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Europa nach der Bundestagswahl

28.09.2013  |  Prof. Dr. Thorsten Polleit
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ESM

Bekanntermaßen wurde der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) anfänglich ausschließlich zur Finanzierung von strauchelnden Staaten be-stimmt. Nunmehr soll er aber auch zur Rekapitalisierung von angeschlagenen Banken dienen. Dafür kämen, so die Mitte 2013 getroffene Vereinbarung der Euro-Finanzminister, systemrelevante Großbanken in Frage, die noch sanierungsfähig sind, sich jedoch kein neues Eigenkapital beschaffen können.

Der ESM soll über 700 Mrd. Euro Stammkapital verfügen. Davon sollen 80 Mrd. Euro eingezahltes und 620 Mrd. Euro abrufbares Stammkapital sein.

Deutschland hat einen Finanzierungsanteil am ESM in Höhe von 27,15 Prozent (entspricht Anteil am EZB-Eigenkapital). Folglich hat Deutschland knapp 22 Mrd. Euro (also 80 Mrd. Euro mal 0,2715) am Stammkapital des ESM und 168 Mrd. Euro (also 620 Mrd. Euro mal 0,2715) am abrufbaren Kapital des ESM beizusteuern.

Daseinbezahlte ESM-Kapital dividiert durch die ESM-Anleihemissionen soll dabei größer oder gleich 15 Prozent sein (Artikel 41 (2) ESM-Vertrag). Der ESM hat folglich einen "Hebel": Da derzeit 48,6 Mrd. Euro eingezahlt sind, beträgt das aktuelle Ausleihevolumen des ESM knapp 324 Mrd. Euro. Ist das ESM-Kapital voll einbezahlt in Höhe von 80 Mrd. Euro, so beträgt das maximale ESM-Ausleihevolumen 533 Mrd. Euro. Würden die gesamten 700 Mrd. Euro als eingezahltes Kapital ausgewiesen, wäre das maximale ESM-Leihvolumen 4.667 Mrd. Euro - und Deutschlands Anteil daran wäre 1.267 Mrd. Euro!


Zentralisierung

Die ohnehin schon ausgeprägten Zentralisierungstendenzen im Euroraum entfalten durch die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise eine noch stärkere und unabwehrbare Dynamik und Kraft. Die Regierungen im Euroraum setzen jetzt mehr denn je auf Zentralisierung - und nicht auf Eigenverantwortung, Subsidiarität und Systemwettbewerb, durch die das Zusammenspiel der in der Währungsunion miteinander verbundenen Akteure zumindest diszipliniert werden könnte.

Unter den jetzt denkbaren bundesdeutschen Regierungskoalitionen wird sich diese Entwicklung in Richtung eines EU-Zentralstaates wohl unbeirrt, vielleicht auch mit noch mehr Nachdruck als bisher fortsetzen.

In dieser Entwicklung darf nicht etwa eine "Krisenverhinderung" erblickt werden. Vielmehr sollte man erkennen, dass sie dazu führt, eine Politik aus der Vergangenheit und Gegenwart fortzusetzen, durch die der für jede freiheitliche Ordnung unerlässliche Grundsatz der "Einheit von Handeln und Haften" abgeschwächt beziehungsweise ausgehebelt wird. Die Verantwortung für fiskalische und wirtschaftspolitische Fehler wird mehr und mehr von der nationalen Verantwortlichkeit auf die EU-Ebene gehoben, ohne dass auf dieser Ebene die notwendigen Kompetenzen und Durchsetzungsmöglichkeiten angesiedelt wären. Die Kosten nationalstaatlicher Fehlentwicklungen werden so sozialisiert, die Gesamtheit der Steuerzahler wird erzwungenermaßen zur Kasse gebeten.

Die Zentralisierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik führt zu Machtkonzentration und Intransparenz der Politikentscheidungen, sie verwandeln die EU absehbar in eine immer stärker interventionistisch-planwirtschaftlich organisierte und institutionalisierte EU. Die absehbare Konsequenz wird sein, dass sich die Politik immer weniger weitsichtig und immer weniger verantwortungsvoll zeigen wird. Das gilt nicht nur in der Wirtschafts- und Finanzpolitik, sondern natürlich und insbesondere auch für das Rechtsstaatsprinzip.

Rechtsstaatliche Grundsätze und Prinzipien, die bis vor kurzem als das Fundament der EU galten, wurden (und werden) mit einem Federstrich beseitigt. Als Beispiele seien hier nur genannt, dass die EZB Anleihe von Staatsschuldnern kaufen will (und vermutlich auch bald kauft, direkt oder indirekt mittels ESM), oder aber mächtige neue Organisationsstrukturen wie zum Beispiel der ESM geschaffen werden, dessen Personal strafrechtliche Immunität genießt und der demokratisch nicht überzeugend legitimiert ist.


Gefahren

Es ist sicherlich müßig, an dieser Stelle zu wiederholen, was von vielen bereits zeitig vorausgesehen wurde: dass das EU-Projekt droht, sich in eine de facto planwirtschaftliche Struktur zu verwandeln - mit allen negativen Kon-sequenzen für individuelle Freiheit und damit letztlich auch die Prosperität des Gemeinwesens. Vor allem aufgrund der immer noch beträchtlichen sprachlich-kulturellen Vielfältigkeit Europas erweist sich ein zentralistisches Europa als besonders gefahrvoll für eine produktive und friedvolle Zusammenarbeit auf dem "alten Kontinent".

Der Ausgang der deutschen Bundestagswahl vom 22. September 2013 zeigt jedoch, dass die deutschen Wähler keinen prinzipiellen Einwand gegenüber dem Zentralisierungskurs im Euroraum erhoben haben. Er wird nun wohl an Kraft und Dynamik gewinnen.


© Prof. Dr. Thorsten Polleit
Auszug aus dem Marktreport der Degussa Goldhandel GmbH



(1) Siehe hierzu auch "Bankenunion hebelt die Marktwirtschaft aus", in: Degussa Marktreport, 21. Juni 2013.



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