein paar "Investoren-Schafe", wie etwa einen finanzstarken Mühlenbesitzer, einen Brauereibesitzer und einen vernetzten Politiker zu finden, die die Tulpenzwiebeln für überzogenen Preise in Papierform kauften. Auch heute erwerben viele Investoren statt physischem Silber oder Gold nur das "praktische" Papiergold, dessen Kurssteigerungen in den Medien just immer kurz vor einer vorläufigen Korrektur erwähnt werden.
Wenn man etwas verkaufen kann ohne es vorher überhaupt zu besitzen, wie es bei Leerverkäufen heute wie damals üblich ist, kann man natürlich auch die halbe Jahresproduktion der Welt von Silber verkaufen. Und wenn man wenige optimistische oder wagemutige Gegenspieler hat, kann auch ein Preissturz hervorgerufen werden.
Heute wundert man sich vor allem, wie eine so banale Ware, wie Tulpenzwiebeln, derartige Preissteigerungen auslösen kann.
Damals aber waren Tulpen für die holländische Gesellschaft ein seltenes, schwer zu züchtendes Luxusgut, und die Preissteigerungen wurden vor allem durch die Phantasie vom baldigen Ende des in Mitteleuropa tobenden 30-jährigen Krieges angeheizt. Man erwartete, daß in absehbarer Zeit der deutsche Adel in Massen Tulpen züchten würde. Wie wir heute wissen war dies eine eklatante Fehleinschätzung, denn erst 1648 beendete der Westfälische Friede diese unheilvolle, bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzung.
Doch wo findet man nun die tatsächliche Ursache für ein derartiges Spekulationsfieber? Hat sie vielleicht nicht nur rein ökonomische Wurzeln, sondern vielmehr zu tun mit der Sehnsucht nach Veränderung, mit dem Wunsch, die ewig gültigen Ordnung zu überwinden? Liegt ihr ein fanatischer oder gar schöpferischer Zerstörungswille zugrunde, der Reichtümer auf Kosten anderer anhäufen will?
Ist nicht der wahre Treibstoff für die Kursfeuerwerke an den Börsen erst das Verkünden einer blühenden Utopien, eines baldig kommenden Paradieses auf Erden, die Entdeckung eines neuen "Atlantis"10, die Forderung nach "Reichtum für alle" oder nach ein wenig wagen Idealen, wie Freiheit, Humanität und Toleranz11 für alle und jeden, die ungezügelte Gier nach materiellen Gütern, das Eingehen immer neuer Verbindlichkeiten, die wiederum nach neuen Investitionsmöglichkeiten suchen müssen, die Schaffung einer neuen Ordnung aus dem Chaos oder wie immer man es bezeichnen möchte?
Ein Zitat von Alfred Müller-Armack, einem der Begründer der sozialen Marktwirtschaft,12 ist in diesem Zusammenhang äußerst aufschlußreich. Es spricht die religiösen Aspekte und die philosophischen Wurzeln der Tulpen-Spekulation an, die in der ökonomischen Betrachtung gerne weggelassen werden:
"Die große Tulpenspekulation, die 1637/38 ihr klägliches Ende fand, wird meist viel zu oberflächlich nach ihrer spielerischen Außenseite beurteilt. Ihr tieferer Sinn liegt darin, daß damals ganze Schichten eines Volkes die vorhandenen Pflanzen- und Tierspezies nicht mehr für festgelegte göttliche Schöpfungsgedanken halten, sondern mit der Freude an der Veränderung und dem Eingriff des Menschen in die Natur spielen. Der Einbruch der vom Calvinismus vorbereiteten naturwissenschaftlichen Philosophie, insbesondere des Cartesianismus steht dahinter. Die Bedeutendsten der Tulpenzüchter waren Cartesianer. So der Reform-Merkantilist Peter de la Court, der Begründer der Harlemer Tulpenzucht. 1637, im Jahr der Tulpenkrise, erscheint in Leyden Descartes: Discours de la méthode. Die Freude über neue Tulpensorten ist nicht nur ästhetische Freude, sondern Begeisterung an der Macht des Menschen über die Natur, vergleichbar jener heutigen Massenbegeisterung bei jeder Schnelligkeitssteigerung unserer Rennwagen und Flugzeuge. Nur auf durchcalvinisierten Boden waren damals solche Erscheinungen möglich."13
Die Reihe wird am 18. Dezember 2012 mit dem Vortrag zum Thema “Der Minsky Moment” fortgesetzt. Beginn ist um 20.00 Uhr c.t..
Fußnoten:
1 s.a. Definition lt. http://de.wikipedia.org/wiki/Tiefer_Staat für jedes politische Spektrum, auch im Film dargestellt http://www.feature-film.org/12001/ermittlungen-gegen-einen-uber-jeden-verdacht-erhabenen-burger/ oder http://www.feature-film.org/5556/z-anatomie-eines-politischen-mordes/
2 The Battle for the Bible - http://www.youtube.com/watch?v=RubxnoTeL_M&feature=related
3 Verkauf von Ware zu einem fixierten Preis, die Warenübergabe erfolgt allerdings erst an einem festgelegten Zeitpunkt in der Zukunft
Abb.1: Quelle: Tulip price index from 1636-1637. The values of this index were compiled by Earl A. Thompson in Thompson, Earl (2007), “The tulipmania: Fact or artifact?”
4 http://www.businessweek.com/2000/00_17/b3678084.htm
5 http://oe1.orf.at/programm/320062
6 http://www.thetulipomania.com/ Charles McKay-Tulipmania, 1841
7 http://www.businessweek.com/2000/00_17/b3678084.htm Review on Tulipomania by Mike Dash
8 Review: Tulipmania by Anne Goldgar http://www.history.ac.uk/reviews/review/666
9 http://mises.org/daily/2564
10 http://en.wikipedia.org/wiki/New_Atlantis
11 http://www.youtube.com/watch?v=vCML-0NN-ro Gehard Polt erläutert verschiedene Auslegungen von Toleranz
12 http://de.wikipedia.org/wiki/Soziale_Marktwirtschaft
13 Müller-Armack: Das Jahrhundert ohne Gott. Zur Kultursoziologie unserer Zeit, Münster 1948; S.116
Quellennachweis - Abbildungen:
Abbildung 1: Tulip price index from 1636-1637. The values of this index were compiled by Earl A. Thompson in Thompson, Earl (2007), “The tulipmania: Fact or artifact?”
© Johannes Hühnler
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