Alter schützt vor Torheit ebenso wenig wie ein Nobelpreis für Wirtschaft
30.03.2006 | Claus Vogt
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Die Börse und der Ifo-GeschäftsklimaindexDie Stimmung innerhalb der deutschen Wirtschaft ist gemessen am Ifo-Geschäftsklimaindex auf dem höchsten Niveau seit 15 Jahren. Muss das nicht rundum positiv sein, also auch für die Börse? Nein, leider nicht. Leider ist der Zusammenhang zwischen der Börsenkursentwicklung und dem Geschäftsklimaindex anders als man zunächst vermuten könnte. Wie alle Stimmungsindikatoren muss auch dieser als Contraindikator verwendet werden. Wenn die Stimmung zu gut geworden ist, dann befinden die Aktienkurse sich gewöhnlich ganz weit oben und sind extrem anfällig für Enttäuschungen.
Ähnlich wie in diesem Jahr überschritt der Ifo-Geschäftsklimaindex die Marke von über 100 Zählern Anfang des Jahres 2000. Erinnern Sie sich an dieses denkwürdige Jahr? Nicht nur die Wirtschaft strotzte damals vor Zuversicht. Euphorie und "New Economy"-Phantasien hatten große Teile der Bevölkerung erfasst: vom Bildzeitungsleser bis zum Wallt Street Journal-Redakteur, vom Start-Up-Unternehmer bis zum hunderte von Millionen scheffelnden Konzernlenker, vom Sparkassenberater bis zum Starruhm genießenden Wall Street-Analysten, vom Tatort-Kommissar bis hin zum Börsenkolumnisten. Alle waren sie Opfer einer den Verstand eintrübenden optimistischen Stimmungslage, die sicherlich als modernes Beispiel einer massenpsychologischen Verblendung in die Geschichtsbücher eingehen wird. Dann folgte die Ernüchterung. Für die Wirtschaft war das Jahr 2000 ein rundum gutes. Die Börse allerdings beendete das Jahr mit einem Minus und deutete damit die Wende zum Schlechteren unmissverständlich an. In den folgenden Quartalen erlebten die Unternehmensgewinne dramatische Einbrüche und die größte Baisse der Nachkriegszeit nahm ihren Lauf. Wird es diesmal anders sein?
Wirtschaft und Börse sind zyklisch
Dass die Unternehmensgewinne extrem zyklisch sind, steht außer Zweifel. Allen Beteuerungen von zunehmender Stabilität zum Trotz haben ihre Schwankungen in den vergangenen 15 Jahren sogar zugenommen. Auch die Wirtschaft als Ganzes ist zyklisch, bewegt sich von Aufschwung zu Abschwung und wieder zurück. Zwar wird der Wirtschaftszyklus immer wieder einmal todgesagt, wie beispielsweise in großem Stil Ende der 90er Jahre und mit etwas weniger Getöse auch heute wieder, aber bisher hat sich die Zyklik immer wieder aufs Neue bestätigt. Das Problem mit diesen Zyklen liegt in ihrer zeitlichen Variabilität; die Dauer der Auf- und Abschwünge ist leider recht verschieden.
Auch die Börse zeigt natürlich Zyklen, und auch diese sind zeitlich von unterschiedlicher Dauer. Es gibt die langfristigen Zyklen, deren Auf- und Abschwungphasen jeweils etwa 10 bis 20 Jahre dauern. In der Aufschwungphase steigen die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV), in der Abschwungphase fallen sie. Diese Zyklen spiegeln somit die Bereitschaft der Marktteilnehmer wider, Risiken einzugehen. Bei hohen Kurs-Gewinn- Verhältnissen nehmen sie hohe Risiken in Kauf, bei niedrigen KGV hingegen schrecken sie vor Risiken zurück und verlangen eine hohe Sicherheitsmarge bei ihren Investments. Von 1982 bis 2000 befanden sich die europäischen und amerikanischen Börsen in einer langfristigen Aufwärtsphase, die im Jahr 2000 von einer Abwärtsphase abgelöst wurde. Gemessen am KGV haben wir bisher nur einen kleinen Teil dieser langfristigen Abwärtsphase hinter uns.
