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Von Inflation und Deflation

30.03.2004  |  Claus Vogt
Inflation, Deflation, Stagflation? Jenseits der überschwenglich zuversichtlichen und gewissermaßen offiziellen Mainstream-Meinung, die die US- und in ihrem Sog auch die Weltwirtschaft am Beginn eines tragfähigen Aufschwunges sieht, gibt es Analysten, deren Überlegungen zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Vor allem in den USA wird eine Diskussion geführt, die um die Begriffe Deflation und Inflation bzw. Stagflation kreist.

Auf der einen Seite dieses Diskurses sehen wir kluge Analysten, die unter Verweis auf historische Vorbilder zu dem Ergebnis gelangen, eine deflationäre Depression sei in den USA unausweichlich. Das Platzen einer großen Spekulationsblase sei ein deflationäres Ereignis. Als Beispiele werden gern Japan in den 1990ern und die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre ins Feld geführt, obwohl die Geldmengen in Japan gar nicht gefallen sind.

Tatsächlich gibt es aber zahlreiche Parallelen zwischen den genannten historischen Episoden und unserer heutigen Lage. Auf der anderen Seite stehen ebenfalls sehr kluge Fachleute, die mit Hinweis auf die weltweite Verschuldung und die an Deutlichkeit kaum zu überbietenden inflationären Absichtserklärungen der führenden Notenbank das Inflationsszenario für unausweichlich halten. Teilweise wird mit einem inflationären Boom gerechnet, teilweise mit Stagflation, das heißt mit inflationären Rezessionen wie in den 1970er Jahren.

Wer mag aus diesem Streit der Schulen als Sieger hervorgehen? Die nahezu immer bullishen Gesundbeter, die die Blase nicht erkannten und während der verheerenden Kursverluste der Jahre 2000 bis 2002 gebetsmühlenartig Kauf- oder wenigstens Durchhalteparolen ausgaben? Nachdem sie den Abschwung nicht erkennen konnten, waren sie seit der ersten Zinssenkung der US-Notenbank im Januar 2001 sicher, der nächste Aufschwung stehe unmittelbar bevor. Die permanente Zuversicht dieser großen Gruppe scheint unerschütterlich zu sein. Oder etwa die als "Durchwursteler" bekannten Strategen, die sich der Probleme und der fragilen Lage der US-Bubble Ökonomie durchaus bewußt sind?

Sie machen aus ihrer Überzeugung keinen Hehl, daß die gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte ihren Ursprung in den USA haben und letztlich auch ein unschönes Ende nehmen werden. Sie halten jedoch die Zeit für dieses Endspiel noch längst nicht für gekommen. Oder die zahlenmäßig verschwindend kleine Gruppe der Bären? Das vielleicht Interessanteste an dieser kleinen Schar ist ihre Aufspaltung in zwei konträre Lager. Auf der einen Seite gibt es die Deflationspropheten, die mit Robert Prechter und Gary Shilling zwei sehr prominente Verfechter auf ihrer Seite haben. Auf der anderen Seite hingegen befinden sich die Inflationsauguren.

Selten zuvor gingen die Meinungen auf derart extreme Art und Weise auseinander. Warum? Vor über 30 Jahren begann unter der Führung der USA die ganze Welt das Experiment vollkommen ungedeckter Währungen. Historische Beispiele, die uns während des Experimentes als Wegweiser dienen könnten, existieren nicht. Also müssen wir uns mit Vernunft, Verstand und Urteilskraft behelfen. Der Anlageerfolg der kommenden Jahre wird vermutlich ganz maßgeblich vom Ausgang dieser einmaligen globalen Versuchsanordnung abhängen. Bekanntlich sind es die großen, bedeutenden Trends, deren Erkennen oder Verpassen die Anlageergebnisse entscheidend bestimmen. Im nachhinein lassen sich einfach Beispiele für diese selten beworbene Wahrheit finden.

Grob gesprochen mußte man in der Nachkriegszeit bis Ende der 1960er europäische oder US-amerikanische Aktien besitzen. Danach waren Rohstoffe und Edelmetalle für über ein Jahrzehnt die richtige Investmentklasse. In den 1980ern waren japanische Aktien unschlagbar, in den 1990ern hingegen europäische oder US-amerikanische. Aus diesem strategischen Blickwinkel heraus scheint also eine einzige Anlageentscheidung pro Dekade zu genügen, um ein erfolgreicher Anleger zu sein. Nur welche? Und wann?


Finanzmarktgeschichte

Am Anfang jeder Anlageentscheidung sollte ein Studium der Finanzmarktgeschichte stehen. Sie ist voller spannender Episoden, die uns viel über das Funktionieren der Welt und das Wesen der Menschen lehren, und voller überraschender Wendungen. Mit dem Wissen des Spätgeborenen scheinen manche Zeiten spekulativer Exzesse so offensichtlich unsinnig zu sein, daß sich die Frage aufdrängt, wie die Zeitgenossen so blind sein konnten, das Offensichtliche nicht zu erkennen. Und doch wiederholt sich Finanzmarktgeschichte immer wieder, stets sich im Kreise drehend und dem Fortschrittsglauben hohnsprechend. Bei aller individuellen Abwechslung der jeweiligen Episoden ergeben sich immer wiederkehrende Muster und Zyklen, deren Kenntnis von unschätzbarem Wert sein kann.

Unsere intensive Beschäftigung mit der Finanzmarktgeschichte und hier insbesondere mit den großen überlieferten Spekulationsblasen ermöglichte es uns, die vielleicht größte Spekulationsblase aller Zeiten während ihrer Entwicklung zu erkennen und ihr Platzen zu prognostizieren. Ausgehend von den USA in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre hielt diese Blase den größten Teil der Welt in Atem.

