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Das ist nicht die Wirtschaft, die Sie gewohnt sind

03.03.2006  |  Dr. Kurt Richebächer
"Um es kurz zu machen: die 1920er waren eine Ära der weltweiten Kreditexpansion. Die spektakulärste Phase war die weitreichende Finanzierung von überteuerten Sicherheiten und Immobilienwerten, ganz besonders in den USA. Diese überkapitalisierten Werte spiegelten sich nicht in den Indizes der Preisniveaus, was zu Verwirrungen führte. Sowohl Lauchlin Currie als auch Friedman and Schwarz bestanden wie viele andere darauf, dass es in den 1920ern keine Inflation gab, weil die "Preise" nicht stiegen. - Melchior Playi, The Twilight of Gold, 1914-1936, 1972.

Seit Benjamin Bernanke von Präsident Bush zum Nachfolger von Alan Greenspan ernannt wurde, wird überall verbreitet, dass sich Ben Bernanke in seinem vorherigen Beruf als Wirtschaftsprofessor besonders mit dem Grund der Gründe für die Weltwirtschaftskrise der Dreißiger befasst hätte, mit der Absicht sicherzustellen, dass so etwas nie wieder passieren wird.

2002 bei einer Konferenz zu Ehren von Milton Friedmans neunzigstem Geburtstag, verlieh er seiner Zerknirschung über die Federal Reserve Ausdruck: "Wenn man an die Weltwirtschaftskrise denkt, dann haben sie Recht, die haben wir (die Fed) verursacht. Das tut uns sehr leid. Aber dank Ihnen wird so etwas nicht wieder vorkommen."

Ich fragte mich, was es mit Bernankes Forschung auf sich hatte, und ich haben mir seine frühen Schriften und seine heutigen Reden etwas genauer angesehen. Ich erfuhr von "durchschlagenden Forschungen darüber, wie fallende Preise bei Vermögenswerten und die Fehler der Zentralbank zusammen in die Katastrophe führten."

Amerikas Wirtschaftskrise war die bei weitem größte wirtschaftliche und finanzielle Katastrophe der Geschichte. Und doch fällt mir immer wieder auf, dass die Diskussion in den USA an der Stelle stecken geblieben ist, an der sich bestätigt, dass das Versagen der Fed die Zügel schnell genug locker zu lassen, der Schlüssel ist, zu den grausamen Vermögenswerten und zur Preisdeflation die während der Dreißiger folgte.

Die Frage, was während des vorherigen Booms schief gelaufen sei und dann zur Depression führte, wurde immer schon zu Seite geschoben, weil man glaubte, es hätte mit der Sache nichts zu tun, mit dem Argument, dass die vorherrschende außerordentliche Preisstabilität in den Zwanzigern den letzten Beweis darstellt, dass es keine inflationären Einflüsse gegeben habe.

Für die meisten amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler ist hinsichtlich der Frage, was zur Weltwirtschaftkrise in den Dreißigern führte, das Urteil von Milton Friedman und A.J. Schwartz darüber, am Ende ihres Buches über die monetäre Geschichte der USA von 1867-1960 aus dem Jahr 1963, gewissermaßen ein Dogma. Und das ist es auch für Bernanke. Um Friedman selbst zu zitieren:

"Der Boom am Aktienmarkt und die Nachwirkungen der Sorgen über die Inflation des Ersten Weltkriegs haben zum weit verbreiteten Glauben geführt, dass die Zwanziger Jahre eine Zeit der Inflation gewesen seien und der Zusammenbruch in der Zeit zwischen 1929 und 1933 die Reaktion darauf. Tatsächlich ist es jedoch so, dass die Zwanziger, wenn überhaupt, eher eine Zeit der relativen Deflation waren: von 1923 bis 1929 fielen - um nur Gipfeljahre von Geschäftszyklen zu vergleichen und so Verzerrungen durch zyklische Einflüsse zu verhindern - die Großhandelspreise um 1% im Jahr und die Geldvorräte stiegen im Jahr um 4%, was ungefähr der Satz ist, der notwendig ist, um mit dem Expansionsoutput gleich zu ziehen. Die Expansion des Geschäftszyklus zwischen 1927 und 1929 war die erste seit 1881 und 1893. Während dieser Zeit fielen die Großhandelspreise, wenn auch nur unwesentlich, und seitdem hat es das nicht mehr gegeben."

"Der monetäre Zusammenbruch zwischen 1929 und 1933 war keine unvermeidliche Konsequenz dessen, was zuvor passiert war. Es war das Ergebnis der Politik, die man während dieser Zeit verfolgte. Wie ich schon festgestellt habe, stand eine alternative Politik, die das Debakel hätte verhindern können, während der ganzen Jahre zur Verfügung. Obwohl die Fed behauptete, sie verfolgte eine leichte Geldpolitik hat sie tatsächlich eine zunehmend straffere Politik verfolgt."

