+124 Prozent im ersten Halbjahr und noch lange kein Ende in Sicht!?
05.07.2016 | Dr. Uwe Bergold
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FOCUS-MONEY: Mit ein fließt aber auch die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes, das heißt, wie oft ein Euro im Laufe der Zeit umgeschlagen wird. Die ist zurzeit gering und drückt damit die Inflation. Uwe Bergold: Das stimmt. Aber auch das ändert sich. Die Leute beginnen, ihr Geld schneller auszugeben, weil sie befürchten, dass es an Wert verliert - trotz angeblicher Null-Inflation. Stichwort: Flucht in Immobilien und andere Sachwerte. Fachleute sprechen von einem Crack up-Boom. Das erinnert gleichfalls an Weimar: Damals wurde vielen Menschen - auch wenn sie es ökonomisch vielleicht nicht nachvollziehen konnten - klar, dass eine massiven Geldverschlechterung droht. Sie fingen daher an, ihr Geld auszugeben. Und seit etwa zwölf Monaten sehen wir ebenfalls wieder eindeutig Zeichen eines Crack Up-Booms. Trotzdem kommt die Wirtschaft nicht in Gang.
FOCUS-MONEY: Malen Sie da nicht zu schwarz? Die Wirtschaft boomt zwar nicht, aber sie läuft doch einigermaßen.
Uwe Bergold: Das täuscht. Das Wachstum rührt vor allem vom Dienstleistungssektor. In der Realwirtschaft geht wenig. Sie profitiert nur noch von den historisch einmalig niedrigen Zinsen. Die Leute kaufen deswegen Immobilien, die sie sich nur dank der fast kostenlosen Kredite leisten können oder Autos, die sie normal ebenfalls nie kaufen würden. Auch die Unternehmen investieren teils in Dinge, die sich nur wegen der extrem billigen Zinsen rechnen. Im exportorientierten Deutschland stimuliert zusätzlich der weiche Euro. Er ist ein Turbolader für den Export, wird aber bezahlt mit der Entwertung der Ersparnisse der Bürger.
FOCUS-MONEY: Unter dem Strich hilft aber dann die Niedrigzinspolitik der EZB der Wirtschaft doch.
Uwe Bergold: Vorsicht. Der Zins ist der wichtigste Preis einer Volkswirtschaft. Wen ich den künstlich drücke, verzerren sich auch andere Preise. Es kommt zu enormen Fehlentwicklungen und Fehlallokationen. Irgendwann folgt dann die Bereinigung. Je länger und je tiefer der Zins runtergezogen wird und je größer die Verzerrungen, desto schmerzhafter fällt diese Bereinigung aus.
FOCUS-MONEY: Wenn die Wirtschaft, auch weltweit, so mäßig läuft, wo sollen dann steigende Rohstoffpreise und Inflation herkommen? Es wird doch weniger nachgefragt.
Uwe Bergold: Das ist eine Fehlkalkulation, die zwar ständig wiederholt, aber dadurch nicht wahrer wird. Wenn das stimmen würde, hätten wir in den achtziger und neunziger Jahren, die heute als goldene Wirtschaftsjahre gelten, eine kräftige Rohstoffhausse erleben müssen. Nichts war. Auch die Angebotsentwicklung schlägt sich nur punktuell in den Rohstoffnotierungen nieder und erklärt ihre enorme Schwankungsbreite nicht. Die monetäre Seite und das Verhalten der Anleger besitzen mittelfristig einen mindestens ebenso großen Einfluss.
FOCUS-MONEY: Und sie werden die Rohstoffpreise jetzt wieder anschieben?
Uwe Bergold: Sie müssen den ganzen Zusammenhang sehen. Das ganze gleicht einem Drama in mehreren Akten. Schon seit 2000, dem Platzen der Hightech-Blase am Aktienmarkt, befinden wir uns tendenziell in einem Kontraktionsprozess. Fed-Chef Alan Greenspan reagierte damals mit einer extrem expansiven Geldpolitik. Sie führte dann bis 2007 zu einer neuen Blase, diesmal bei Immobilien. Das war der zweite Akt.
Im dritten provozierte dann nach dem Platzen auch dieser Blase Greenspan-Nachfolger Ben Bernanke mit einer nochmaligen Lockerung der Geldpolitik die größte Anleihenblase aller Zeiten. Nie in der Geschichte - und man kann das von den Aufzeichnungen her bis ins Jahr 1694 zurückverfolgen - waren die Zinsen so niedrig wie heute bzw. die Anleihen so überbewertet. Diese Base wird irgendwann ebenfalls angestochen werden.
