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Das Gift beginnt zu wirken

10.06.2007  |  Manfred Gburek
Heute beginne ich gleich mit dem ersten Fazit, dem sich im Folgenden weitere anschließen, durch die Wiederholung eines Satzes vom 25. Mai dieses Jahres (im Beitrag "Crash-Variationen") an dieser Stelle: "Verkaufen Sie Ihre Aktien und Aktienfonds mit hohen Kursgewinnen, bevor es zu spät ist." Hierbei geht es mir nicht darum, einen Crash vorherzusagen (das kann ohnehin niemand), sondern um Schlussfolgerungen aus der einfachen Börsenlogik: Steigende Zinsen sind Gift für die Aktienkurse.

Um den Gehalt dieses Satzes zu würdigen, genügt es nicht, die Zinsentscheidung der EZB vom Mittwoch der abgelaufenen Woche zu interpretieren. Denn die wahren Ursachen der in den vergangenen Tagen - vor allem auch heute - bedenklich schwächelnden Aktienkurse liegen, was die Zinsen betrifft, einige Jahre zurück. Nehmen wir den US-Leitzins: Er wurde durch die US-Notenbank Fed vom Jahr 2000 bis zum Frühjahr 2003 radikal von 6,5% auf 1% gesenkt. Also genau in der Zeit, als die Aktienkurse weltweit in sich zusammensackten. Ein Widerspruch zur erwähnten Börsenlogik? Nein, denn damit die Zinssenkung wirken und das Vertrauen der Anleger in die wirtschaftliche Entwicklung wieder hergestellt werden konnte, musste sie so radikal ausfallen. Das war damals jedenfalls der Fed-Standpunkt, der aus verständlichen Gründen sehr stark von den psychologischen Folgen der Terroranschläge des 11. September 2001 geprägt wurde. Oder um den US-Schriftsteller Norman Mailer aus seinem Buch "Heiliger Krieg: Amerikas Kreuzzug" zu zitieren, das ich Ihnen sehr zur Lektüre empfehle: "Nach dem 11. September brach eine Massenidentitätskirse über ganz Amerika herein."

Seit dem Sommer 2004 hat die Fed den Leitzins bekanntlich von 1% auf 5,25% erhöht. Die EZB ist ihr mit eineinhalb Jahren Verzögerung gefolgt (und nicht nur mit wenigen Monaten, wie im Jahr 2001). Auch die Länge dieser Zwischenphase lässt sich mit den Folgen des 11. September erklären: Die Fed hat in dieser Zeit ihre vorherige starke Zinssenkung nach oben korrigiert, nachdem diese erheblich dazu beigetragen hatte, die von Norman Mailer zu Recht so bezeichnete "Massenidentitätskrise" zu überwinden. Ließe man diese Korrekturphase außer Acht, würde der Abstand zwischen den Zinserhöhungen durch Fed und EZB wieder auf wenige Monate zusammenschmelzen.

Noch ein kurzer Rückblick ins Jahr 2000, bevor wir uns der Gegenwart und vor allem der nächsten Zukunft zuwenden: Damals erwiesen sich steigende Leitzinsen erst nach mehrfachen Erhöhungen durch Fed und EZB als Gift für die Aktienkurse. Das bedeutet, auf die Gegenwart bezogen: Falls die Aktienkurse, wie sich immer mehr andeutet, weiter nach unten zu kippen drohen, dürften die Leitzinsen hüben wie drüben ihren Gipfel erreicht haben. Die darauf folgende Entwicklung ist absehbar: Fallende Aktienkurse sind - mit einem Vorlauf von sechs bis neun Monaten - Vorboten einer schlechteren Konjunktur. In einer solchen Phase trauen sich die Währungshüter von Fed, EZB und anderen Zentralbanken üblicherweise aber noch nicht, die Leitzinsen zu senken. Denn sie haben diese vorher ja erhöht, um Signale gegen die Inflationsmentalität auszusenden, die sich zunächst unabhängig davon entwickelt, ob die Aktienkurse steigen oder fallen. Erst ein nachhaltiges Kursdebakel trägt dazu bei, die Inflationsmentalität zu brechen. Es dürfte in den nächsten Monaten folgen.

Seine Auslöser können, wie schon vor Monaten an dieser Stelle erwähnt, alles Mögliche sein, vor allem: das weitere Platzen der Immobilienblase in den USA und damit eine auch für die europäische Konjunktur schädliche Zurückhaltung der amerikanischen Konsumenten, die sich vereinzelt (zum Beispiel in Spanien und Irland) andeutende Immobilienkrise auch in Europa, ein weiterer Anstieg der Anleihenrenditen, Großpleiten, die in den Fokus der Anleger gerückte Wackelbörse von Shanghai, Fehlspekulationen von Hedgefonds, Private Equity-Firmen und der sie finanzierenden Banken, eine durch Fonds ausgelöste Liquidationswelle bei Aktien und Kurzschlussreaktionen im Spiel mit Derivaten.

Die beiden zuletzt genannten Auslöser sind besonders hervorzuheben, weil sie die Aktienkurse unmittelbar betreffen. Was die von Seiten der Fonds drohende Liquidationswelle betrifft: Glauben Sie im Ernst, dass es sich die Fondsmanager nehmen lassen, deutsche Aktien zu verkaufen, nachdem der DAX in vier Jahren zwischenzeitlich um 250% gestiegen ist? Oder dass es nur einem dieser Manager gelingt, große Aktienpakete abzustoßen, ohne die Kurse negativ zu beeinflussen? Aktienfonds als Risiko streuende und gleichzeitig von der dynamischen Wirtschaftsentwicklung profitierende Alleskönner sind ein Märchen. Besonders schlimm wäre, wenn die Liquidationswelle mit Schieflagen beim Derivatespiel zusammenträfe.




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