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Liegt eine Rezession vor uns?

26.01.2006  |  Dr. Kurt Richebächer
Das größte Rätsel der letzten Jahre liegt im Verhalten der mittel- und langfristigen amerikanischen Zinssätze. Sie blieben in einer Zeit der allgemeinen wirtschaftlichen Euphorie und eines Anstiegs der US-Leitzinsen von 300 Basispunkten auf einem ungewöhnlich niedrigen Niveau. Als Konsequenz hat sich die Renditekurve schneller abgeflacht als erwartet. Auch wenn sich die Allgemeinheit keine Sorgen zu machen scheint, ist es eine Tatsache, dass das in der Vergangenheit immer ein Zeichen für eine bevorstehende Rezession war. Warum also nicht auch diesmal?

Ohne eine Erklärung zu liefern, hat der Vorsitzende der Fed, Alan Greenspan, zuletzt behauptet, dass eine flache Renditekurve diesmal kein Zeichen für eine Rezession darstelle, während gleichzeitig der kommende Vorsitzende Bernanke versuchte eine wohlwollende Erklärung dafür zu geben, als er bei einer Rede Anfang 2005 von einem "weltweiten Überschuss an Erspartem" sprach.

Die Suche nach einer ehrlichen und logischen Erklärung dauert noch an. Viele sehen den Hauptgrund in den großen Ankäufen von Anleihen durch die asiatischen Zentralbanken. Insbesondere Mr. Greenspan behauptete, dass die langfristigeren Zinssätze die angesehene politische Haltung der Fed in den letzten Jahren widerspiegeln würde, was zu einer geringeren Kernrate der Inflation und zu deutlich verringerten Risikoprämien geführt habe.

Keine dieser Erklärungen ist wasserdicht. Es steht außer Frage, dass die asiatischen Käufe von amerikanischen Staatsanleihen dazu führen, dass die langfristigen Renditesätze der Anleihen gering bleiben. Und doch sind die Erklärungen absolut unzureichend, um die Kreditflut zu erklären, die die amerikanische Wirtschaft und die Märkte für Vermögenswerte bei diesen geringen Sätzen gerade überschwemmt.

In den Vereinigten Staaten ist es eine weit verbreitete Ansicht, dass die langfristigen Zinssätze hauptsächlich durch die Inflationsrate und die Inflationserwartung bestimmt werden. Das Merkmal, das jetzt neu hinzukommt, sind die verringerten Risikoprämien. Die Erfahrungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass es diese Beziehung wohl gibt, aber die Erfahrungen der Vergangenheit sind auch ziemlich wertlos unter den gegenwärtigen, diametral entgegen gesetzten Bedingungen der explodierenden Kredite und der zusammenbrechenden Sparraten.

Um geringe Zinssätze haben zu können, braucht es mit Sicherheit mehr als nur eine geringe Inflationsrate und das Vertrauen in die Zentralbanken. Es braucht einen ausreichenden Geldfluss, um der andauernden Kreditexpansion nachzukommen, dazu gehören auch die Ankäufe von Anleihen. Was in den Vereinigten Staaten in den vergangnen vier oder fünf Jahren passiert ist, ist eine beispiellose Geld- und Kreditschwemme, die die kurz- und langfristigen Zinssätze auf einem Rekordtief hält.

Die erste entscheidende Frage, die sich im Anbetracht dieser außergewöhnlichen Entwicklungen stellt, ist die Frage nach dem Ursprung des Geldes, das die Kreditschwemme ermöglicht. Theoretisch gibt es zwei Möglichkeiten. Der Unterschied ist entscheidend. Die eine Quelle ist der begrenzte Vorrat an Ersparnissen, die andere ist die möglicherweise unbegrenzte Geld- und Kreditinflation.

Zufällig ist es in den USA besonders leicht, diese Quelle ausfindig zu machen. Nachdem die Ersparnisse zusammengebrochen sind, muss die Erzeugung von Krediten vollständig aus der Schaffung von inflationärem Geld und Kredit stammen. Implizit gilt das gleiche für die Ankäufe von Vermögenswerten, ganz egal, ob es sich dabei um Häuser, Aktien oder Staatsanleihen handelt, für die ein steiler Anstieg der Rendite in den vergangenen Jahren die ideale Ausgangsbedingung war.

Nach den Staatsanleihen wandten sich die Spekulanten den nach Versicherungsklassifizierungen höhere Rendite versprechenden Unternehmen zu. Dann waren es die Junk Bonds. Was die langfristigen Zinssätze gesenkt und die Risikoprämien ausgequetscht hat, war der beispiellose Kreditexzess, der in den sogenannten "Carry Trade" ging, entwickelt von der Fed.

