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"Absoluter Blödsinn"

29.04.2004  |  Dr. Kurt Richebächer
Interview mit Dr. Kurt Richebächer, ehemaliger Generalbevollmächtigter und Chefvolkswirt der Dresdner Bank und heutiger Herausgeber von "The Richebächer Letter". Der frühere FED-Chef Paul Volcker sagte einmal über ihn: "Manchmal denke ich, die Aufgabe der Notenbanker besteht darin, zu beweisen, daß Kurt Richebächer irrt." - Gelungen ist es ihnen bis heute nicht.


Smart Investor: Herr Dr. Richebächer, wie beurteilen Sie die hedonische Methode der Qualitätsbereinigung in Preis- und Wachstumsstatistiken?

Richebächer: Während die tatsächlichen Computerverkäufe von 1997 bis 2000 lediglich von 79,6 Mrd. auf 109,3 Mrd. US$ zulegten, stiegen sie nach hedonischer Bereinigung von 102 Mrd. auf mehr als 290 Mrd. US$. Es macht schon Sinn, die Inflationsrate vom nominalen Wachstum abzuziehen, aber überhaupt keinen Sinn macht es, auf diese Weise Phantomwachstum zu erzeugen. Das ist absoluter Blödsinn. Ökonomisch ist allein entscheidend, was kostet es und was bringt es an Geld.


Smart Investor: Über die Jahre öffnet sich die Schere zudem sichtbar...

Richebächer: Die USA haben es mittlerweile ja eingesehen, und anläßlich der letzten Benchmark Revision wurde das Bureau of Economic Analysis angewiesen, den Ausweis hedonischer Wachstumsraten bei den Computern zu unterbrechen - die Zeitreihe ist nicht mehr vorhanden. Zusätzlich tragen die Tabellen der BIP-Statistik inzwischen einen Hinweis, der ausdrücklich davor warnt, aus den Kettenindices (Chained Dollars) etwa im Bereich der Computer den Beitrag zum BIP ableiten zu wollen.


Smart Investor: Sind Sie generell gegen eine Qualitätsbereinigung bei technischen Produkten?

Richebächer: Sehen Sie, selbst beim Auto bin ich ja gezwungen, die heutige Qualität zu kaufen, eine Verbesserung, die mir aber nichts bringt, denn ich kann die vielen PS ja gar nicht ausfahren. Der statistische Großangriff auf die Inflationsrate hat in den USA 1995 begonnen. Dahinter steckt Greenspan, der eine massive Reduktion der Inflation forderte und die niedrige Inflationsrate zur Schlüsselgröße seiner Geldpolitik machte.


Smart Investor: Wie sah dieser statistische Großangriff aus?

Richebächer: Das ist ja nicht nur die Hedonik, die heute bei 20% aller Produkte wirksam wird. Zusätzlich werden saisonale und qualitative Bereinigungen vorgenommen, aber auch die Substitution wirkt preisdämpfend: Güter mit ungewöhnlichen Preissteigerungen werden einfach aus der Statistik genommen. Zudem werden Lebensnotwendigkeiten wie Gesundheitsfürsorge und Nahrung künstlich nach unten gerechnet. Der Konsumentenpreisindex wird als Folge deutlich zu niedrig ausgewiesen, er legt sicher über 2 % zu, wahrscheinlich sogar eher 3 %.


Smart Investor: Mit entsprechenden Auswirkungen auf das reale BIP?

Richebächer: Die ganze BIP-Statistik ist gewaltig verfälscht. Die Produktion, Computer und Software werden künstlich aufgebläht. 90 % aller Revisionen, die natürlich nicht so im Lichte der Öffentlichkeit stehen, erfolgen nach unten - das hat Methode. Das tatsächliche Wachstum liegt eher bei 2% als bei 4%, wir haben Stagnation. Im Ganzen werden alle Zahlen in Amerika frisiert.


Smart Investor: Haben Sie dennoch einen Favoriten unter den Statistiken?

Richebächer: Am ehesten sollte man auf die Entwicklung der verfügbaren Einkommen achten. Sie waren zuletzt nominal +0,6% und im Kettenindex +/- 0%. Allerdings wird auch hier gefälscht - Stichwort: fiktive Mieteinkünfte für Hausbesitzer.


Smart Investor: Wollen die USA durch diese Tricksereien Kapital anlocken?

Richebächer: Es ist einfach das Bedürfnis der Amerikaner anzugeben, besonders gegenüber dem sklerotischen Europa. Damit haben sie erreicht, daß Leute wie der Daimler-Chef Schrempp unzählige Milliarden nach Amerika geschickt haben (um Chrysler zu kaufen; Anm. d. Red.). Das traf genau den europäischen Minderwertigkeitskomplex, in dem die Deutschen bekanntlich Spitzenklasse sind.


Smart Investor: Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein?

Richebächer: Eine so kranke, eine so kaputtgemachte Volkswirtschaft - wie die amerikanische - hat es noch nie in der industriellen Geschichte gegeben. Amerika steht vor dem Bankrott, mit allen Auswirkungen eines Zusammenbruchs des amerikanischen Finanzsystems - die Leute haben das nicht ansatzweise verstanden. Die ganze ökonomische Diskussion in Amerika ist auf niedrigstem Niveau, die makroökonomische Diskussion vollkommen tot. Zu meiner Zeit hatten die Bankvolkswirte noch objektive Meinungen, die waren zwar nicht immer richtig, aber jedenfalls mußten sie damit keine Aktien verkaufen.



Das Interview führte: Ralph Malisch
Quelle: Zeitschrift "Smart Investor (4/2004)



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