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Die These Hyperinflation

20.08.2004  |  Robert Rethfeld
Eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise scheint unausweichlich, darin sind sich viele scharfsinnige Analytiker einig. Das Schuldenproblem drückt immer stärker auf die Staatshaushalte, besonders die Vereinigten Staaten treiben es durch steigende Militärausgaben und laufende Steuersenkungen auf die Spitze. Über die "Lösung" des Schuldenproblems wird jedoch heftig gestritten. Wird eine Deflation, begleitet von einem Zusammenbruch der Wirtschaft und von Massenarbeitslosigkeit das Schicksal der Weltwirtschaft besiegeln, oder übernimmt eine durch den weiteren massiven Liquiditätsaufbau getriebene und letztendlich in Hyperinflation mündende Entwicklung diese Aufgabe?

Der Autor Alf Field (1) bringt die Antwort in einem Essay auf den Punkt:

"Ein deflationärer Zusammenbruch setzt zwei Faktoren voraus: a. Eine starke Währung, die das Vertrauen der Investoren genießt; b. Die Unfähigkeit von Zentralbanken, neues Geld zu drucken. Diese Voraussetzungen waren in den 30er Jahren gegeben, als die Konvertibilität von Dollar in Gold sicher stellte, dass der Dollar das Vertrauen der Investoren genoss. Diese Konvertibilität hinderte die Autoritäten daran, mehr und mehr Dollar zu drucken und die Staatsausgaben zu erhöhen."

"Beide Voraussetzungen für Deflation sind heute nicht mehr vorhanden. Die heutigen Währungen sind Papiergeld, die durch nichts als durch das Vertrauen in den Staat gedeckt sind. Und dass sinkt im Falle des Dollars immer mehr stärker. Weiterhin erinnern uns die Fed-Governeure ständig daran, dass ihnen eine elektronische Druckerpresse zur Verfügung steht, mit der sie sofort und ohne Kosten neues Geld drucken können. Und sie haben ihre Absicht sehr deutlich gemacht, dass sie dieses Mittel auch einsetzen werden, um eine Deflation zu vermeiden."

Das Schuldenproblem kann auf zweifache Art und Weise gelöst werden: a. Durch die Insolvenz des Schuldners; und b. durch die Insolvenz der Währung. Falls der Schuldner (in dem Fall der Staat) die Insolvenz dadurch zu vermeiden sucht, dass der immer wieder neues Geld druckt, bleibt nur die Insolvenz der Währung, und das heißt Inflation bzw. ultimativ Hyperinflation.

Inflationsschübe waren in der Vergangenheit gern gesehene Gäste am Tisch von Politikern und Zentralbanken, die immer dann eingesetzt wurden, wenn die Staatsverschuldung ein nicht mehr tolerierbares Ausmaß erreichte. Inflationsspitzen wurden in den USA nach dem ersten und zweiten Weltkrieg sowie nach dem Vietnamkrieg registiert (siehe Chart). Schon Saiger (2) weist darauf hin, dass Inflation und Kriege in einem unmittelbaren Zusammenhang zueinander stehen. Kriege beschleunigen den Prozess der Staatsverschuldung derart, dass anschließend ein notwendiger wirtschaftlicher Reinigungsprozess in Form eines Inflationsschubes einsetzen muss.

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Aus dem obigen Chart geht auch hervor, dass einem Inflationsschub stets eine deflationäre Phase folgte. Ob 1921 oder 1932, 1949 und 1954 oder auch 1986 (Deflation nur knapp vermieden), das Überschießen nach oben führt mit schöner Regelmäßigkeit zu einem Überschießen nach unten. Es ist, als ob ein Inflationsschub das labile wirtschaftliche Gleichgewicht so aus der Fassung bringt, dass es Jahre benötigt, um sich wieder einzupendeln. Deflation ist demnach kein selbstständiges Ereignis, sondern eine Folge der Inflation. Der Hund wedelt mit dem Schwanz, nicht umgekehrt.