Dieses ganze Gerede von den verringerten Risikoprämien als Grund für die niedrigen langfristigen Zinssätze stellt die Wahrheit im wahrsten Sinne des Wortes auf den Kopf. Als die Rendite überall zurückging, mussten die Spekulanten steigende Risiken eingehen, um weiterhin ihre Ausbreitung im Carry Trade beibehalten zu können. Auf mich wirkt es so, als sei Greenspans Behauptung, die Prämien für geringes Risiko lieferten die Erklärung für die langfristigen Zinssätze, lediglich eine Möglichkeit vom allzu offensichtlichen, wahren Grund abzulenken: von dem größten Kreditexzess im Laufe der Geschichte.

Das Eingestehen dieser Tatsachen muss der Ausgangspunkt für jede Einschätzung der zukünftigen Richtung amerikanischer langfristiger Zinssätze sein. Ein vollständiger Zusammenbruch des Carry Trades - eine sichere Konsequenz einer gewendeten Renditekurve - würde die langfristigen Zinssätze in den Himmel steigen lassen. Auch wenn Greenspan behauptet, die Renditekurve spielte heute keine so entscheidende Rolle mehr für die Wirtschaft wie in der Vergangenheit, denke ich, dass es unter den momentanen Bedingungen mehr als sonst darum geht. Sowohl für die Wirtschaft als auch für das Finanzsystem.

Noch verwirrender ist die Sturheit, mit der die langfristigen Zinssätze der flacher werdenden Renditekurve trotzen. Eine mögliche Erklärung ist eine größere Verschiebung in der Finanzierung des Carry Trades hin zu einem günstigeren Euro und - ganz besonders - Yen. Erstaunlicherweise zeigte das Wachstum der Finanzkredite, d.h. durch die Finanzinstitutionen die nicht zum Bankensystem zählen, im dritten Quartal einen steilen Abfall. Letzten Endes muss man jedoch davon ausgehen, dass ein fremd verschuldeter Spekulant sich an seine Anleihen halten oder sogar noch welche hinzufügen wird, in der Erwartung, dass eine schwächer werdende Wirtschaft die Fed zu weiteren scharfen Zinskürzungen zwingen wird.

Auch wenn ich stark mit einer undramatischen Vorhersage für die amerikanische Wirtschaft sympathisiere, habe ich dennoch Probleme mit der optimistischen Annahme, weiterer geringer langfristiger Zinssätze. Den Ausgangspunkt für meine Zweifel ist der groteske Anstieg der Kredite, der sich in den nichtfinanziellen Krediten zeigt, die trotz der 12 Zinsanhebungen kein Anzeichen für eine Unterbrechung zeigen. Bislang gab es absolut keine monetären Knappheiten. Die gerade erschienen "Flow of Funds Accounts" der Federal Reserve zeigen einen Anstieg der Geldmenge auf einen neuen Rekord.

Um das Problem des Kreditexzesses zu verstehen, braucht man eine historische Perspektive. Diese Zahlen lesen sich in zweifacher Hinsicht mit Schrecken. Die eine ist die starke Beschleunigung, mit der die Kredite in den letzten Jahren gestiegen sind. Und das andere ist der erstaunliche Kontrast, der zwischen dem explodierenden Kredit und den zusammenbrechenden Ersparnissen besteht.

Jetzt wollen wir die Kreditzahlen der Neunziger mit denen seit 2000 vergleichen. Selbst in dem Boomjahr 2000 erweiterte sich die Menge der Kredite um nur 864,7 Milliarden. Während der ersten drei Quartale 2005 hat er sich, nach massiver Beschleunigung, auf 2.202,2 Milliarden im Jahr erweitert.

Der Unterschied ist schockierend. Noch schockierender ist der extrem schwache Anstieg bei den Arbeitsplätzen, der sich aus dieser beispiellosen Kreditschwemme ergibt. Während der ersten fünf Jahre der Erholung nach der Rezession 2001, die man als "arbeitsplatzlose Erholung" bezeichnet, wuchsen die Beschäftigungszahlen um 7,6%. Bei der gegenwärtigen Erholung sind es 2,6%.