Die Zwanziger waren wirklich eine Zeit der außergewöhnlichen Preisstabilität. Ganz besonders unter dem Einfluss von Milton Friedman, wurde es für die amerikanischen Politiker und Wirtschaftswissenschaftler zum Axiom, dass die Depression ihre Ursachen nur in der Politik haben konnte, die nach dem Zusammenbruch des Aktienmarktes verfolgt wurde. Eine der Konsequenzen dieses weit verbreiteten Urteils ist der absolute Mangel an Interesse, sich tiefer gehender mit den Feinheiten der Boomphase auseinander zu setzen. Und deshalb tun sich beim Wissen um die Abweichungen in dieser Phase auch große Lücken auf, selbst unter den führenden amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlern.

Eigentlich hat die Fed im Vergleich zu früheren Erfahrungen sehr schnell gehandelt und den Diskontsatz innerhalb eines Jahres von 6% auf 2,5% gesenkt. Der erste steile Absturz der Aktienkurse dauerte ein bisschen weniger als zwei Wochen an, vom 24. Oktober bis zum 13. November 1929. Danach erholten sie sich deutlich bis April 1930.

Nach einer ziemlich stabilen ersten Jahreshälfte 1930, eine Phase in der die Aktienkurse eine starke Rally erlebten, brach die Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte wieder ein und das obwohl die breite Geldmenge sich kaum gerührt hatte. Um Joseph Schumpeter zu zitieren; "Die Geschäfte brachen in einer Zeit ein, als eine reichliche Menge an Geld vorhanden war."

Weil die Euphorie über die "New Era" in der amerikanischen Wirtschaft auch nach dem Einbruch am Aktienmarkt noch vorherrschte, rechnete man im Allgemeinen mit einer schnellen Erholung. Was diesen Einbruch deutlich von allen vorangegangenen unterschied war der spürbare Rückgang der Verbraucherausgaben. Und doch verließ man sich darauf, dass die Zinssenkungen der Fed schnell eine wirtschaftliche Wiederbelebung mit sich bringen würden.

Ein wirklich dramatischer Wandel der wirtschaftlichen Aktivitäten und auch der Erwartungen begann erst mit der Bankenkrise zwischen November und Dezember 1930, die dazu führte, dass die Geldmenge reduziert wurde. Eskalierende Bankenpleiten hatten ihre Ursache im Allgemeinen im sinkenden Marktwert der Auslandsanleihen, der Unternehmensanleihen und der Immobilienanleihen, die das Kapital der Banken und ihre Möglichkeiten Kredite zu vergeben massiv einschränkten. Die Frage ist: Warum fielen die Preise für Vermögenswerte - wegen des knappen Geldes oder wegen der steigenden Risikoprämien nachdem die Qualität der Anleihen in Frage gestellt worden war?

Es ist das große Verdienst der Befürworter der österreichischen Theorie, dass man erkannt hat, dass die Kredit- und Ausgabenexzesse, die einen Boom antreiben, mit oder ohne Inflation, schwerwiegendere Auswirkungen haben können, als die steigende Inflationsrate allein - tatsächlich sogar wesentlich schwerwiegendere Auswirkungen.

In der Zeit nach dem Krieg bis in die späten Siebziger fielen Rezessionen in den industrialisierten Ländern scharf und pointiert aus. Eingeschränkte Ausgabenexzesse für Lagebestände, für Anlageinvestitionen, für Gebrauchsgütern und Bauprojekte wurden innerhalb eines Jahres so gut wie ausgelöscht. In den USA hat eine typische Rezession in der Zeit nach dem Krieg durchschnittlich ein Jahr gedauert, mit einem Rückgang beim realen Bruttoinlandsprodukt um 2%. Sobald die Fed ihre Ketten gelöst hatte und die Nachfrage in Bereichen, die von den zurückhaltenden Krediten betroffen waren wieder zugelegt hatte, wurde die Wirtschaft wieder auf neue Höhen katapultiert.

Irgendwann Anfang 2001 verlieh Greenspan seiner Ansicht Ausdruck, dass es sich bei der Rezession, die sich gerade entwickelte, um eine harmlose Rezession der bekannten Sorte handelte. Das war das bekannte Label für kurze "zyklische" Rezessionen, die in der Nachkriegszeit üblich waren.

Aber in Wirklichkeit hatte der Rückgang der amerikanischen Wirtschaft 2001 keinerlei Bezug oder Ähnlichkeit mit den bekannten "üblichen" Zyklen. Das Kreditwachstum ging keinesfalls zurück, sondern zog an wie nie zuvor. Ein beispielloser Konjunkturrückgang bei den Anlageinvestitionen stürzte über die folgenden acht Quartale um 14,5% und verhielt sich wie ein wahres Sedativum.

