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Ein absolutes Desaster

15.11.2011  |  Theodore Butler
Häufig wird die Bedeutung wahrhaft historischer Ereignisse nicht gleich erkannt. Der Bankrott von MF Global ist meiner Meinung nach wieder ein Beispiel dafür. Zwar dürften die allgemeinen Umstände des Niedergangs dieses großen Rohstoffbrokers weithin bekannt sein, die Bedeutung dieses Ereignisses wird aber noch nicht voll und ganz verstanden. Auch wenn ich das Ereignis auf vielen Ebenen als absolutes Desaster bezeichnen würde, so hoffe ich zumindest, dass längst überfällige und notwendige strukturelle Veränderungen bei der Regulierung des Rohstoffsektors folgen werden.

Warum ein Desaster? Zum ersten Mal in der modernen Finanzgeschichte scheiterte die Hauptgarantie, die das Clearinghaus-System seinem wichtigsten Bestandteil - der Kundenbasis - gewährt. Das Clearinghaus-System verspricht jedem Akteur am Terminmarkt, dass sein Geld und seine offenen Position gegen Diebstahl und Ausfall geschützt sind. Dieses Versprechen ist ganz grundlegend für den Zusammenhalt des Terminmarkts: Alle Marktteilnehmer können sich auf strenge Marktregulierung und -aufsicht verlassen, die sie vor Betrug und Diebstahl schützen. Und das ist auch der Grund, weshalb die nach dem US-System organisierten Terminbörsen Gegenstand weltweiter Bewunderung waren. Sie waren es.

Seit mehr als einer Woche sind fast alle der 50.000 Rohstoffkunden von MF Global in der Schwebe - was den Zugang und den Status ihres Kapitals in Form von Einlagen und offenen Positionen angeht. Das hat es bisher noch nie gegeben und es ist schlimmer als schlimm. Für die 50.000 Kunden ist es in etwa so, als würden sie gerade erfahren, dass ihre Bank eben dicht gemacht hat und es keine Versicherung gibt, die ihnen die komplette Rückzahlung des eingesetzten Kapitals garantiert.

(Im Interesse der Transparenz muss ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich selbst im Terminmarktgeschäft tätig war - als Rohstoffbroker für Merrill Lynch vor ungefähr 40 Jahren. Ich habe aber schon seit Jahren keine Terminkontrakte mehr gehandelt und ich bin persönlich nicht in den Ereignisse um MF Global involviert oder von ihnen betroffen. Ich bin im strengen Sinn außenstehender Beobachter und unabhängiger Analyst.)

Ich will es kurz machen und das wirkliche Problem direkt ansprechen - die CME Group. Ich habe die CME fortwährend kritisiert und sie sogar mehrfach als kriminelles Unternehmen bezeichnet, aber in Wahrheit könnte ich dabei sogar noch untertrieben haben. Ja, ich würde zustimmen, dass der unmittelbare Grund des MF Global-Bankrotts MF Global selbst war. Dass sich dieses Ereignis zu einem Desaster ungekannten Ausmaßes ausweitete, lag aber an der CME Group. Die CME Group war die hauptverantwortliche Regulierungsinstanz für MFG, sie war verantwortlich für die Bilanzprüfung, sie sollte dafür sorgen, dass die Kundengelder sicher sind und im schlimmsten Fall auch für diese garantieren können.

Die CME versagte hier in jeder Hinsicht. Nicht nur bei der Bilanzprüfung scheiterte sie kläglich, sie schaffte es ebenfalls nicht, für die Kundengelder zu garantieren, nachdem festgestellt wurde, dass 600 Millionen $ fehlten. Das ist so, als hätte man jahrelang Versicherungsbeiträge gezahlt und dann würde die Versicherung beim ersten Schadensfall die legitimen Forderungen einfach ablehnen. Ich weiß, dass auch die bundesstaatliche Aufsichtsbehörde, die CFTC, im Fall von MF Global nachlässig war, aber dadurch werden die Fehler der CME nicht geringer.

Von den beiden großen Fehlern, die sich die CME beim Bankrott von MF Global leistete, wog einer deutlich schwerer: Die CME garantierte nicht dafür, dass das Clearinghaus-System (betrieben durch die CME Group) den Kunden von MF Global unverzüglich Ausgleichzahlungen gewährt. Das Clearinghaus-System - ein Konsortium aus Finanzfirmen, die mit ihren gemeinsamen Finanzen hinter jedem Kontrakthandel stehen - gilt seit vielen Jahrzehnten als wichtigster Stabilitäts- und Sicherheitsmechanismus des gesamten Terminhandels.

Alle Marktteilnehmer gingen bislang davon aus, dass beim Ausfall eines Clearingmitglieds alle anderen Clearingmitglieder als auch die Börse selbst einspringen und für die Kundengelder garantieren werden, um einen Kontraktausfall zu vermeiden. Die CME brüstet sich auf ihrer Webseite, dass beim Ausfall eines Clearing-Members finanzieller Schutz im Umfang von 8 Mrd. $ bis 100 Mrd. $ verfügbar wäre. Entspricht das der Wahrheit, dann dürften 600 Mio. $ eigentlich kein Problem sein.

Dank der CME Group haben wir jetzt ein sehr großes Problem. Unsere Finanz- und Kreditsysteme gründen auf Vertrauen. Schon das Wort Kredit stammt vom lateinischen Wort "credere" ab, das so viel wie glauben oder vertrauen bedeutet. Indem die CME Group nicht unverzüglich die Garantie für alle MF Global Kunden und ihre Positionen übernahm, untergrub sie das Vertrauen in das Clearingsystem der Futures-Märkte. Und da Vertrauen nun einmal von so grundlegender Bedeutung ist, kann ich kaum begreifen, warum die CFTC von der CME nicht einfordert, jetzt richtig zu handeln. Und ich war wie vom Donner gerührt, dass diese Angelegenheit auch nicht in Analystenkreisen und von den Medien heftig diskutiert wurde.

Es gab zumindest einen Artikel in der heutigen New York Times, in dem erstmals die Fehler der CME thematisiert wurden. Zudem erschien ein gut geschriebener Artikel im Internet, der sich dem Problem und der Rolle der CME widmet. Bitte achten Sie besonders auf die Kommentare zu beiden Artikel.




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