FOCUS-MONEY: Wo bleiben da die Rohstoffe?
Uwe Bergold: Sie sind immer der vierte Akt in einem solchen Zyklus und gleichzeitig das Finale. Wenn die überbordende Liquidität diese Blase aufbläst und als Folge die Erzeugerund Konsumentenpreise explodieren, dann merkt das auch der Bürger, der mit Investments nichts zu tun hat, an rasant steigenden Supermarktpreisen oder Mietnebenkosten. Das alles wird in den kommenden vier, fünf Jahren auf der Agenda stehen.
FOCUS-MONEY: Wie passt da der Goldpreis hinein? Er gilt als klassischer Inflationsindikator und hat seit 2012 rund 40 Prozent verloren. Das signalisiert doch Entwarnung.
Uwe Bergold: Auch hier müssen sie den ganzen Zyklus sehen: Von seinem Tief bei 250 Dollar 1999 hat sich der Goldpreis bis 2011 auf gut 1900 Dollar fast verachtfacht. Erst dann kam die 40 Prozent-Korrektur, aber nur in Dollar. In Euro steigt der Goldpreis seit Dezember 2013 wieder, inzwischen um ungefähr 30 Prozent.
FOCUS-MONEY: Als Inflationsindikator ist er so weiter intakt?
Uwe Bergold: Ja, nach wie vor ist der Goldpreis ein sehr guter Seismograph der tatsächlichen Inflation. Sie können bei jedem Papiergeld, wenn sie es mit Gold bewerten, sehen, wie es mit ihm steht. Jedes Land hat doch, oft politisch motiviert, eine andere Statistik, berechnet die Inflation, die Wirtschaftsleistung etc. auf eine andere Weise. Da lässt sich manches hinbiegen. Der Goldpreis ist hier unbestechlich. Wenn Sie die Währung eines Landes ständig in Gold messen, werden Sie leicht feststellen, wie stark die Geldpolitik die Bürger über Inflation enteignet. Denn der Anstieg des Goldpreises bedeutet im Prinzip nichts anderes als einen Ausgleich des Kaufkraftverlusts. Selbst Alan Greenspan gestand, dass der Goldpreis das beste Inflations-Messer sei.
FOCUS-MONEY: Also hat die offizielle Inflationsrate eigentlich gar keine große Bedeutung?
Uwe Bergold: Oh doch. Sie ist eine ganz wichtige Zahl für viele andere volkswirtschaftliche Vorgänge, etwa die Lohnfindung, Mieten- oder Rentenerhöhungen und vor allem auch für die Sparzinsen. Denn darüber, ob der Sparer Geld verdient oder verliert, entscheiden die Realzinsen, also die Nominalzinsen minus Inflation. Je geringer die offizielle Inflationsrate ausfällt, desto eher kann dem Sparer vorgegaukelt werden, dass er trotz Minizinsen nichts verliert.
Die Rechnung sieht völlig anders aus, wenn man die tatsächliche Inflation ansetzt. Dann wird er kräftig enteignet. Das Ganze heißt finanzielle Repression. Jeder der keine Sachwerte besitzt, sondern Papierwerte - und das ist die Mehrheit der normalen Bevölkerung - wird hier betrogen. Das Niederträchtige daran ist, dass dies eine sehr subtile Form der Enteignung darstellt. Viele Leute, auch Wirtschaftler, verstehen das gar nicht und lassen sich durch die offiziellen Inflationsberechnung blenden. Erst jetzt, wo Null- oder gar negative Zinsen drohen, fällt es auf.
FOCUS-MONEY: Das Spiel läuft demnach schon länger?
Uwe Bergold: Wenn man es real und am Gold misst, eigentlich schon seit dem Jahr 2000. Sonst würde der Goldpreis nicht steigen, denn das Metall wirft keine Zinsen ab. Es steigt nur dann, wenn Geldanlagen real verlieren. Das ist quasi ein ökonomisches Grundgesetz. Die Leute erliegen hier einer Geldillusion: Sie freuen sich über steigende Immobilienpreise, die eigentlich - in Gold gerechnet - gar nicht steigen. Oder über steigende Aktienkurse, die in Gold ebenfalls nicht steigen.