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Ist Inflation ein monetäres Phänomen?

24.10.2016  |  Klaus Singer
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Die Überschussreserven im US-Bankensystem liegen aktuell bei 2,16 Bill. Dollar - ein weiter Mantel für eine Kreditexpansion, sowie eine dadurch eventuell angestoßene inflationäre Entwicklung. Richard Koo nimmt als Referenzwert die 1,5 Mrd. Dollar vor der Lehman-Pleite und kommt darauf, dass die Geldmenge in den USA auf das 15-fache ihrer aktuellen Größe anwachsen könnte. Das würde dann rechnerisch zu einer Inflation bis auf 1500% führen. Für Japan und die Schweiz kommt er auf einen Faktor 28, dür die Eurozone auf fünf und für Großbritannien auf elf.

Das sind nette Gedankenspiele, ich glaube nicht, dass es zu solcher Hyper-Inflation kommt. Sie zeigen aber immerhin, dass die Zentralbanken ziemlich schnell in Zugzwang geraten. Fed-Chefin Yellen hat schon mal vorsorglich darauf hingewiesen, dass die US-Wirtschaft nun doch nicht so stark sein könnte wie immer behauptet und angedeutet, dass sie ein zeitweiliges Überschreiten des Zielbereichs von zwei Prozent Verbraucherpreisinflation zulassen würde.

Die Bewährungsprobe für den anderen Glaubenssatz des Monetarismus kommt jedenfalls noch: Haben die Zentralbanken wirklich eine so starke Stellung, dass sie die Geldmenge und damit die Inflation effizient kontrollieren können? Durch die Konstruktion unseres Geldsystems mit dem Kreditgeldschöpfungs-Privileg privater Banken haben die Zentralbanken nur eine recht indirekte Steuerungs-Möglichkeit der Geldmenge.

Inflation ist ein rein monetäres Phänomen - rechnerisch und im Nachhinein [2]. Sie ist aber auch ein psychologisches Phänomen: Wenn Verbraucher, insbesondere nach einer Phase stagnierender bis sinkender Preise (jedenfalls in der Statistik…), zu der Überzeugung gelangen, die Preise steigen und beschleunigen sich dann auch noch, werden sie geplante Ausgaben eher vorziehen, insoweit sie es sich leisten können, bzw. Kredit bekommen. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nimmt zu und setzt u.U. eine Entwicklung in Gang, die recht schnell ein Durchgreifen seitens der Zentralbanken erfordern würde.

Fazit 1: Da sich die Entwicklung der Geldmenge und auch die Umlaufgeschwindikeit des Geldes (zum Teil) der Kontrolle durch die Zentralbanken entzieht, können die Zentralbanken die Inflation nicht in allen Fällen effizient steuern.

Und hier kommt der Psychologie zweiter Akt: Die monetären Vorturner dürften bei einer überraschend anziehenden Inflation eher zögern, niemand will sich sagen lassen, dass er die schöne Konjunktur abwürgt. Also wird man zunächst das Überschreiten der zwei-Prozent-Hürde begrüßen und als (späten) Erfolg der eigenen Geldflutung feiern. Und wenn man erst einmal feiert, kann man ja nicht gleich den Hahn zudrehen. Man wird also alle möglichen Ausreden erfinden, warum dieses Mal alles anders und die Inflation schön ist.

Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass die Zentralbanken viel zu spät reagieren und dann entsprechend drastisch eingreifen müss(t)en. Wie sieht so eine Reaktion aus? Entweder werden die Mindestreservesätze hoch geschraubt oder die Überschussreserven werden aktiv reduziert durch Verkauf der in diversen QE-Programmen angehäuften Anleihen. Beide Maßnahmen führen zu steigenden Zinsen. Da die entwickelten Volkswirtschaften ihre gesamte Schuldenquote nicht reduziert haben und die Wachstumsdynamik u.a. deswegen gedrückt ist, werden steigende Zinsen recht bald zu ersten Pleiten führen.

