Ober sticht Unter: Die (neue) Macht der Notenbanken
20.08.2016 | Carsten Klude
Als am 23. Juni 2016 die Bürger Großbritanniens mehrheitlich für den Brexit stimmten, waren die Sorgen bei vielen Volkswirten, Anlegern, Politikern und Notenbankern groß. Wie würde sich der überraschende Ausgang auf die Wirtschaft, auf die Börsen und auf die Zinsen auswirken?
Fast alle ökonomischen Analysen, die sich im Vorfeld der Abstimmung mit den potenziellen wirtschaftlichen Auswirkungen eines Brexits beschäftigt haben, kamen zu dem Schluss, dass eine solche Entscheidung negative Konsequenzen nach sich ziehen würde. Die OECD erwartete laut einer Ende April veröffentlichten Studie, dass es in der kurzen Frist (bis zum Jahr 2020) zu einem um 3,3% geringerem Wachstum in Großbritannien kommen würde und in der langen Frist (bis zum Jahr 2030) mit Wachstumseinbußen von 5,1% zu rechnen sei.
Der Internationale Währungsfonds nahm das Brexit-Votum zum Anlass, seine globale Konjunkturprognose für dieses Jahr leicht nach unten anstatt wie eigentlich geplant etwas nach oben zu revidieren. Die Hauptargumente für die negativen Einschätzungen: 1. die Erwartung höherer Risikoprämien aufgrund von antizipierten Kursrückgängen bei Unternehmensanleihen und Aktien, 2. erhöhte Unsicherheit bei Unternehmen und Konsumenten, die zu einer Investitions- und Kaufzurückhaltung führt, 3. negative Auswirkungen auf den Außenhandel und 4. weniger Wachstum aufgrund einer geringeren Einwanderung.
Diese Argumente haben viele Anleger - auch uns - dazu bewogen, nach der Austrittsentscheidung Großbritanniens aus der EU eine vorsichtigere Anlagepolitik zu verfolgen und die Aktienquote zu reduzieren. Doch sowohl die Aktienmärkte als auch die Märkte für risikobehaftetere Anleihen schüttelten den Brexit schnell ab.
Und auch andere Themen, die in der Vergangenheit die Kapitalmärkte zumindest zeitweise ausbremsten, wie die Frage der Stabilität des italienischen bzw. des europäischen Bankensektors, terroristische Anschläge in Frankreich und in Deutschland oder auch politische Unsicherheiten in Zusammenhang mit dem Putschversuch in der Türkei oder den bevorstehenden Wahlen in den USA sowie dem Verfassungsreferendum in Italien fanden keinen Niederschlag in einer größeren Risikoaversion der Anleger. Wie ist das zu erklären?
Unseres Erachtens spielt das Verhalten der Notenbanken eine entscheidende Rolle bei der Beantwortung dieser Frage. So hat beispielsweise am Tag des Brexits die Bank of England erklärt, dass sie nicht zögern würde, zusätzliche Maßnahmen zu beschließen, um die Finanzmarktstabilität zu gewährleisten und negative konjunkturellen Auswirkungen zu begrenzen. Mittlerweile hat die britische Notenbank den Leitzins gesenkt und weitere geldpolitische Lockerungsmaßnahmen beschlossen, die den Ankauf von Staatsund Unternehmensanleihen beinhalten.
Vor dem Referendum wurde dagegen davon ausgegangen, dass der nächste geldpolitische Beschluss der Bank of England eine Zinserhöhung sein würde. Doch statt der US-amerikanischen Federal Reserve zu folgen hat die Zentralbank Großbritanniens nun denselben Weg eingeschlagen, den auch die meisten anderen Notenbanken gehen: den einer noch expansiveren Geldpolitik.
Mittlerweile ist die internationale Geldpolitik so expansiv wie niemals zuvor in den vergangenen gut 25 Jahren; dies zeigt unsere Auswertung der Leitzinsen von mehr als 40 Notenbanken. Selbst zum Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise war das Niveau der Leitzinsen nicht so niedrig wie es heute der Fall ist.
Der Medianwert des Leitzinses von 42 Zentralbanken ist nach der Zinssenkung der Bank of England nun erstmals auf unter 2% gesunken. Allein seit Beginn des letzten Jahres haben 25 Notenbanken ihren Leitzins gesenkt, nur 12 haben ihn erhöht. Von diesen 12 hat einzig und allein die Federal Reserve in den USA im Dezember 2015 die Zinsen mit der Begründung einer wirtschaftlichen Erholung angehoben, die übrigen 11 Zentralbanken mussten die Zinsen erhöhen, um einer Abwertung ihrer Währung vorzubeugen. Dies ist keine gute Entwicklung und legt die Schlussfolgerung nahe, dass das geldpolitische Arsenal ziemlich erschöpft ist.
Allerdings ist die Geldpolitik in den letzten Jahren immer kreativer geworden, sodass man davon ausgehen kann, dass zumindest noch etwas monetärer Spielraum vorhanden ist. Während die Schwellenländer die Möglichkeit haben mit herkömmlichen Mitteln, sprich Zinssenkungen, auf schwache Wirtschaftszahlen und deflationäre Risiken zu reagieren, müssen fast alle Industrieländer jedoch auf die sogenannte quantitative Lockerung setzen, wenn die Geldpolitik zukünftig noch expansiver werden soll.
