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Staatsverschuldung und Risoko Sozialversicherung

03.04.2006  |  Claus Brockmann
Teil 1: Öffentliche Hand würde höhere Zinsen nicht mehr verkraften

Alleine im letzten Jahrzehnt hat sich die Verschuldung von Bund, Länder und Gemeinden in Deutschland auf 1,5 Bio. Euro verdoppelt. Doch es ist abzusehen, dass auch dem Staat Grenzen gesetzt sind.


Bevorzugt Kurzfristige Laufzeiten

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hat 2006 viel zu tun. Insgesamt muss er auslaufende Wertpapiere in Höhe von rund 160 Mrd. Euro tilgen. Da der Bundeshaushalt laut Schätzung auch dieses Jahr ein Defizit von voraussichtlich 36 Mrd. Euro aufweisen wird, sind Neuemissionen von 196 Mrd. Euro zur Aufrechterhaltung des Öffentlichen Lebens notwendig. Der Minister kann sich dabei glücklich schätzen, dass sämtliche Anleihen in der Nähe ihrer Tiefststände rentieren und die neuen Schulden nur mit einer Durchschnittsrendite von etwas über 3% bei den Investoren untergebracht werden können. Somit müssen für das aktuelle Haushaltsloch praktisch keine weiteren Mittel bereitgestellt werden, weil die fälligen alten Gläubigerpapiere mit einem Kupon von durchschnittlich 3,6% ausgestattet waren und deshalb noch Raum für die Zinsen des neuen Haushaltsdefizits lassen.

Die Ursache der immensen Schuldenumschichtung in diesem und den kommenden Jahren von jeweils einem Fünftel der gesamten Verbindlichkeiten in Höhe von 900 Mrd. Euro lässt sich mit einer veränderten Struktur der Bundesanleihen erklären, welche die Regierung spätestens seit dem Amtsantritt Hans Eichels 1998 verfolgt. Bestanden bis dahin die Schuldentitel mehr als zur Hälfte aus langfristigen Papieren mit größtenteils 10jähriger, aber auch 30jähriger Laufzeit, werden inzwischen 50% der Emissionen als zweijährige Finanzierungsschätze und so genannten unverzinslichen Schatzanweisungen (Bubills) mit einer Laufzeit von 6 Monaten ausgegeben, die folglich natürlich auch häufiger getilgt werden müssen. Ergänzt werden die Neuemissionen 2006 von 20% Bundesobligationen mit 5jähriger Laufzeit, 24% 10jähriger Titel sowie 6% 30jährige Bonds. Die Bundesbank begründet diesen Wandel sowohl mit den Wünschen der Investoren als auch neuen strategischen Zielen der Regierung. Diese können eigentlich nur lauten, den im Hinblick auf die Maastricht-Kriterien ausufernden Haushalt mit Zinszahlungen so gering wie möglich zu belasten. Dadurch begibt sich der Finanzminister auf unsicheres Terrain, da er die Planungssicherheit einer längerfristigen Finanzierung den Vorteilen des niedrigeren Zinsniveaus im kurzfristigen Bereich opfert.


Weniger Transparenz bei Schulden von Länder und Gemeinden

In den 50er und 60er Jahren übertrafen die Schulden der Länder noch die des Bundes. Spätestens mit der Deutschen Einheit wendete sich aber das Bild und inzwischen übertreffen die Verbindlichkeiten des Bundes die Kredite der 16 Bundesländer um das Doppelte. Die Finanzierung der Schulden stellt sich bei den Ländern etwas anders dar. Klare Spitzenreiter in negativer Hinsicht mit einer Verschuldung von 17.000 Euro bzw. 18.500 Euro je Einwohner sind Berlin und Bremen. Nordrhein-Westfalen verbucht mit 100 Mrd. Euro nominell die höchsten Verbindlichkeiten und die neuen Länder haben abgesehen von Sachsen, das mit Bayern und Baden-Württemberg zu den Sparsamsten gehört, mit einer pro Kopf Verschuldung von 6.000 bis 7.000 Euro in 15 Jahren das angehäuft, wofür die meisten alten Länder 50 Jahre gebraucht haben. Die Finanzierung der Schulden stellt sich bei den Ländern etwas anders dar. Nur ca. 60% der gesamten Verbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 460 Mrd. Euro werden in Anleihen an der Börse gehandelt. Der Rest wird hauptsächlich von Banken und Versicherungen in Form so genannter Schuldscheinanleihen finanziert, wobei weder Zinssatz, Volumen und Fälligkeit der Titel bekannt gegeben werden. Nach diesem Muster handhaben auch die Kommunen ihre Kredite, welche zusammen etwa 90 Mrd. Euro betragen. Öffentliche Anleihen der Städte München und Dresden bleiben jedoch die Ausnahme.