Besonders gefährdet ist hier das völlig überdimensionierte Bankensystem der Eurozone. Die in der Quelle angegebenen Zahlen stammen aus 2012/2013 - im Grundsatz hat sich an den Verhältnissen aber bis heute wenig geändert. Daher dürfte die EZB ihr laufendes QE-Programm auch noch nicht so bald abwürgen und vermutlich sogar über das geplante Ende im März 2017 hinaus verlängern. Hüfner glaubt, an eine Zinserhöhung sei noch lange nicht zu denken: "Die kommt erst, wenn die Wertpapierkäufe ganz zurückgeführt sind, also frühestens in den Jahren 2018/2019“. Oder vielleicht erst 2020… oder…

Fazit 2: Wenn schon Zweifel bestehen, dass die Zentralbanken die Inflation in jeder Lage effizient kontrollieren können, so darf erst recht bezweifelt werden, dass sie es auch wollen. Schließlich entlastet hohe Inflation die Schuldner, und große Schuldner gibt es wahrhaftig genug. Viele sind angeblich sogar systemrelevant.

Die große Frage ist, wie die Finanzmärkte auf eine mögliche Trendwende bei den Preisen reagieren. In diesem Zusammenhang dürfte zunächst die Inflationsillusion eine Rolle spielen. In einem inflationären Umfeld werden nominale, inflationsgetriebene Wachstumsraten von Dividenden und Gewinnen als real angesehen und in die Zukunft extrapoliert. Wenn Anleihegläubiger eine bestimmte positive reale Rendite erwarten, werden sie bei steigender Inflationsrate eine steigende nominale Verzinsung verlangen.

Für die alternative Aktienanlage bedeutet das, dass damit zunächst auch ihr Ertragsrahmen steigt. In einem entwickelten Inflationsszenario (mit Zweitrundeneffekten) kommt hinzu, dass den Unternehmen ihre höhere Preismacht hilft, ihre Margen zu steigern. Das untermauert die Anleger-Erwartung zunächst noch. Schließlich folgen aber der Inflationsillusion enttäuschte Erwartungen an die reale Entwicklung der Aktienerträge, es kommt zu Kapitalabflüssen, die Kurse fallen.

Tom McClellan hat auf einen interessanten Zusammenhang zwischen Ölpreisen und Aktienkursen (Dow Jones Industrial Average) hingewiesen. Öl ist der zentrale Rohstoff unserer Tage. Wenn steigende Ölpreise an die Verbraucher weitergegeben werden können, stärkt das die Inflationsillusion, so eine mögliche Interpretation.

Stellt man Produzenten- und Verbraucherpreisinflation in den USA gegenüber, so ergibt sich seit Februar wieder ein "gesundes" Verhältnis (siehe Chart!). Dies war zuletzt auch zwischen Anfang 2012 und Anfang 2015 der Fall. Das könnte die Inflationsillusion stützen.

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Zunächst einmal muss man aber genau hinsehen, ob sich tatsächlich weitere Signale ergeben, die ein nachhaltiges Anlaufen der Inflation untermauern. Hierzu dürfte vor allem gehören, dass sich die Löhne und Gehälter positiv entwickeln und für mehr Nachfragepotenzial sorgen. Dies verleiht den Unternehmen Marktmacht, gestiegene Kosten von Rohstoffen an die Verbraucher weiter zu geben. Zudem kommt es darauf an, dass sich die Kreditgewährung in der Realwirtschaft ausweitet - nicht nur für Immobilien.


Zusammenfassung:

Die Inflation hat einen Boden gefunden. Kommt es zu einer Trendwende nach oben, erfordert das zwar eine mentale Neuausrichtung der Akteure an den Finanzmärkten. Entschlossene Aktionen der Zentralbanken zur Eindämmung von Preissteigerungen über die Grenze von zwei Prozent hinaus sind aber zunächst nicht zu erwarten, und damit auch keine Maßnahmen, die Geldmenge effizient einzudämmen.

Erwähnte Charts, weiterführende Verweise und Quellenangaben können hier eingesehen werden.


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de



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