4-Jahres-Börsenzyklus mahnt zur Vorsicht
Schwieriger und teilweise sehr dubios wird die durchaus weit verbreitete Zyklusbetrachtung der Börse, die gleichmäßige Zeitabstände unterstellt. Diese Disziplin der technischen Analyse hat mich bisher nicht überzeugen können - mit einer Ausnahme. Es gibt den erstaunlich akkuraten 4-Jahres-Zyklus an der Börse, der auch Präsidentenzyklus genannt wird. Er spiegelt die für Politiker typische Vorgehensweise wider, ihren Wählern in den ersten beiden Jahren einer Amtsperiode die bitteren Pillen zu verabreichen. Danach hat der Wählerstimmenfang absolute Priorität und langfristig sinnvolle, aber kurzfristig schmerzhafte Maßnahmen haben keine Chance mehr.
Ein Blick auf die nebenstehende Grafik, die den 4-Jahres-Zyklus anhand des Kursverkaufs des S&P500 Index zeigt, muss selbst skeptische Betrachter zumindest in Erstaunen versetzen. Mit schöner Regelmäßigkeit kam es in der Nachkriegszeit alle 4 Jahre zu einer zumindest mittelfristig sehr attraktiven Kaufgelegenheit. Das nächste 4-Jahres-Tief dieses Zyklus’ ist im Herbst diesen Jahres fällig. Wird es uns dieses Mal erspart bleiben?
Viele gute Gründe für fallende Aktienkurse
Neben den vielen guten Gründen, die für fallende Aktienkurse sprechen und im Rahmen unseres Gesamtmodells besprochen werden, gibt es noch ein paar weitere, die nicht in unserem Modell berücksichtigt werden. Dazu gehört beispielsweise die Entwicklung der Unternehmensgewinne. Diese steigen über längere Zeiträume betrachtet sehr konstant mit rund 6% per annum, natürlich unter erheblichen Schwankungen. Der nebenstehenden Grafik können Sie diesen Trend des Gewinnwachstums seit der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre entnehmen. Nach dem steilen Absturz der Gewinne im Anschluss an das Platzen der Aktienblase erfolgte eine beeindruckende Erholung. Mittlerweile stoßen die Unternehmensgewinne gegen ihre obere Trendlinie. Werden Sie dieses Mal weiter steigen als jemals zuvor?
Auch die letzten Monat an dieser Stelle ausführlich besprochene Zinsstrukturkurve muss unter dieser Überschrift aufgeführt werden. Aufgrund ihrer Bedeutung und der sie betreffenden Äußerungen des neuen US-Notenbankpräsidenten Ben Bernanke gehe ich hier noch einmal auf diesen hervorragenden Wirtschafts- und Börsenindikator ein.
Die US-Zinsstrukturkurve
Im vergangenen Monat widmete ich mich aus aktuellem Anlass relativ ausführlich der US-Zinsstrukturkurve. Insbesondere erklärte ich die Bedeutung einer inversen Zinsstruktur für die Wirtschaft und die Finanzmärkte. Eine inverse Zinsstruktur stellt den besten mir bekannten Indikator zur Prognose von Rezessionen und Baissen dar. Sollte sie über mehrere Wochen invers bleiben, dann würde es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bereits kurz danach zu fallenden Aktienkursen und einige Quartale später zu einer Rezession in den USA kommen. Das ist jedenfalls die Lehre, die ich aus der historischen Betrachtung der Phasen ziehen muss, in denen eine inverse Zinsstruktur vorlag.
Greenspan: Diesmal ist alles anders
Bereits vor einigen Monaten vertrat der damalige US-Notenbankpräsident Alan Greensapn die These, dass der Zusammenhang zwischen einer inversen Zinsstruktur und einer wirtschaftlichen Abschwächung neuerdings nicht mehr gelte. Dieser gewagten These schloss sich nun auch Ben Bernanke, der neue US-Notenbankpräsident, an. Während seines ersten Auftritts als Fed-Chef vor dem US-Kongress behauptete er, der in der Vergangenheit geltende Zusammenhang zwischen kurz- und langfristigen Zinsen gelte aufgrund struktureller Faktoren heute nicht mehr. Darunter versteht er die umfangreichen Anleihenkäufe von Pensionskassen, Versicherungen und von asiatischen Zentralbanken.
Der Sinn dieses Arguments erschließt sich mir trotz großer Anstrengungen nicht. Wieso soll die Zinsstrukturkurve ihre ökonomische Wirkung und Bedeutung einbüßen, nur weil die Käufergruppen sich vielleicht verändert haben? Schließlich muss auch in der Vergangenheit irgendjemand als Käufer von Staatsanleihen aufgetreten sein, um mit seiner Nachfrage den Anleihezins unter den kurzfristigen Zinsen zu halten. Worin also soll der Unterschied bestehen?
