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Neuer Börsenaufschwung oder Spekulationsblase Teil II?

14.12.2003  |  Roland Leuschel
Inflation oder Deflation?

Es gibt ein altes Sprichwort: "Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte". Die Antwort auf die Hamlet-Frage "über Sein oder Nichtsein" - "Inflation oder Deflation", könnte für das nächste Jahrzehnt lauten: Stagflation, eine Mischung aus wirtschaftlicher Stagnation und schwachen Wachstumsraten (0.5 bis 1,5% p.a.), sowie ansteigenden Inflationsraten (4 bis 6% p.a.).


Defizite, Defizite, Defizite

In diesem Jahr 2003 wird das Leistungsbilanzdefizit der (noch) größten Volkswirtschaft der Welt, der USA, rund 600 Milliarden Dollar aufweisen, das heißt, der seit 1981 einsetzende Prozess, die USA importieren mehr Produkte und Dienstleistungen als sie exportieren, erfährt eine Beschleunigung.

Immerhin repräsentieren diese 600 Milliarden Dollar etwa 5,5% des Bruttosozialproduktes der USA (11.047,5 Milliarden Ende 2002). Gleichzeitig steuert das laufende Haushaltsjahr auf ein Defizit von über 600 Milliarden Dollar zu. Angesichts dieser Zahlen fällt es mir schwer, an die besonders von vielen europäischen Politikern gepriesene sogenannte wirtschaftliche Überlegenheit Amerikas gegenüber der restlichen Welt zu glauben, aber es wundert mich nicht, daß gerade in jüngster Vergangenheit es die Amerikaner sind. die eindeutig protektionistische Handelsmaßnahmen ergreifen. Finanziert wird dieses Defizit mit gedrucktem Papier, d.h. mit amerikanischen Dollars, ein Geld, das die Amerikaner selber mit minimalen Kosten drucken können.

Falls es Bürger geben sollte, die diesen Zusammenhang vergessen haben, hat der Gouverneur der amerikanischen Notenbank und wahrscheinliche Nachfolger von Alan Greenspan, Professor Ben S. Bernanke, in seiner Rede Ende November 2002 an folgende Tatsachen klar und deutlich erinnert: "Aber die US-Regierung verfügt über eine Technologie, genannt Druckerpresse (oder heutzutage ihr elektronisches Äquivalent), die es ihr gestattet, ohne Kosten so viele US-Dollar zu produzieren, wie sie will" - ("But the US government has a technology, called a printing press (or, today its electronic equivalent, that allows it to produce as many US dollars as it wishes at essentially no cost".).

Danke, Herr Bernanke, für diese Belehrung und Ihre Offenheit; denn dieser Neuling im Machtzentrum der amerikanischen Notenbank hat unverblümt das ganze Waffenarsenal der Fed aufgezählt, das sie einzusetzen gedenkt, sollte es ihrer Meinung nach notwendig sein: Ankauf langfristiger US-Staatsanleihen, mit dem Ziel die Kapitalmarktzinsen zu manipulieren. Kauf von Schuldverschreibungen des Privatsektors und ausländischer Staatsanleihen und Bereitstellung niedrig- oder gar unverzinslicher Kredite für den Privatsektor. Damit öffnete Bernanke vor aller Welt die zentralbankeigene Büchse der Pandora. Doch zurück zum Leistungsbilanzdefizit.

Also pro Minute fliessen für 1 Million Dollar Waren und Dienstleistungen nach Amerika und im Gegenzug verlassen 1 Million frisch gedruckte Dollar-Banknoten die USA, im wesentlichen in Richtung Asien. Und so kommt der Teufelskreis in Gang. Seit 1982 steigen entsprechend die internationalen Währungsreserven (global money supply) in der Höhe des amerikanischen Leistungsbilanzdefizits. Und in diesem Jahr kann die internationale Gemeinschaft ein Jubiläum feiern: Die 1.600.000 Millionen-Marke wurde erreicht (Chart l), und der Tanz auf dem Vulkan kann weitergehen.

Wie hätte man diese Entwicklung vermeiden können? Die Antwort ist recht einfach: Unter Beibehaltung des 1971 aufgelösten Bretton Woods Währungssystems, das eine de facto Goldverankerung vorsah und nach dem 2. Weltkrieg etabliert wurde. In dem Zeitraum 1949 bis 1969 stiegen die internationalen Reserven um 55%, in den darauffolgenden 30 Jahren stiegen sie um 2.000%. Nach dem Bretton Woods de facto Goldsystem hätten die USA nicht sehr lange solche Leistungsbilanzdefizite finanzieren können, ganz einfach weil ihnen die Goldreserven weggeschmolzen wären. Um ein konkretes Beispiel zu geben: Laut IMF-Statistiken betragen die Goldreserven der USA 83,3 Milliarden Dollar. Im Jahre 2001 allein betrug das Handelsbilanzdefizit mit China 83 Milliarden Dollar.

Aber das Bretton Woods Währungssystem ist Vergangenheit und solange die Welt an den Papierdollar glaubt, so lange können die Vereinigten Staaten ihre Defizite und damit ihre Verschuldung erhöhen.
"Technisch gibt es keine Limite für den Betrag solcher Kreditinstrumente, die die Vereinigten Staaten schaffen können". ("There are technically no limits as to the amount of such credit Instruments that the United States can create." - Richard Duncan - The Dollar Crisis - Causes, Consequences and Cures.) Aber vielleicht werden die Asiaten unter Führung der Chinesen in nicht allzu weiter Zukunft die Grenzen dieser amerikanischen Verschuldung aufzeigen. Eine neue Epoche würde beginnen... Aber die Realität ist ganz einfach: Die japanische Zentralbank hält über 650 Milliarden Dollar und die chinesische über 400 Milliarden Dollar in amerikanischen Staatspapieren.


