Rohstoffe und die Finanzialisierung der Weltwirtschaft
01.11.2015 | Klaus Singer
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Die Zwischenerholung der Rohstoffpreise bis zur Jahresmitte 2014, wie sie sich im CRB-Index (siehe Chart!) widerspiegelt, setzt interessanterweise den drei-Jahres-Ryythmus fort: Nach dem Rekordhoch aus Mitte 2008 bei 471 erreichte das Hoch im Mai 2011 die Marke von 371. Der Hochpunkt von Mitte 2014 kommt auf 312. Mittlerweile ist das Tief aus März 2009 bei 200 unterschritten. Die Hochs aus 2011 und 2014 harmonieren gut mit dem 38er und 62er Retracement des Abwärtsimpulses von Mitte 2008 bis März 2009. Ich will die Rhythmik nicht überstrapazieren, aber sollte sie auch künftig Bestand haben, wäre auf Mitte 2017 zu achten - mit einem lokalen Hoch womöglich in der Nähe von 260 (23,6% Retracement).
Ist der Verlauf der Rohstoffpreise nun also ein Ergebnis nachlassender Nachfrage oder zunehmenden Angebots? Ich glaube, folgendermaßen wird ein Schuh daraus: In den 1990er Jahren wurden Rohstoffe in zunehmendem Umfang zu Finanzmarktassets. Dies entspricht ganz dem sich in dieser Zeit beschleunigenden Trend zur Finanzialisierung des gesamten Wirtschaftslebens (man denke auch an die Deregulierung der Finanzindustrie vor 2000!).
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre setzte der Aufschwung im US-Immobiliensektor ein. Der Rohstoffbedarf stieg deutlich an, die Angebotsseite lief hinterher, die Preise stiegen. Etwas vor dem Topp der Immobilienpreise in der zweiten Jahrenshälfte 2006 erreichte auch der CRB-Index ein lokales Maximum. Danach brach er um über 20% ein, bevor er zusammen mit dem Ausbruch der Finanzkrise in einem Blowoff verrauchte.
Angebot und Nachfrage im Rohstoffsektor haben seit Ende 2007 kein halbwegs stabiles Gleichgewicht mehr erreicht. Das liegt einerseits an den hier vorherrschenden relativ langen Zyklen, die Produktion kann nicht beliebig schnell hoch gefahren oder gedrosselt werden. Zum anderen dürfte ihre Rolle als Spekulationsobjekt der Finanzindustrie mit den typischen spekulativen Über- und Untertreibungen für zusätzliches Störfeuer bei der Ausbalancierung von Angebot und Nachfrage sorgen.
Auch hat die Nullzinspolitik der Zentralbanken die Kosten von Investitionen (z.B. in Lager- und Transportkapazitäten) nach unten verzerrt, wodurch durch Nachfrageschwäche bedingter Preisdruck abgefedert werden kann. Mitte 2013 wurde in diesem Zusammenhang z.B. bekannt, dass Goldman Sachs 70% der nordamerikanischen Aluminium-Vorräte eingelagert hat. Das hat die Preise hoch getrieben (oder gehalten) und die Endverbraucher über drei Jahre geschätzte 5 Mrd. Dollar gekostet. Siehe auch hier!
Es ist zwar denkbar, dass der Preisverfall bei Rohstoffen den Verlauf der Nachfrage mittlerweile überzeichnet. Da aber die Preisschwäche bei Rohstoffen einhergeht mit Schwäche bei zahlreichen anderen Makroindikatoren, ist das ein klarer Hinweis auf Wachstumsprobleme der Weltwirtschaft. Das wäre nicht unbedingt ein Beinbruch, wenn nicht die Notwendigkeit bestünde, wegen der zunehmenden Schuldenlast einen auf längere Sicht immer weiter steigenden Anteil der Wirtschaftsleistung für den Schuldendienst aufzubringen. Dadurch steigt das Risiko schwerer Schuldenkrisen immer mehr an.
Und so ist der Dreh- und Angelpunkt der Malaise von Rohstoffpreisen und Wachstum die zunehmende Finanzialisierung der Wirtschaft. Die Versorgung der Realwirtschaft mit Rohstoffen steht auf unsicherer Basis. Diese Unsicherheit vernebelt längerfristige Perspektiven, auch das kostet Wachstumspotenzial.
Zusätzlich zu den schon angerissenen Aspekten der Finanzialisierung nachfolgend mehr:
Mitte 2014 hatte eine Umfrage unter CFOs in den USA ergeben, dass 78% wirtschaftlichen Wert aufgeben und 55% sogar Projekte mit positivem Nettoertrag einstellen würden, um finanzielle Ziele, resp. bestimmte Quartalszahlen zu erreichen.