Interessanterweise traten diese Inflationsschübe bisher in einem 30-Jahres-Rhythmus auf. 1918, 1948 und 1978 sind die Jahreszahlen, auf denen sich das Jahr 2008 reimt. Allein aus diesem Zyklusgedanken heraus einen kommenden Inflationsschub abzuleiten, verbietet sich sicherlich. Aber das Zeitfenster steht offen; falls sich die Weltmärkte in 3½ Jahren tatsächlich auf dem Höhepunkt einer Inflationswelle befänden, wäre es unter Zyklusgesichtspunkten keine Überraschung.

Alle aufgezeigten Inflationsschübe kurbelten die Wirtschaft in den USA an. Dies ist am Verlauf der Aktienkurse abzulesen. Auf den Inflationsschub von 1917/18 folgte ein 10jähriger, euphorischer Bullenmarkt, der 1929 mit einem Crash endete. Dem Schub von 1946/1947 folgte der Nachkriegsbullenmarkt, der eine 20jährige Aufwärtsbewegung mit sich brachte. Und der Inflation der zweiten Hälfte der 70er Jahre folgte ein ebenfalls 20jähriger Bullenmarkt. Die Erzeugung von Inflation ist demnach - historisch erwiesen - mittelfristig gesehen ein verlässlicher Glücks- und Wohlstandsbringer für die Menschheit.

Doch die Frage stellt sich, ob es nicht Bedingungen gibt, unter denen eine Inflation entstehen kann, die über das Ziel hinausschießt und nicht zurückpendelt. Eine Inflation, die nicht bei einer Rate von 15 oder 20% stoppt und schnell in sich zusammenfällt, sondern innerhalb kurzer Zeit zur völligen Geldentwertung führt. So etwas nennt man Hyperinflation.

Die Hyperinflation von 1923 ist das bekannteste und best-dokumentierte Beispiel für eine Hyperinflation. Erst jüngst hat der US-Ökonom Laurence Kotlikoff (3) seiner Erwartung Ausdruck verliehen, dass sich ein solches Schauspiel wiederholen könnte. Um genau analysieren zu können, was damals passierte, ist eine Unterteilung in drei Verlaufsphasen sinnvoll.

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In der Anlaufphase steigt der Lebenshaltungsindex langsam, aber stetig. Die Inflation macht sich zunehmend bemerkbar, erscheint jedoch keineswegs bedrohlich. In der Beschleunigungsphase, die sich von Januar 1922 bis zum Frühjahr 1923 erstreckte, lässt sich vom Niveau gut mit der Inflation der 70er Jahre vergleichen. Doch während der Schub in den 70er Jahren u.a. durch die US-Fed aufgehalten werden konnte, gelang der Inflation im Frühjahr 1923 der Sprung in die "Blow-off-Phase". Erst hier wurde die Inflation zur Hyperinflation.

Nachfolgend wollen wir uns anschauen, wie sich die Lebenshaltungskosten, die Aktienkurse und der US-Dollar im Verlaufe dieser drei Phasen entwickelt haben. Die Besonderheit an der Anlaufphase (nächstes Chart) war der starke Kursanstieg des US-Dollars gegenüber der Reichsmark, während sich die Kosten für die Lebenshaltung und die Aktienkurse vergleichsweise moderat nach oben bewegten. Die Reichsmark-Abwertung lag im Interesse der Weimarer Politiker, die auf diese Weise die Kriegsschulden ("Versailler Vertrag") mindern wollten.

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Die zweite Phase ("Beschleunigung") lässt einen weitestgehend parallelen Anstieg von Dollar, Aktien und Lebenshaltungsindex erahnen. Lediglich die Aktienentwicklung stotterte zwischen April und September 1922 ein wenig, nahm aber gegen Jahresende wieder an Fahrt auf. Man sieht auch, dass die inflationäre Entwicklung zwischen Februar und April 1923 stillstand. Der Dollaranstieg schien gebremst, die Lebenshaltungskosten schienen sich besinnen zu wollen.

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Die zweite Phase ("Beschleunigung") lässt einen weitestgehend parallelen Anstieg von Dollar, Aktien und Lebenshaltungsindex erahnen. Lediglich die Aktienentwicklung stotterte zwischen April und September 1922 ein wenig, nahm aber gegen Jahresende wieder an Fahrt auf. Man sieht auch, dass die inflationäre Entwicklung zwischen Februar und April 1923 stillstand. Der Dollaranstieg schien gebremst, die Lebenshaltungskosten schienen sich besinnen zu wollen.