Es gab also, zusammengefasst, eine dramatische Verschlechterung der Zugkraft, die das Kreditwachstum auf die wirtschaftliche Aktivität ausübt. Diese war tatsächlich schon in den frühen Neunzigern wesentlich geringer als in den vorangegangen Jahrzehnten der Nachkriegszeit. Es sollte deutlich sein, dass das sehr ernste negative Auswirkungen hat, wenn diese Trennung strukturell wird. Eine genauere Untersuchung der zugrunde liegenden Ursachen verleitet mich zu dem Schluss, dass es tatsächlich schon strukturell ist, und das aus offensichtlichen Gründen.

Geld- und Kreditzunahmen haben keine spürbaren wirtschaftlichen Auswirkungen mehr. Es ist entscheidend, für wen und für welchen Zweck Kredite ausgedehnt werden. In dieser Hinsicht wurden die letzten zwanzig Jahre Zeugen von entscheidenden Veränderungen in den industrialisierten Ländern. Und diese Veränderungen fielen in den USA aus zwei Gründen besonders drastisch aus. Ein Grund ist die allgemein zunehmende Neigung zum Konsum, der andere ist die Obsession mit dem Unternehmenswert auf Kosten der organischen Kapitalinvestitionen.

In früheren Jahren haben Kredite die Ausgaben in einer Wirtschaft finanziert. Unternehmen liehen sich Geld für Kapitalinvestitionen und Verbraucher haben Kredite aufgenommen, um bleibende Werte und ein Dach über den Kopf zu kaufen. All diese Kredite hatten direkte und positive Auswirkungen auf die nationale Produktion und die Einkommen. Aber seit Anfang der Achtziger fließt der Kredit zunehmend in Absatzmärkte, die außerhalb des nationalen Produkts liegen. Zum einen in die stetig steigenden Importe, die sich in einem aufgeblasenen amerikanischen Handelsbilanzdefizit niederschlagen und zum anderen in die Ankäufe von Vermögenswerten an den heimischen und den weltweiten
Märkten.

Eine der Folgen ist die allgemeine Verwirrung über die Inflation. Im Laufe der Geschichte haben die amerikanischen Politiker nur eine einzige Art der Inflation anerkannt - steigende Verbraucher- und Produzentenpreise, ganz besonders aber die ersteren. Um die Inflation zu verstehen, ist es jedoch notwenig, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden.

Es gibt immer ein und denselben Grund, und das ist die exzessive Erzeugung von Geld und Krediten. Aber abhängig von sehr unterschiedlichen Verwendungsweisen des geliehenen Geldes, kann es sehr unterschiedliche Auswirkungen zur Folge haben. In den frühen Achtzigern erzeugte der steile Anstieg der Geldmenge im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt große Angst, dass die Verbraucherpreisinflation zurückkehren könnte, die sich hartnäckig weigerte, sich zu zeigen. Selbst für die Experten der Zentralbanken brauchte es einige Zeit, das offensichtliche zu erkennen, dass der Kreditexzess stattdessen die Inflation der Preise für Vermögenswerte anfeuerte.

Ein Handelsbilanzdefizit spiegelt im Gegensatz dazu die Tatsache wider, dass ein Land mehr ausgibt, als es produziert. Damit das passieren kann, braucht es unerbittlich Kredite, die es den Menschen ermöglichen über ihr aktuelles Einkommen hinaus Geld auszugeben. Auch aus dieser Perspektive ist es in erster Linie ein Ausdruck für die Inflation.

Die Leute leihen Geld, um es auszugeben. Wenn man den scharfen Anstieg der Kreditausdehnung ansieht, dann ist es in der Regel einfach, das Ziel der Ausgaben ausfindig zu machen. Es kann nicht den geringsten Zweifel geben, dass die Kreditschwemme der vergangenen Jahre in den USA hauptsächlich in den Immobiliensektor geflossen ist - und die Preise in die Höhe gejagt hat. Und doch wagen Politiker und Wirtschaftler einen direkten Zusammenhang abzustreiten.

In seiner ersten Rede als Senator der Fed sagte Mr. Bernanke: "Eine weitere Möglichkeit, eine Spekulationsblase zu erkennen, ist - laut eines bestimmten Autors - der Anstieg von Krediten, ganz besonders von Bankkrediten. Der von einigen behauptete Zusammenhang spiegelt jedoch eventuell lediglich die Tatsache wider, dass in Zeiten von Booms sowohl die Kredite als auch die Preise für Vermögenswerte dazu neigen zu steigen."

Es bedarf sicherlich einer Menge Mut, einen solch offensichtlichen Zusammenhang schlicht und einfach als Zufall zu bezeichnen.


© Dr. Kurt Richebächer
Quelle: Auszug aus dem kostenlosen Newsletters "Investor´s Daily"



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