Kann ich mit meinem bescheidenen Intellekt den genialen Gedankengängen des hoch begabten Wirtschaftswissenschaftlers Ben Bernanke einfach nicht folgen? Oder lässt sich der Sinneswandel Bernankes, der Zeitungsberichten zufolge bislang durchaus die Meinung vertreten haben soll, dass die Zinsstrukturkurve verlässlich konjunkturelle Abkühlungen signalisiere, anders, gewissermaßen allzu menschlich erklären?
Bernanke: Diesmal ist alles anders
Kaum im neuen, hoch politischen Amt, erfährt der aufgrund seiner inflationistischen Reden Helikopter-Ben genannte Fed-Chef also einen bemerkenswerten Sinneswandel. Liegt hier nicht die Vermutung nahe, dass es sich um rein politisches Taktieren und nicht um einen erst kürzlich erfolgten Erkenntnisgewinn handelt? Ich glaube, Bernanke verfolgt hier einen recht offensichtlichen politischen Kalkül. Er kennt die aktuellen Probleme und Ungleichgewichte Amerikas sehr genau, auch wenn er vor dem Kongress als wohl temperierter Schönredner aufgetreten ist. Wäre es da nicht überaus klug und der Karriere förderlich, wenn gleich zu Beginn seiner Amtszeit ein längst überfälliger und notwendiger Bereinigungsprozess in Gang gesetzt würde, also eine Rezession? Dann könnte er glaubwürdig auf die Verantwortung seines Vorgängers verweisen und würde sich nicht in die missliche Lage begeben, selbst als Buhmann dazustehen. Falls er diese Strategie vertreten sollte, dann muss er die Bedeutung der Zinsstrukturkurve vor dem Kongress natürlich herunterspielen. Andernfalls müsste er schließlich sofort die Verantwortung für die ökonomischen Folgen der inversen Zinsstruktur übernehmen oder durch zurzeit völlig unangemessene Zinssenkungen für eine Normalisierung der Kurve sorgen.
Auch im Jahr 2000 war angeblich alles anders
Die gegenwärtige Diskussion über die Bedeutung einer inversen Zinsstrukturkurve löst bei mir ein Deja-vu-Erlebnis aus. Auch im Jahr 2000 sorgten die Zinserhöhungen der Fed für eine inverse Zinsstruktur. Auch damals, am Höhepunkt der "New Economy"-Euphorie traf die damit ausgesandte unangenehme Botschaft bei der großen Mehrheit der Marktteilnehmer und Analysten auf taube Ohren. Auch damals wurde fieberhaft nach Rationalisierungen gesucht, um die Bedeutung der Zinsstruktur für die Wirtschaft und die Finanzmärkte wegzureden.
Damals musste das kurz vorher verkündete Ende der Emission 30-jähriger US-Staatsanleihen als fragwürdige Erklärung dafür herhalten, warum diesmal alles anders sei. Weil es keine 30-jährigen Staatsanleihen mehr gebe, käme es im Bereich der 10-jährigen zu einer künstlich hohen Nachfrage. Ohne diesen strukturellen Sonderfaktor sei die Kurve ja gar nicht invers, also könne man die Botschaft des historisch gesehen besten Rezessionsindikators getrost ignorieren.
Hört sich gut an, diese Argumentationskette, oder? Es ist fast schon schade, dass sie sich später als unrichtig herausstellte. Wie auch immer, kurz darauf begann an den Aktienmärkten eine der schlimmsten Baissen aller Zeiten und die US-Wirtschaft erlebte eine Rezession, in der die Unternehmensgewinne dramatisch einbrachen. Trotz dieser noch nicht allzu lange zurück liegenden Erfahrung beharren die brillanten Ökonomen Greenspan und Bernanke darauf, dass jetzt, hier und heute alles ganz anders ist als früher. Und US-Zentralbanker vom Schlage eines Greenspan und Bernanke können doch nicht irren, oder?
Ich war im Jahr 2000 übrigens nicht bereit, den besten mir bekannten Rezessionsindikator leichtfertig zu ignorieren. Deshalb gehörte ich zu den ganz wenigen Analysten, die den Mut aufbrachten, auf das hohe Risiko einer bevorstehenden Rezession hinzuweisen. Auch heute bin ich nicht bereit, die Botschaft der Zinsstrukturkurve in den Wind zu schlagen. Noch deutet sie nur auf eine deutliche wirtschaftliche Abkühlung in den USA hin. Noch signalisiert sie keine akute Rezessionsgefahr. Ich werde diesen wichtigen Indikator auch in Zukunft für Sie im Auge behalten.