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Doch jetzt wurde es Ernst, die "Blow-off-Phase" begann. Sie dauerte lediglich 9 Monate, führte jedoch zur völligen Geldentwertung. Die Reichsmark war einmal.

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In der Blow-off-Phase dreht sich ein Perpetuum Mobile, das sich etwa wie folgt beschreiben lässt: "Mit fortschreitender Inflation hatte sich die Versorgungslage der Bevölkerung laufend verschlechtert. Dem Anstieg der Preise für Waren und Dienstleistungen konnten die Löhne und Gehälter nicht folgen. Der Reallohn sank auf ca. 40 Prozent seines Vorkriegsniveaus, weite Teile der deutschen Bevölkerung verarmten. Vermögenswerte schmolzen dahin. Ersparnisse wurden völlig entwertet, Spargelder von Generationen vernichtet. Feste Erträge oder Zinsen waren praktisch wertlos. Durch Mangel an Kaufkraft verloren auch Immobilien ihren Wert und wurden bei Notveräußerungen geradezu verschleudert.

Das chaotische Geldwesen hatte einen geregelten Wirtschaftsbetrieb unmöglich gemacht. Oft erfolgten die Lohnzahlungen täglich. Jedermann versuchte, Bargeld schnellstmöglich in Sachwerte einzutauschen. Ladenöffnungszeiten richteten sich nach den Bekanntgabeterminen für aktuelle Wechselkurse. In Restaurants konnte sich die Zeche während der Mahlzeit verdoppeln. Kriminelle stahlen nun nicht mehr nur Geldbörsen, sondern durchsuchten ihre Opfer nach Wertsachen und rissen ihnen sogar Goldzähne heraus. Pfarrer hielten den Kirchgängern für die Kollekte nach den Gottesdiensten einen Wäschekorb hin."(4)

Weimar scheint ein isoliertes Ereignis in einer Sondersituation gewesen zu sein. Den ersten Weltkrieg verloren, hohe Staatsschulden und Reparationsforderungen zerstörten das Vertrauen anderer Nationen und auch der Deutschen selbst in die Reichsmark. Die Golddeckung wurde 1914 aufgegeben, als die deutsche Bevölkerung allein im Juli 1914 Goldmünzen im Wert von 100 Millionen Mark aus der Reichsbank abzogen. Die Aufhebung der Goldpreisbindung war gleichzeitig das Signal zur Inflationierung, die 1923 in der Hyperinflation mündete.

Doch wie isoliert war dieses Ereignis wirklich? Wie auf dem ersten Chart gezeigt, herrschte 1917/1918 nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA eine kriegsbedingte Inflation mit Raten über 20%. Das gleiche gilt für Großbritannien und Frankreich. Doch nur in Deutschland steigerte sich die Inflation bis zum bitteren Ende, in den anderen Ländern entwickelte sie sich z.T. drastisch zurück und ging teilweise - wie in den USA 1921 - in eine ausgewachsene Deflation über. Es bleibt festzuhalten, dass sich Deutschland um 1918 herum aus der weltweiten Entwicklung auskoppelte und einen deutlich anderen Weg einschlug.

Nehmen wir einmal an, der oben erwähnte 30-Jahres-Inflationszyklus wiederholt sich, wofür wir im ersten Absatz gute Gründe genannt haben. Die Inflation würde in den kommenden Jahren weltweit steigen. Sie würde in den meisten Industrieländern mit Werten zwischen 15%-20% ihre Höchstmarke erreichen und dann weltweit abebben, nur um anschließend in eine deflationäre Phase überzugehen, was eine historisch übliche Reaktion wäre, die auch durch den sich anbahnenden Kondratieff-Winter gestützt wird.

Nur in einem Land - den USA - würde die Inflation nicht stoppen, sondern in eine Hyperinflation mit anschließender Währungsvernichtung überleiten. Die USA würden sich aus der Weltwirtschaft abkoppeln, ähnlich wie es Deutschland nach dem ersten Weltkrieg getan hat. So absurd dieser Gedanke auf dem ersten Blick klingt, so möchte ich doch die Gründe aufzählen, die die Entwicklung eines solchen Szenarios derzeit stützen. Ein solcher Abkoppelungseffekt kann nur auftreten, wenn zwischen dem Staat, in dem sich einen Hyperinflation entwickelt, und den Nationen, in denen die Inflation abebbt, große Unterschiede zu Tage treten, die sich auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene ergeben.