Während sich die dafür verantwortliche US-Notenbank hinter der offensichtlich unhaltbaren Behauptung versteckte, Blasen seien erst nach ihrem Platzen zu erkennen, erlagen Unternehmer, (Noten-)Banker, Analysten, Politiker, Journalisten und Privatanleger den in spekulativen Zeiten so unwiderstehlichen Sirenengesängen einer angeblichen neuen Ära, die Reichtum für alle zu versprechen schien. Es kam, wie es kommen mußte, die Blase und die auf ihr basierenden Träume platzten. Jetzt traten die US-Notenbank und die Regierung in Aktion. Sie starteten bereits im Januar 2001 eines der größten konjunkturellen Ankurbelungsprogramme aller Zeiten. Nachdem es in den beiden Jahren 2001 und 2002 nicht zu greifen schien, entfaltete es 2003 wenigstens teilweise die erhoffte Wirkung. Ist jetzt also, wie die lautstarke Bullenherde uns versichert, die Konjunktur gerettet und eine neue Hausse losgetreten worden?

Leider nicht, befürchten wir, leider nicht. Der Wirtschaftsaufschwung in den USA entbehrt unserer Meinung nach weiterhin einer gesunden und tragfähigen Basis. Er ist das Ergebnis eines exzessiven staatlichen Konjunkturprogrammes und vermutlich lediglich ein Strohfeuer, dessen künstliche, staatlich verordnete Energiezufuhr langsam nachläßt. Insbesondere die kurzfristig sehr positiven Konjunktureffekte des boomenden US-Immobilienmarktes scheinen nach und nach zu erblassen. Wenn die wenigen mahnenden Stimmen, die eine Immobilienblase in den USA erkennen, Recht haben sollten, dann drohen aus diesem Bereich äußerst unangenehme Überraschungen für die Wirtschaft.

Da die Bedeutung des Immobilienmarktes für die Wirtschaftslage der USA sehr viel größer ist als die der Aktienmärkte, würde das Platzen dieser Blase vermutlich sehr viel gravierendere Folgen haben als das der Aktienblase. Allerdings hat sich auch an den Aktienmärkten erneut eine Spekulationsblase entwickelt. Außerdem haben die von der Notenbank administrierten extrem niedrigen "Notfall"-Zinsen zu einem sehr hohen Maß spekulativer Aktivitäten an den Anleihemärkten geführt. Der von der Notenbank bewußt gesetzte Anreiz für Großspekulanten, zu 1% Geld zu leihen, um es zu 3% oder 4% anzulegen, ist geradezu unwiderstehlich groß. Entsprechend zahlreich sind die Spieler, die diesen Trade in den vergangenen Jahren eingegangen sind. Sollte die Zukunft Zinssteigerungen bringen, dann werden einige der in diesem Bereich schlummernden Risiken sichtbar werden und für Schlagzeilen sorgen.

Wie alle ihre Vorgängerinnen, so unsere feste Überzeugung, wird auch diese doppelte oder gar dreifache Blase platzen. Erst dann wird sich herausstellen, ob die Politik der US-Notenbank tatsächlich so extrem falsch war wie wir meinen, oder ob gegen die Lehren aus der Finanzmarktgeschichte und wider alle Vernunft dieses Mal tatsächlich alles anders gewesen ist. Wir bleiben vorerst standhaft bei unserer Überzeugung, daß es nicht vernünftig sein kann, Gelddrucken und Schuldenmachen als Heilmittel für Probleme einzusetzen, deren Ursache Gelddrucken und Schuldenmachen ist.


Unbekanntes Terrain

Wir sind sehr zuversichtlich, daß sich der von der Finanzmarktgeschichte vorgegebene Lauf der Dinge auch dieses Mal entlang bekannter Bahnen entfalten wird: Die Blasen werden platzen, und die Verluste werden enorm sein. Hinsichtlich der Beantwortung unserer eingangs gestellten Frage, ob wir Deflation oder Inflation erwarten müssen, bietet uns die Historie aber leider keine geeigneten Beispiele. Prinzipiell ist das Platzen einer Spekulationsblase tatsächlich ein deflationäres Ereignis.

Die dank einer expansiven Geldpolitik künstlich aufgeblähten Preise fallen, die auf Basis dieser Preise vergebenen Kredite werden notleidend, und eine Kreditklemme beginnt. In Zeiten einer nicht beliebig vermehrbaren Währung fängt die Geldmenge an zu schrumpfen, Deflation macht sich breit. Das gilt jedoch nicht in unserer eigentlichen neuen Ära, die nur selten thematisiert wird. Sie begann mit dem Ende des Bretton Woods-Weltwährungssystems vor über 30 Jahren und kann getrost als das größte Finanzmarktexperiment aller Zeiten bezeichnet werden. Erstmals in der Geschichte der Menschheit ist Geld nur noch eine Vertrauenssache. Es ist an nichts gebunden, kann auf politischen Entscheid hin beliebig vermehrt werden und verpflichtet die über es residierenden Politiker zu nichts. Diese einmalige Situation macht es sehr schwierig, die Historie als Ratgeber heranzuziehen.

Natürlich ist es vorstellbar, daß sich die Notenbanken in den kommenden Jahren geldpolitisch so verhalten, als gäbe es gedeckte Währungen. Sie könnten also eine sehr restriktive Politik verfolgen und die Zinsen deutlich anheben. Sie könnten auf diese Weise eine schwere Rezession und eine Pleitewelle auslösen, auch bei Banken und Versicherungen. Sie könnten also eine deflationäre Entwicklung erzwingen, wenn sie es wollten.




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