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Interview mit Ronald Stöferle: Gezeitenwende in der Finanzwelt und die drohende Rezession (Teil 2/2)

28.06.2018  |  Chris Martenson
(Kurz nach der Veröffentlichung des umfangreichen Berichts "In Gold We Trust", der einmal im Jahr von der Incrementum AG herausgegeben wird, war Ronald Stöferle, Partner und Mitglied der Geschäftsleitung von Incrementum, bei uns zu Gast, um die Lage und die Aussichten am Goldmarkt zu diskutieren. Ronald Stöferle ist der Autor mehrerer Bücher zum Thema Wirtschaftstheorie und der Leiter der Abteilung für Investmentstrategie und Portfoliomanagement bei Incrementum.

Seiner Einschätzung nach ist Gold in US-Dollar derzeit extrem günstig. Er geht davon aus, dass im Edelmetallsektor ein neuer Bullenmarkt im Entstehen begriffen ist, der rasant an Dynamik gewinnen wird, wenn es zur nächsten ernsten (und längst überfälligen) Korrektur an den Finanzmärkten kommt.)


Chris Martenson: Nun, großartig bewegt hat sich der Goldpreis in den letzten Jahren wirklich nicht. Letztlich ist er immer in seiner Handelspanne geblieben. Woran liegt das? Viele Leute fragen sich zudem, warum das nicht auch in den kommenden Jahren so bleiben sollte. Ganz gleich, ob man Manipulationen oder dem Einfluss der Bullionbanken oder anderen Faktoren die Schuld gibt - Gold war als Anlageklasse in den letzten Jahren wirklich nicht gerade spannend. Können Sie das erklären? Warum glauben Sie, dass sich der Goldpreis künftig von den Einflüssen befreien könnte, die ihn zurückhalten?

Ronald Stöferle: Ich gebe Ihnen recht, die letzten Jahren waren ziemlich langweilig und äußerst frustrierend. Ich zitierte einen deutschen Journalisten, der sagte, dass Gold Cha-cha-cha tanzt: ein Schritt vor, ein Schritt zur Seite und ein Schritt zurück. Es gab ein paar Versuche, aus diesem Schlamassel auszubrechen und den Widerstand bei 1.360-1.380 $ zu durchbrechen, doch das ist nicht gelungen. Aber jetzt muss ich einen anderen Kollegen zitieren, Adrian Day, der sagt, dass die Leute einfach zu hohe Erwartungen an Gold haben.

Wir dürfen nicht vergessen, dass die Aktienkurse in der Nähe ihrer Allzeithochs notieren, dass sich die Preise an den Immobilienmärkten gut entwickeln, dass an den Anleihemärkten noch alles ganz gut läuft, dass die Kryptowährungen anderen Assets in gewisser Weise die Show gestohlen haben, und dass viele Menschen das Vertrauen in das Finanzsystem, die Banken und selbst die Politiker wiedergewonnen haben. Die Inflation bereitet derzeit keine großen Sorgen, die Löhne steigen usw. Angesichts all dieser Faktoren würde man zu dem Schluss kommen, dass die Hintergrundbedingungen für Gold alles andere als optimal sind. Aber dennoch hält sich der Kurs ganz gut.

Wenn sich einige dieser Faktoren schließlich umkehren und der Gegenwind zu Rückenwind wird, d. h. wenn die Volatilität an den Aktienmärkten steigt, wenn sich an den Anleihemärkten vielleicht erste Risse bilden, und wenn die Menschen erneut das Vertrauen in das System verlieren, dann wird wieder Bewegung in den Goldmarkt kommen. All die Vermögensverwalter, Banker und Finanzberater, die früher empfahlen, mindestens 5-10% des Portfolios in Gold zu investieren, finden Goldanlagen heute lächerlich.

Ihrer Ansicht nach sollten Anleger gar kein Gold besitzen, dafür aber all die Technologieaktien aus den USA. Wenn sich diese Meinungen wieder ändern - und das wird nicht von einem Tag auf den andren passieren, sondern ein langsamer Prozess sein - dann wird der Goldpreis auch wieder eine starke Aufwärtsdynamik entwickeln.


Chris Martenson: Ich würde gern kurz einen der frustrierendsten Aspekte des Goldmarkts ansprechen: den Versuch, Angebot und Nachfrage, Bestands- und Stromgrößen tatsächlich zu beziffern. Ich kann keine wirklich guten Daten zu den Goldbeständen finden. Ich versuche, die anscheinend substantielle Verlagerung der Bestände von West nach Ost zu verstehen, diesen Goldfluss, der von London und New York über die Schweiz nach China, Indien und in zunehmendem Maße auch Russland führt. Welche Bedeutung messen Sie diesen Strömen bei und welche Auskünfte können Sie uns über den Umfang der Goldbestände im Allgemeinen geben? All das Gold muss schließlich irgendwo herkommen.

Ronald Stöferle: Das ist ein sehr guter Punkt. Ich glaube ein Historiker hat einmal gesagt, dass Gold immer in florierende Länder mit positiven demografischen Entwicklungen fließt. Es ist also recht logisch, dass das Edelmetall derzeit von West nach Ost fließt und es ist auch kein Zufall, dass am Goldmarkt der Zentralbanken vor allem die Notenbanken der Schwellenländer den Ton angeben.

China besitzt natürlich viel größere Goldreserven, als offiziell angegeben wird. Wir beobachten, dass auch die Inder noch immer Unmengen Gold kaufen. Und Russland kann einen großen Teil seiner ausstehenden Währung mit Gold decken. Kasachstan, die Türkei und viele andere Staaten wollen ihre Dollar-Risiken absichern und Reserven schaffen. Natürlich besitzen sie weniger Gold als die westlichen Staaten, aber wir können hier einen langfristigen Trend erkennen.

Was das Verhältnis zwischen Beständen und Strömen anbelangt, unterscheidet sich unsere Analyse grundlegend von anderen Berichten dieser Art, weil wir der vierteljährlichen oder jährlichen Minenproduktion keine allzu große Bedeutung beimessen. Meiner Meinung nach ist es ziemlich irrelevant, ob die Fördermenge im nächsten Jahr 1,5% steigt oder 1,5% sinkt, weil der Gesamtbestand im Verhältnis zu dieser Stromgröße so enorm groß ist. In der Geschichte der Menschheit wurden rund 190.000 Tonnen Gold gewonnen. Natürlich weiß niemand genau, ob diese Zahl einigermaßen exakt ist, oder ob es nicht sogar mehr war.

Doch gehen wir von 190.000 Tonnen Gold aus. Im Vergleich dazu ist der jährliche Ausstoß der Goldminen mit derzeit rund 3.300 Tonnen verschwindend gering. Das ist der große Unterschied zwischen Gold und Rohstoffen wie Öl oder Agrarprodukten, die tatsächlich verbraucht werden. Wir haben diesen Punkt in unseren letzten Berichten genau untersucht, weil es wirklich wichtig ist, dieses Konzept zu verstehen.


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