Doch der scharfe Anstieg bei anderen Komponenten der Nachfrage, angetrieben von wundersamen fiskalischen und monetären Stimuli, hat den Konjunkturrückgang bei den Anlageinvestitionen schon bald mehr als ausgeglichen. Die Regierungsausgaben stiegen in den gleichen acht Quartalen um 9,2%. Im privaten Bereich trieb die Immobilienblase, die von der Fed eingefädelt wurde, den Markt der Wohnhäuser um 7,2% in die Höhe und die Verbraucherausgaben um 6%. Am Ende war es Amerikas schwächste Rezession, aber ihr folgte auch die schwächste wirtschaftliche Erholungsphase der Nachkriegszeit. Ist es möglich, dass zwischen diesen beiden Aspekten ein Zusammenhang besteht?

Warum war es trotz der wundersamen Stimuli die schwächste Erholung der Geschichte? Wenn der Rückgang der Wirtschaft ein einzigartiges Muster aufweist, dann tat es auch das Muster des Aufstiegs.

Bis zum dritten Quartal 2005 war das reale Bruttoinlandsprodukt seit 2000 um 14,1% gestiegen. Es hatte sich aus den unverhältnismäßigen Gewinnen aus dem Bau von Wohnhäusern (+36,5%) und aus dem Verbrauchersektor (+17,3%) und der Regierungsausgaben (+16%) angesammelt. Der wichtigste Gegenspieler, der gegen diese Kräfte anwirkte, waren die zögerlichen Geschäftsinvestitionen (+5,9%) und die immer stärker werdenden Importe (+23%).

Während dieser ganzen Zeit ist das reale Bruttoinlandsprodukt im Jahr um 2,9% gestiegen. Das liegt deutlich unter der durchschnittlichen Wachstumsrate während der Geschäftszyklen der Nachkriegszeit von 3,8%. Wirklich dramatisch ist der Rückgang der Beschäftigungszahlen und des an die Inflation angepassten Einkommenswachstums. Die Stellen im privaten Sektor sind seit Dezember 2000 um nur 1% gestiegen, wobei die Ausgaben für die Verteidigung eine große Rolle spielen. Im Vergleich dazu sind Lohnstellen in vorangegangenen Zyklen um 9% gestiegen.

Zusammengefasst kann man sagen, dass die dramatische Stellenknappheit eine entsprechende Knappheit beim Einkommenswachstum nach sich zieht. Während der drei Monate bis November 2005 übertraf das reine, verfügbare Einkommen der Privathaushalte das Niveau von vor drei Jahren um nur 1,36%, im Vergleich zu den 3,4% beim realen Bruttoinlandsprodukt.

Mr. Greenspan und die anderen Mitglieder der Fed haben nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie, nachdem die Blase der Wertpapiere geplatzt war, systematisch versuchten eine Palette an neuen Spekulationsblasen für Vermögenswerte zu erzeugen. Zu den politischen Neuerungen gehört die wiederholte Versicherung gegenüber der Öffentlichkeit, dass man, als Ansporn für den 'Carry Trade' und ganz besonders für die langfristigen Anleihen sowie als Schlüsselbedingung für eine Inflation der Preise für Vermögenswerte, die die kurzfristigen Sätze auf geringstem Niveau halten würde und das so weit das Auge reicht.

Entzückte Finanzinstitutionen haben sofort gehorcht und die langfristigen Sätze und die Kreditausdehnungen durch den stark fremd finanzierten Carry Trade auf Rekord-Tiefstwerte gesenkt. Im Allgemeinen wird dies als eine sehr erfolgreiche Geldpolitik angesehen, die sich keinen Regeln beugt.

Rückblickend lobt man die vielen Verdienste: Die enorme Schaffung von "Wohlstand" durch die steigenden Immobilienpreise, das Wachstum der Produktivität auf ein Rekordniveau, das stabile und relativ starke Wirtschaftswachstum und die mildeste Rezession der Nachkriegszeit in Folge einer geplatzten Blase bei den Wertpapieren im Jahr 2001.

Diese Liste ist beeindruckend - aber sie ist auch sehr unvollständig. Sie ignoriert eine ganze Reihe von wirtschaftlichen und finanziellen Aspekten, die ein extrem unausgeglichenes wirtschaftliches Wachstum verursachten und widerspiegeln. Die negative Liste beginnt mit dem Zusammenbruch bei den Ersparnissen und der monströsen Lücke im Handel. Es folgen die Immobilienblase und der Anstieg des Anteils den der Konsum am Bruttoinlandsprodukt hat. Und zuletzt muss auch noch bedacht werden, dass das unzureichende Wirtschafts- und Stellenwachstum zu einer Kredit- und Schuldenorgie geführt hat.


© Dr. Kurt Richebächer
Quelle: Auszug aus dem kostenlosen Newsletters "Investor´s Daily"



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