Denn die Erfahrungen mit negativen Zinsen, die bisher in einigen europäischen Ländern und in Japan eingeführt wurden, sind keineswegs so, dass eine solche Zinspolitik große Nachahmer finden wird. Zu negativ sind die Auswirkungen auf den Bankensektor und die Sparer sowie auf die staatlichen und privaten Altersvorsorgesysteme. Von daher scheinen sich zukünftige Maßnahmen auf einen noch stärker forcierten Ankauf von Wertpapieren, also Staats- und Unternehmensanleihen, aber vielleicht auch von Aktien zu beschränken oder auf sogenanntes "Helikoptergeld", also die direkte Ausgabenfinanzierung von Staaten, Konsumenten und Unternehmen durch die Ausgabe von Zentralbankgeld ohne den Umweg über die Geschäftsbanken.
So könnte Japan die erste Volkswirtschaft sein, die das bislang nur in der Theorie durchdachte Konzept des Helikoptergeldes in die Praxis umsetzt. Nachdem die japanische Volkswirtschaft seit dem Platzen der Aktien- und Immobilienblase Anfang der 1990er Jahre fast ununterbrochen mit einem viel zu geringem Wirtschaftswachstum und einer hartnäckigen Deflation zu kämpfen hat, probiert die japanische Notenbank schon seit 1999 mit einer Nullzinspolitik für eine konjunkturelle Belebung zu sorgen. Doch bislang blieb der Erfolg dieser Maßnahmen aus. Statt dessen hat diese Art der Geldpolitik dafür gesorgt, dass die notwendige Bereinigung des Finanzsektors ausgeblieben ist.
So hat die Geldpolitik der Bank of Japan sogenannte "Zombie-Banken" geschaffen, die mit billigem und unbeschränkt zugänglichen Zentralbankgeld künstlich am Leben gehalten werden und die nach und nach auch die gesunden Banken schwächen - mit negativen Auswirkungen auf die gesamte Realwirtschaft. Die große Sorge ist, dass das Beispiel Japans Schule macht und auch andere Volkswirtschaften, die ähnliche strukturelle Probleme wie Japan haben, eine ähnliche Entwicklung nehmen könnten.
Vor allem in der Eurozone gibt es viele Parallelen zu der Entwicklung in Japan, angefangen mit der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung, über die hohe Staatsverschuldung und bis zum Agieren der Europäischen Zentralbank, die zusammen mit der Regulierung durch die Politik den europäischen Banken die Luft zum Atmen nimmt, ohne aber eine wirkliche Bereinigung des Sektors zuzulassen.
Fast alle ökonomischen Analysen, die sich im Vorfeld der Abstimmung mit den potenziellen wirtschaftlichen Auswirkungen eines Brexits beschäftigt haben, kamen zu dem Schluss, dass eine solche Entscheidung negative Konsequenzen nach sich ziehen würde. Die OECD erwartete laut einer Ende April veröffentlichten Studie, dass es in der kurzen Frist (bis zum Jahr 2020) zu einem um 3,3% geringerem Wachstum in Großbritannien kommen würde und in der langen Frist (bis zum Jahr 2030) mit Wachstumseinbußen von 5,1% zu rechnen sei.
Der Internationale Währungsfonds nahm das Brexit-Votum zum Anlass, seine globale Konjunkturprognose für dieses Jahr leicht nach unten anstatt wie eigentlich geplant etwas nach oben zu revidieren. Die Hauptargumente für die negativen Einschätzungen: 1. die Erwartung höherer Risikoprämien aufgrund von antizipierten Kursrückgängen bei Unternehmensanleihen und Aktien, 2. erhöhte Unsicherheit bei Unternehmen und Konsumenten, die zu einer Investitions- und Kaufzurückhaltung führt, 3. negative Auswirkungen auf den Außenhandel und 4. weniger Wachstum aufgrund einer geringeren Einwanderung.
Diese Argumente haben viele Anleger - auch uns - dazu bewogen, nach der Austrittsentscheidung Großbritanniens aus der EU eine vorsichtigere Anlagepolitik zu verfolgen und die Aktienquote zu reduzieren. Doch sowohl die Aktienmärkte als auch die Märkte für risikobehaftetere Anleihen schüttelten den Brexit schnell ab.
Und auch andere Themen, die in der Vergangenheit die Kapitalmärkte zumindest zeitweise ausbremsten, wie die Frage der Stabilität des italienischen bzw. des europäischen Bankensektors, terroristische Anschläge in Frankreich und in Deutschland oder auch politische Unsicherheiten in Zusammenhang mit dem Putschversuch in der Türkei oder den bevorstehenden Wahlen in den USA sowie dem Verfassungsreferendum in Italien fanden keinen Niederschlag in einer größeren Risikoaversion der Anleger. Wie ist das zu erklären?