Zeitbombe Zinserhöhung

Das gesamte jährliche Zinsaufkommen für die inzwischen auf 1,5 Billionen Euro angewachsene Staatsverschuldung beträgt in etwa 67 Mrd. Euro und entspricht ca. 15% der Steuereinnahmen Deutschlands. Dank der stetig fallenden Zinsen verharrt der Wert seit Mitte der 90er Jahre konstant auf diesem Niveau. 60% der Summe entfallen dabei auf den Bund und nehmen rund 18% der der Haushaltseinnahmen in Anspruch. Viele Ökonomen und Experten sprechen derzeit von einem Rohstoff-Superzyklus, der erfahrungsgemäß mindestens noch ein Jahrzehnt anhalten dürfte. Zudem wird innerhalb dieses Zeitraums der Zenit in der Ölproduktion erwartet. Der Rohstoffhunger vieler Schwellenländer sollte dagegen weiter die Nachfrage ankurbeln. Die Gefahr steigender Preise und somit auch Zinsen ist also durchaus realistisch, zumal sich die Wirtschaft seit der Industrialisierung in langen Zyklen bewegt. Auch ist ein Überschwappen der gewaltigen weltweiten Liquidität auf die Verbraucherpreise nicht ausgeschlossen.

Auf der anderen Seite zeigt die Alterstruktur ab 2015 noch einmal steil nach oben. In diesem Umfeld würden notwendige Haushaltseinsparungen im höheren, zweistelligen Milliardenbereich besonders schwer fallen. Sollte die Verschuldung mit dem Tempo des letzten Jahrzehnts bei gleichzeitig mäßigem Wachstum und unverändertem Zinsniveaus weiter zunehmen, würden im Bundeshaushalt die Zinszahlungen sowie die Zuschüsse an die Arbeitslosen- und Rentenversicherung praktisch schon die ganzen Einnahmen verschlingen. Ein Anstieg der Anleiherenditen um durchschnittlich 3% hätte in diesem Szenario bereits zur Folge, dass alleine für die Schuldenbedienung alle Einnahmen des Bundes oder die Hälfte des deutschen Gesamtsteueraufkommens von etwa 420 Mrd. Euro aufgebracht werden müssten. Aber auch schon ein moderat höherer Zinszyklus, bei dem in 6 Jahren in der ersten Hälfte die Zinsen um je 1% pro Jahr anstiegen und dieses Niveau von rund 6-7% dann die restlichen 3 Jahre bestehen bliebe, würde am Ende gegenüber der Ausgangsbasis bereits bei einer deutlichen Abschwächung der Neuverschuldung eine Mehrbelastung von ca. 50 Mrd. Euro mit sich bringen. In diesem Fall müssten die Erwerbstätigen in Deutschland das gesamte Lohnsteueraufkommen für die Bedienung unserer Schulden einsetzen.


Ausblick in die Zukunft

Während sich in Deutschland die Steuereinnahmen seit 1970 versechsfachten, schnellten öffentliche Zinsausgaben, Nettokreditaufnahme und Staatsschulden um das mehr als 20fache nach oben. Im gesamten Gebilde zieht so etwas wie eine moralische Verwahrlosung ein. Wurde im Bundestag vor Jahren zumindest noch um die Erfüllung eines verfassungskonformen Haushalts debattiert, scheint dieser Umstand inzwischen nicht mehr zwingend notwenig zu sein. Auch die Einhaltung des Vertrags von Maastricht, einst von Theo Weigl und Helmut Kohl zum Heiligtum erklärt, wurde mit Ausnahmeregelungen aufgelockert.

War bei früheren Regierungen noch ein ausgeglichener Haushalt das Ziel, würde man sich heute bereits mit einer Verschuldung innerhalb dieser festgelegten Grenzen glücklich schätzen. Die Zeiten haben sich gewandelt: Die 64 Mrd. Euro Kreditverbindlichkeiten von 1970 werden heute pro Jahr als Zinsen an die Gläubiger ausbezahlt. Dennoch sind die Vorzeichen anders. Damals lag die Verschuldungsquote bei 15% des Bruttoinlandprodukts, 2006 sind es 65%. Deswegen würden höhere Zinsen heute erheblich größere Löcher für die öffentlichen Kassen bedeuten als in den 70er Jahren, als die Schuldenlast ebenfalls explodierte. Der Finanzminister möchte das Haushaltsdefizit in den kommenden Jahren halbieren. Bereits eine moderate Erhöhung des Zinsniveaus würde ihm schon einen Strich durch die Rechnung machen. Folglich sollten die Haushaltsplanungen der Politiker besser unter dem Vorbehalt eines gleich bleibenden Zinsniveaus betrachtet werden. Bleibt dies verwehrt, könnte es dieses Mal wesentlich schneller gehen bis unsere 1,5 Billionen Euro Schulden als jährliche Zinsen überwiesen werden müssen. Vor 35 Jahren konnten sich dies bestimmt auch nur sehr wenige vorstellen.



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