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Interview mit Ronald Stöferle: Gezeitenwende in der Finanzwelt und die drohende Rezession (Teil 1/2)

26.06.2018  |  Chris Martenson
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Es gibt also durchaus Marktbeobachter, die den Wirtschaftsrückgang kommen sehen, aber die treten natürlich nur selten im Fernsehen auf. Man kann die Situation also aus Sicht des Geldmengen- und Kreditzyklus betrachten, aber die bekanntesten Wirtschaftsexperten sprechen heutzutage praktisch gar nicht mehr über die Rolle der Schulden in der Wirtschaft. Dabei ist das ein wichtiger Punkt, der viel stärker berücksichtigt werden sollte.

Kommen noch kurz darauf zu sprechen, was genau mit einer Rezession überhaupt gemeint ist. Ich will Ihnen keine Worte in den Mund legen, also korrigieren Sie mich bitte, wenn ich unrecht habe, aber bei der bevorstehenden Rezession handelt es sich nicht um einen normalen Abschwung im Rahmen des Konjunkturzyklus. Sie ist vielmehr die Folge des Endes der Kreditausweitungen. Warum ist diese Art des wirtschaftlichen Rückgangs potentiell besonders problematisch?


Ronald Stöferle: Ich bin ganz Ihrer Meinung. Zunächst einmal ist eine Rezession per Definition nichts Negatives. Von Zeit zu Zeit sind solche Phasen nötig, um das System, die Marktteilnehmer und die Unternehmen widerstandsfähiger zu machen. Einen Abschwung künstlich zu verhindern und die Märkte einfach mit Liquidität vollzupumpen, um das böse R-Wort zu vermeiden, macht das System in Wirklichkeit instabiler und anfälliger. Aus Sicht der Österreichischen Wirtschaftsschule sind Rezessionen etwas ganz Normales und sogar Positives, weil sie das System als Ganzes gesünder machen.

Wir erleben derzeit, dass der Grenznutzen zusätzlicher Schulden radikal abnimmt. Wie Sie eben angedeutet haben, brauchen wir eine ewig steigende Wachstumsrate. Aktuell wachsen die Geldmengen aber nur sehr, sehr langsam. In den USA sind es derzeit nur zwei oder drei Prozent, glaube ich. Dr. Lacy Hunt hat diese Verlangsamung des Kreditwachstums sehr gut analysiert und ist zu dem Schluss gekommen, dass schon bald ein Abschwung einsetzen könnte.

Ein weiterer Faktor ist die zunehmende Abflachung der Zinsstrukturkurve, die sich in einigen Monaten wahrscheinlich umkehren wird. Natürlich erklären alle Experten, warum dieses Mal alles ganz anders ist, warum die Umkehr der Zinskurve diesmal keine Konsequenzen haben wird und nicht auf eine Rezession hindeutet. Aber am Ende wird es so kommen, wie es immer kommt.

Für den Bericht haben wir uns auch die vom Congressional Budget Office veröffentlichten Wirtschaftszahlen angesehen. Diese US-Regierungsbehörde geht davon aus, dass es in den Vereinigten Staaten in den nächsten zehn Jahren nicht zu einer Rezession kommen wird. Meiner Meinung nach ist das - höflich ausgedrückt - reichlich naiv. Doch selbst im Rahmen dieser äußerst optimistischen, rosigen Aussichten für die US-Wirtschaft rechnet das CBO für die nächsten zehn Jahre mit einem jährlichen Haushaltsdefizit von 1 Billion Dollar und einem kumulativen Defizit von 13 Billionen Dollar für 2018-2028.

Man braucht wirklich keinen Doktor in Wirtschaft oder Mathematik, um zu erkennen, dass da nicht viel Raum für steigende Zinsen bleibt - ganz zu schweigen von steigenden Realzinsen.

Das Problem beschränkt sich selbstverständlich nicht nur auf die USA. In Europa haben wir mit ganz ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, und wir dürfen nicht vergessen, wie die Situation in Italien, aber auch in Spanien und Frankreich ist. In allen drei Länder haben die Menschen praktisch gegen die deutsche Sparpolitik gestimmt und in all diesen Ländern, die für die Eurozone von zentraler Bedeutung sind, finden derzeit tiefgreifende Umwälzungen statt. Das wird sich natürlich auch auf ihre politischen Entscheidungen auswirken.

All diese kleinen Anzeichen führen mich zu der Schlussfolgerung, dass man über gewisse Goldanlagen verfügen sollte. Und zwar wahrscheinlich nicht nur 2% des Portfolios, sondern deutlich mehr. Ich denke, dass das Edelmetall aufgrund seines Chance-Risiko-Profils derzeit ein sehr attraktives Investment ist.


Chris Martenson: Definitiv. Ich würde gern die Implikationen für den Goldpreis mit Ihnen erörtern. Eine besonders enge Korrelation zwischen der Inflation und dem Goldpreis sehe ich nicht, aber ich erkenne durchaus einen Zusammenhang zwischen Gold und den Haushaltsdefiziten der US-Regierung, insbesondere, wenn diese auf gigantische Summen anwachsen. Die USA lassen Unmengen an neuem Geld in das Finanzsystem fließen und das hat oft recht eindeutige Auswirkungen auf den Goldpreis, ebenso wie negative Realzinsen.

Meiner Einschätzung nach wird die Inflation - und ich meine die reale Inflationsrate - schneller steigen als das Zinsniveau. Das wäre positiv für den Goldpreis. Aber wenn es wirklich zu einer Rezession kommt, welche Gründe sprechen dann dafür, dass sich Gold gut entwickelt, statt im Zuge von deflationären Trends ebenfalls zu sinken?


Ronald Stöferle: Nun, wir haben alles durchgerechnet und verschiedene Rezessionen analysiert und das Ergebnis ist recht eindeutig. Während der letzten Abschwünge hat Gold im Schnitt 20% zugelegt. Am Goldmarkt werden dabei wahrscheinlich die zu erwartenden finanziellen und monetären Stimulierungsmaßnahmen der Zentralbanken und Politiker eingepreist. Außerdem kommt es bei einer Rezession typischerweise zu großen Kursverlusten an den Aktienmärkten und auch an den Immobilienmärkte könnte es abwärts gehen. Die Anleger werden also auf der Suche nach einem sicheren Hafen sein.

Wir können natürlich nicht mit Sicherheit wissen, ob das beim nächsten Mal auch der Fall sein wird. Vielleicht werden große Kapitalmengen in Bitcoin fließen. Bitcoin und die anderen Kryptowährungen haben noch keinen vollen Konjunkturzyklus mitgemacht, daher kann niemand genau wissen, wie sie sich im Rahmen einer Finanzkrise oder eines großen Crashs entwickeln werden. Aber ich denke, dass eine ansehnliche Kapitalmenge auch in Gold fließen wird.


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