Was sind die wirklich markanten Unterscheidungskriterien zwischen den USA und dem Rest der industrialisierten Welt?

a.) Die USA befinden sich als einzige westliche Industrienation in einem desaströsen und kostspieligem Krieg, der einen erheblichen Teil des Produktivkapitals in nicht-produktive Bahnen lenkt. Großbritanniens Beitrag zum Irak-Krieg ist deutlich niedriger, von den anderen beteiligten Nationen ganz zu schweigen. Die USA werden auch weiterhin die finanzielle Hauptlast im Irak tragen müssen.

b.) Handelsbilanzdefizit sowie die öffentlichen und privaten Schulden sind in den USA höher als in den meisten Industrienationen. Europa hat Maastricht-Kriterien auf dem Papier stehen. Ob sie eingehalten werden, ist natürlich eine andere Frage. Doch in den USA wird um so etwas erst gar nicht gerangelt; Verschuldungsobergrenzen existieren nicht.

c.) EZB und Fed spielen aufgrund unterschiedlicher historischer Erfahrungen unterschiedliche Karten. Die US-Fed setzt ganz bewusst und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Inflationskarte. Der US-Newsletter-Autor Richard Russel beschreibt die Wahl der Fed mit drastischen Worten: "Inflate oder die"; Inflationiere oder der Staat geht an seinen Schulden kaputt. Die EZB hingegen richtet weiterhin ein scharfes Auge auf die Inflation. Laut Satzung obliegt die EZB zuvorderst die Aufgabe, eine hohe Inflationsrate - geschweige denn eine Hyperinflation - auf jeden Fall zu vermeiden.

Halten wir fest: Die USA leiden heute unter Kriegsfolgekosten, die noch immer in einem steilen Anstieg begriffen sind. Die USA sind bereits jetzt stärker verschuldet als die meisten anderen Industrienationen und haben vor allen Dingen den Willen, zu inflationieren, was das Zeug hält. Sie haben gar keine andere Wahl. Hatte Deutschland nach 1918 eine andere Wahl?

Auf dem Chart namens "Anlaufphase" (siehe oben) ist gut erkennbar, wie der US-Dollar Anfang 1919 - als in anderen Nationen die Inflationsraten zu fallen begannen – einen heftigen Anstieg gegenüber der Reichsmark begann und letztendlich der Auslöser der Hyperinflation war. Es braucht nicht viel Fantasie, sich heute eine umgekehrte Situation vorzustellen: Nachdem die weltweite Inflation in der zweiten Hälfte diese Jahrzehnts ihren Höhepunkt erreichen würde, würde der sich Dollar gegenüber dem Euro auf eine weitere Talfahrt begeben und somit auch hier den Katalysator für die Entkoppelung spielen.

Somit könnte der Tag kommen, an dem sich in Europa niemand mehr dafür interessiert, ob der Dow Jones Index die 30.000-Punkte-Marke erreicht oder nicht. Und die Preise für US-Immobilien könnten sich weiterhin vervielfachen; ein Europäer würde dennoch in der Lage sein, Immobilien zu günstigeren Preisen in den USA zu erwerben als jetzt. Der Schlüssel dazu ist der US-Dollar. Er ist der Gradmesser des Vertrauens von Ausländern und US-Bürgern in US-Regierung und -Zentralbank. Der Dollar wird unerbittlich anzeigen, für welchen Weg sich die US-Fed entscheidet: Für die Entschuldung via Staatsbankrott oder über die Zerstörung der eigenen Währung.


© Robert Rethfeld

Quelle: aus Zeitschrift "Smart Investor" 07/2004



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Quellenangaben:
(1) http://205.232.90.194/editorials/field/field042804.html
(2) www.goldseiten.de
(3) Interview Wirtschaftswoche Nr. 22 vom 20.05.2004
(4) http://www.dhm.de/lemo/html/weimar/innenpolitik/inflation/






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