Das kollektive Rauschmittel: Geld

Der renommierte Schweizer Professor Peter Buchholz kommt in seinem kürzlich erschienenen Buch "Monetary Regimes and Inflation, History, Economic and Political Relationships" zu dem Schluss: "Das politische System tendiert dazu, eine inflationäre Neigung bei Währungen zu favorisieren." Mit anderen Worten, Politiker drucken Geld, wenn man sie lässt. "Und Notenbanker, ob amerikanische, europäische oder asiatische, folgen mehr oder weniger willig den politischen Weisungen." Und so bekannte Ende Oktober dieses Jahres (Interview in Die Zeit vom 23.10.03) der angesehene und jetzt pensionierte Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl: "Am Ende ist Notenbankpolitik eben Politik." Auf die Frage, wie unabhängig auch die Bundesbank war, antwortete er lakonisch: "Die Unabhängigkeit der Bundesbank hatte man theoretisch mit der einfachen Mehrheit des Bundestages aushebeln können." Und er prophezeit der "sogenannten Unabhängigkeit der EZB" noch turbulente Zeiten, "wenn ein möglicher Kollaps des US-Dollars die EZB vor schwierige Entscheidungen stellen würde".

Der Entwurf für eine europäische Verfassung soll es der Politik ermöglichen, Artikel in der Satzung der EZB einfacher als bisher zu ändern. Das bisherige Verfahren (einstimmiges Votum der Regierungskonferenz der EU-Staaten) soll ersetzt werden durch ein Votum der qualifizierten Mehrheit im Ministerrat. "Der ganze Verfassungsentwurf zeigt, dass die Rolle der Geldpolitik zurückgedrängt und der politische Einfluss tendenziell gestärkt wird", sagte der Ökonom Manfred Neumann von der Universität Bonn. Und die Bundesbank fügt hinzu: "Vorsicht ist geboten, wenn durch vermeintlich technische Anpassungen Veränderungen am Vertrag vorgenommen werden, die weitreichende Indikationen für die europäische Währungsverfassung haben können ... Bei der Aufgabe der D-Mark hat die Politik das Versprechen gegeben, dass Stabilitätskultur und Unabhängigkeit der Notenbank auf europäischer Ebene Bestand haben; daran ist zu erinnern." Vielleicht sollten wir die Bundesbanker daran erinnern, dass das Brechen von Versprechen und die Lüge in der Politik an der Tagesordnung sind.

Peter Buchholz kommt zu dem schwerwiegenden Urteil: "Alle überlieferten Hyperinflationen haben während des 20. Jahrhunderts stattgefunden, also unter willkürlichen Papiergeldsystemen, mit der Ausnahme der Hyperinflation während der französischen Revolution, als das französische Währungssystem auf einem Papiergeldstandard basierte."

Buchholz gibt eine Fülle von Beispielen und Episoden, die aufzeigen, dass der weltweit verbreitete Glaube an die Vorzüge, ja Notwendigkeit ungedeckten Papiergeldes geradezu etwas religiöses hat. Er weist auch darauf hin, dass Hyperinflationen immer durch Defizite des Staatshaushaltes, die überwiegend durch Geldschöpfung finanziert werden, entstehen. Und ich stelle mir die Frage, sind alle Bedingungen bereits erfüllt, um eine neue Inflationswelle wie in den 70er Jahren auszulösen? Es kommt mir vor, als wäre das Geld ein kollektives Rauschmittel, das schon bei kleinen Dosen eingenommen, süchtig macht. Der große liberale Denker und Ökonom des vergangenen Jahrhunderts, der Österreicher Friedrich August von Hayek, legte in seinen Schriften in aller Deutlichkeit dar, warum Inflation für uns alle so problematisch ist:

"Sie ist schwer zu stoppen, wenn sie erst einmal in Gang gekommen ist. Sie vermittelt eine wirtschaftliche Scheinblüte, die nur am Leben erhallen werden kann, wenn sie ständig zunehme. Sollte sie aber von Notenbanken zum Beispiel über Zinserhöhungen abgebremst werden, kommt es unweigerlich zum Konjunktureinbruch, der viel Arbeitslosigkeit erzeugt und damit die Politiker ermutigt, die Inflationsbeschleunigung fortzuführen. Letzten Endes erleidet die marktwirtschaftliche Ordnung einen schweren Schaden und ist in großer Gefahr durch ein anderes System ersetzt zu werden.

In den meisten Volkswirtschaften herrscht bereits seit einigen Jahren Inflation und zwar nicht in der Form der Verteuerung der Konsumentenpreise, sondern in der Form der sogenannten "Asset-Price-Inflation", das heißt Grundstücke, Immobilien und Aktien befinden sich nach allen fundamentalen Bewertungsmaßstäben bereits in einer Blase. Der Ökonom Thorsten Polleit von der großen britischen Barclays Bank hat errechnet, dass die vorhandene Überschussliquidität im Euro-Raum (= die noch nicht durch Mengen oder Preise abgebaute Geldmenge) reicht, um das allgemeine Preisniveau der Güter und Dienstleistungen um 7% zu heben. "Alle Erfahrungen legen nahe, dass dies letztlich die Inflation in die Höhe treiben wird." (FAZ vom 17.11.03: "Es ist zu viel Geld im Umlauf"). Aber es muss nicht unbedingt sofort zu einer riesigen Inflationswelle kommen. Es besteht durchaus ein gewisser Wahrscheinlichkeitsgrad, dass wir zunächst einmal ein deflationäres Intermezzo in unseren Volkswirtschaften erleben.




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