Manipulation oder Revolution? Die wahre Bedeutung des Barclays Silber-ETF
15.11.2006 | Peter Boehringer
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Es gibt eine Reihe möglicher Erklärungen, wobei auch mehrere davon zugleich richtig sein können.1. Der physische Silbermarkt gibt die vom SLV benötigten 130 Millionen Unzen problemlos her.
Diese Möglichkeit kann man angesichts der vielfach belegten Enge des Marktes bei den o.g. Mengen ausschließen. Der kleine aber vergleichbar strukturierte "Central Fund of Canada" hat vor einiger Zeit nachweislich (nur) 8 Mio. Silberunzen physisch bezogen und hat dafür Monate benötigt.
2. Barclays kauft zeitnah immer nur "kleine" Mengen physisches Silber entsprechend den Netto-Neueinlagen in den SLV.
Diese Variante ist unwahrscheinlich, weil die derzeit benötigten etwa 3-5 Mio. Unzen pro Woche eben keine "kleinen Mengen" darstellen und daher sofort den Preis erheblich bewegen müssten! Zudem wäre sie kaufmännisch unklug und für den Silbermarkt und für Barclays untypisch weil geradezu revolutionär transparent... Zwar wird ein solches Vorgehen den Anlegern suggeriert (fast täglich veröffentlicht der SLV die aktuelle Zahl der "ounces in trust"). Die SLV-Bedingungen lassen jedoch -gut verklausuliert- zu, dass der SLV nicht sofort beim Eingang von Neueinlagen physisches Silber ankauft. Auch sind Papiersilber-Transaktionen (z.B. über Futures oder über angeblich mit physischem Silber hinterlegte Produkte dritter Anbieter) möglich und zulässig! Die veröffentlichten Silbermengen sind insofern eher als Silberäquivalent zu verstehen, d.h. als "physisches Silber und Silberforderungen", auch wenn das so klar nicht auf der Homepage des SLV steht. Dieses Vorgehen hat ein "Vorbild" in den Bilanzen der meisten Notenbanken, die -von der BIZ und vom IWF sanktioniert- diese beiden grundverschiedenen Positionen bei Gold ebenfalls in einer Bilanzposition ausweisen und nicht weiter erläutern!
3. Barclays hat die 130 Millionen Unzen über die offiziellen physischen Märkte bezogen - aber schon vor dem Start im April 2006.
Dies hat Barclays noch bis etwa Frühjahr 2006 suggeriert ("physische Unterlegung des ETFs mit derzeit über 100 Mio. Unzen" - Meldung durch "Godmode Trader" unter Berufung auf Barclays). Tatsächlich hatte Barclays zum Start des SLV dann jedoch lediglich 1,5 Mio. Unzen offiziell hinterlegt, was noch nicht einmal 1,5% der bereits heute gezeichneten SLV-Anteile entspricht. Es wäre auch kaum vorstellbar, dass eine physisch getrennte ("allocated") Einlagerung von über 100 Mio. Unzen in England unbemerkt hätte geschehen können. Daher ist eine solche "saubere" physische Hinterlegung nicht wahrscheinlich.
4. Barclays hat die 130 Millionen Unzen außerbörslich bezogen.
In der Tat hält sich am Markt hartnäckig das Gerücht, dass Barclays direkt oder wohl eher indirekt das ehemals Buffet´sche Silber angekauft hat. Warren Buffet hat dieses Silber (exakt 130 Mio. Unzen) vor 1998 gekauft und vor 2006 wieder verkauft. Die Identität dieser Menge (und sogar des Lagerorts London) mit dem genehmigten SLV-Volumen lässt diese Variante wahrscheinlich erscheinen. Selbstverständlich stellt sich in diesem Fall sofort die Frage, woher dann im Falle einer Aufstockung des SLV oder eines anderen neuen Silber-ETFs die Silbermengen zur Deckung kommen sollen! Ein zweiter Silber-Hort in der Buffet´schen Größe ist weltweit nicht bekannt.
5. Barclays hat sich die 130 Millionen Unzen über entsprechende Long-Positionierungen am Silber-Futures-Markt seit Herbst 2005 bis zum SLV-Start im April 2006 gesichert.
Diese Variante ist durchaus denkbar. Falls es so gewesen sein sollte, kann man feststellen, dass alleine diese "Papiersilber"-Transaktionen den Silberpreis von etwa 9 Dollar/Unze bis auf 14 Dollar/Unze um mehr als 50% nach oben getrieben haben! Auch hier kann man die Frage stellen, was eine Aufstockung des SLV über 130 Mio. Unzen hinaus bewirken würde oder gar, was geschehen würde, wenn der SLV -statt die Future-Positionen immer wieder zu prolongieren- von seinen Future-Gegenparteien nun tatsächlich Lieferung verlangen würde. Ähnlich wie am Nickelmarkt der LME im August 2006 geschehen, müsste die Comex dann wohl den sofortigen "Default" (kurzzeitige Aufhebung der Lieferverpflichtungen) im Silbermarkt verfügen - um danach eben doch die unvermeidliche Preisexplosion zuzulassen!
6. Parallel zu preistreibenden physischen Käufen wird der Markt durch Gegentransaktionen tief gehalten.
Diese Variante macht zwar aus Sicht der SLV-Anleger keinen Sinn. Durchaus jedoch für eine Barclays, die ebenso wie andere US-Großbanken schon in der Vergangenheit durch fortgesetzte Short-Manipulationen der Edelmetallmärkte aufgefallen ist: Barclays war im Zusammenspiel mit Notenbanken und anderen Bullion Banken jahrelang im Goldleihe-Geschäft involviert. Auch das berüchtigte "Hedging" (Gold-Vorausverkäufe) großer Goldminengesellschaften wurde durch Barclays mitbetrieben - immer mit dem Ziel der fortgesetzten Goldpreisdrückung oder auch nur zur Generierung von Zins- oder Gebührenerträgen. Wer eine solche Vergangenheit hat, dem darf man ohne weiteres das preisdrückende Verleihen physischer SLV-Silberbestände oder auch Short-Spekulationen mit SLV-Anlagegeldern zutrauen! Beides wäre natürlich völlig unseriös gegenüber den SLV-Kunden und entgegen dem Geist eines auf steigende Silberpreise setzenden Silber-ETFs. Beides ist jedoch gemäß dem von der SEC genehmigten SLV-Regelwerk nicht verboten und damit zulässig!
7. Barclays leiht sich in London lagernde Silberbarren befreundeter Banken oder "kauft" sie auf, obwohl sie bereits einen anderen Eigentümer haben.
Solche "preisneutralen" Mehrfachkäufe oder Mehrfachleihen von Edelmetallbarren sind mangels unabhängiger Audits bei den großen Lagerstellen zwar nicht beweisbar - aber durchaus wahrscheinlich. Ausschließen könnte man dies nur bei unabhängig überwachter, von Fremdbeständen komplett getrennter physischer Lagerung der SLV-Barren (sog. "allocated silver"). Das SLV-Regelwerk lässt aber "unallocated silver" explizit zu. Da immer weniger physisches Silber bei den großen Notenbanken der Welt lagert, dürfte jedoch die praktische Bedeutung dieser Mehrfachverkäufe derzeit sinken.