Unseres Erachtens spielt das Verhalten der Notenbanken eine entscheidende Rolle bei der Beantwortung dieser Frage. So hat beispielsweise am Tag des Brexits die Bank of England erklärt, dass sie nicht zögern würde, zusätzliche Maßnahmen zu beschließen, um die Finanzmarktstabilität zu gewährleisten und negative konjunkturellen Auswirkungen zu begrenzen. Mittlerweile hat die britische Notenbank den Leitzins gesenkt und weitere geldpolitische Lockerungsmaßnahmen beschlossen, die den Ankauf von Staatsund Unternehmensanleihen beinhalten.
Vor dem Referendum wurde dagegen davon ausgegangen, dass der nächste geldpolitische Beschluss der Bank of England eine Zinserhöhung sein würde. Doch statt der US-amerikanischen Federal Reserve zu folgen hat die Zentralbank Großbritanniens nun denselben Weg eingeschlagen, den auch die meisten anderen Notenbanken gehen: den einer noch expansiveren Geldpolitik.
Mittlerweile ist die internationale Geldpolitik so expansiv wie niemals zuvor in den vergangenen gut 25 Jahren; dies zeigt unsere Auswertung der Leitzinsen von mehr als 40 Notenbanken. Selbst zum Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise war das Niveau der Leitzinsen nicht so niedrig wie es heute der Fall ist.
Der Medianwert des Leitzinses von 42 Zentralbanken ist nach der Zinssenkung der Bank of England nun erstmals auf unter 2% gesunken. Allein seit Beginn des letzten Jahres haben 25 Notenbanken ihren Leitzins gesenkt, nur 12 haben ihn erhöht. Von diesen 12 hat einzig und allein die Federal Reserve in den USA im Dezember 2015 die Zinsen mit der Begründung einer wirtschaftlichen Erholung angehoben, die übrigen 11 Zentralbanken mussten die Zinsen erhöhen, um einer Abwertung ihrer Währung vorzubeugen. Dies ist keine gute Entwicklung und legt die Schlussfolgerung nahe, dass das geldpolitische Arsenal ziemlich erschöpft ist.
Allerdings ist die Geldpolitik in den letzten Jahren immer kreativer geworden, sodass man davon ausgehen kann, dass zumindest noch etwas monetärer Spielraum vorhanden ist. Während die Schwellenländer die Möglichkeit haben mit herkömmlichen Mitteln, sprich Zinssenkungen, auf schwache Wirtschaftszahlen und deflationäre Risiken zu reagieren, müssen fast alle Industrieländer jedoch auf die sogenannte quantitative Lockerung setzen, wenn die Geldpolitik zukünftig noch expansiver werden soll.
Denn die Erfahrungen mit negativen Zinsen, die bisher in einigen europäischen Ländern und in Japan eingeführt wurden, sind keineswegs so, dass eine solche Zinspolitik große Nachahmer finden wird. Zu negativ sind die Auswirkungen auf den Bankensektor und die Sparer sowie auf die staatlichen und privaten Altersvorsorgesysteme. Von daher scheinen sich zukünftige Maßnahmen auf einen noch stärker forcierten Ankauf von Wertpapieren, also Staats- und Unternehmensanleihen, aber vielleicht auch von Aktien zu beschränken oder auf sogenanntes "Helikoptergeld", also die direkte Ausgabenfinanzierung von Staaten, Konsumenten und Unternehmen durch die Ausgabe von Zentralbankgeld ohne den Umweg über die Geschäftsbanken.
So könnte Japan die erste Volkswirtschaft sein, die das bislang nur in der Theorie durchdachte Konzept des Helikoptergeldes in die Praxis umsetzt. Nachdem die japanische Volkswirtschaft seit dem Platzen der Aktien- und Immobilienblase Anfang der 1990er Jahre fast ununterbrochen mit einem viel zu geringem Wirtschaftswachstum und einer hartnäckigen Deflation zu kämpfen hat, probiert die japanische Notenbank schon seit 1999 mit einer Nullzinspolitik für eine konjunkturelle Belebung zu sorgen. Doch bislang blieb der Erfolg dieser Maßnahmen aus. Statt dessen hat diese Art der Geldpolitik dafür gesorgt, dass die notwendige Bereinigung des Finanzsektors ausgeblieben ist.
So hat die Geldpolitik der Bank of Japan sogenannte "Zombie-Banken" geschaffen, die mit billigem und unbeschränkt zugänglichen Zentralbankgeld künstlich am Leben gehalten werden und die nach und nach auch die gesunden Banken schwächen - mit negativen Auswirkungen auf die gesamte Realwirtschaft. Die große Sorge ist, dass das Beispiel Japans Schule macht und auch andere Volkswirtschaften, die ähnliche strukturelle Probleme wie Japan haben, eine ähnliche Entwicklung nehmen könnten.
Vor allem in der Eurozone gibt es viele Parallelen zu der Entwicklung in Japan, angefangen mit der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung, über die hohe Staatsverschuldung und bis zum Agieren der Europäischen Zentralbank, die zusammen mit der Regulierung durch die Politik den europäischen Banken die Luft zum Atmen nimmt, ohne aber eine wirkliche Bereinigung des Sektors zuzulassen.