Über-Finanzialisierung ist es auch, wenn Unternehmen übertriebene Dividenden an ihre Aktionäre zahlen oder Aktien in großem Stil (womöglich noch schuldenfinanziert) zurückkaufen oder an die Substanz gehende Kostenreduktion betrieben (siehe hier!).
Schließlich sind die verschiedenen transatlantischen Abkommen zu erwähnen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit zustande kommen und private Schiedsgerichte darüber entscheiden lassen, wann eine Regierung gegen Unternehmensinteressen verstößt und folglich Schadensersatz zu zahlen hat.
Der IWF hat 2012 festgestellt, dass der Wachstumseffekt von Schulden negativ wird, wenn die Schulden des privaten Sektors einen Anteil von 80 bis 100% am BIP erreicht haben. Das deckt sich mit vorhergehenden Untersuchungen von Reinhart und Rogoff. Nach Zahlen der Weltbank von 2014 betragen die einheimischen Kredite an den privaten Sektor im Verhältnis zum BIP in den USA fast 195%, 1981 lag die Zahl noch bei unter 90%. China erreichte 2014 fast 142%, Japan kommt auf fast 188%.
Die Finanzindustrie ist “eigentlich” dazu da, der Realwirtschaft zu dienen. So soll sie etwa rentable Vorhaben finanzieren für diejenigen Wirtschaftssubjekte, die nicht über genügend Eigenmittel verfügen. Sie soll dafür sorgen, dass der Handel mit Gütern reibungslos funktioniert. Sie soll Sparer und Investoren zusammenbringen. Usw. Mittlerweile aber dominiert die Finanzindustrie das gesamte wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschehen, alles muss sich ihren Interessen unterordnen.
Und hier schließt sich der Kreise zum Wachstumsthema: Nach Roger Bootle[1] ist das gesamte wirtschaftliche Leben eine Mischung aus kreativen und distributiven Aktivitäten. Erfolgreiche Gesellschaften maximieren den kreativen und minimieren den distributiven Teil. Wenn in einer Gesellschaft die distributiven Aktivitäten überhand nehmen, werden Gewinne mehrheitlich von einem Teil der Gesellschaft auf Kosten von Einbussen anderer gemacht. Es findet eine Umverteilung gesellschaftlichen Wohlstands statt, neuer wird nicht geschaffen. Solche Gesellschaften verarmen auf die Dauer, sie werden zunehmend instabil und gewalttätig.
Viel von dem, was in den Finanzmärkten geschieht, gehört zum distributiven Ende. Gewinne des einen sind Verluste des anderen. Gebühren und Kosten des Bankwesen werden letztlich von den Konsumenten bezahlt über Käufe von Waren und Dienstleistungen.
Die Credit Suisse hat vor kurzem ihren „Global Wealth Report“ aktualisiert, in dem die Vermögenswerte von 4,8 Milliarden Menschen aus mehr als 200 Ländern untersucht wurden. Die reichsten 0,7% der Weltbevölkerung besitzen inzwischen fast die Hälfte des auf 250 Bill. Dollar bezifferten globalen Vermögens. Die Verfasser führen den Rekordwert in der Vermögenskonzentration v.a. auf den Anteil von Finanzanlagen am Gesamtvermögen zurück.
So stieg z.B. der Wert aller weltweit gehandelten Aktien bis zur Jahresmitte auf den Rekordwert von 73,3 Bill. Dollar. Im Juni 2014 waren es noch etwa 10 Bill. Dollar weniger. Und: In Nordamerika leben mittlerweile 10% der weltweit Ärmsten, in Europa sind es sogar 20%. In China sind es weniger als 10%.
Die Geldflut der Notenbanken hat diese Entwicklung extrem beschleunigt. Wie Bootle schreibt, geht mit der Zunahme der distributen gesellschaftlichen Aktivitäten auch eine Gefahr für den sozialen Frieden einher.
[Unter Verwendung von Material von "Outside the Box - The Financialization of the Economy"]
Ergänzung:
Die “US Commodity Futures Trading Commission” schätzt den Kapitalzufluss in verschiedene Rohstoffindizes in der Zeit zwischen 2000 und 2008 auf 200 Mrd. Dollar. Da es sich um Zuflüsse in Indices, nicht in einzelne Rohstoffe handelt, liegen spekulative Motive auf der Hand.
Erwähnte Charts, weiterführende Verweise und Quellenangaben können hier eingesehen werden.
© Klaus G. Singer
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