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Im Fokus: Rohöl und Erdgas aktuell

20.10.2004  |  Peter Boehringer
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zu 5.)  Welche Preise werden künftig Angebot und Nachfrage zur Deckung bringen?

Obwohl ein genaues Timing in einem so komplexen und intransparenten Rohstoffmarkt sehr schwierig ist, wollen wir doch folgende Prognosen wagen, wobei wir klar zwischen kurz- und mittel-/langfristiger Entwicklung unterscheiden. Zahlenangaben beziehen sich auf das Barrel Rohöl der Sorte WTI.


a.)  Kurzfristig (bis Mitte 2005)

Wir sehen die Möglichkeit relativ leichter Preisrückgänge von den derzeitigen nominalen Höchstständen um 54 Dollar/Barrel auf bis etwa 40 bis 45 Dollar/Barrel. Hierfür sprechen:

  • Sentiment: 80% der Analysten sind mittlerweile Öl-bullish. Während der Konsens für den Ölpreis 2004 noch bis zur Jahresmitte um 25-30 Dollar lag, werden nur wenige Monate später nun kurzfristige Preisprognosen von 60 Dollar tradiert. Oftmals sind so schnell erreichte euphorische Sentiment-Werte Zeichen für obere Wendepunkte.

  • Medien: CNN, n-tv, die Bild-Zeitung und alle Massenmedien berichten derzeit täglich über den steigenden Ölpreis. Nicht selten ist dies ein Kontraindikator bzw. ein Zeichen von Übertreibung.

  • Irak als potenzieller Ausgleichsproduzent: Falls der Irak als einziger neuer bzw. wiederkehrender signifikanter Produzent kurzfristig soweit befriedet werden kann, dass er wieder über den Vorkriegsstand hinaus förderfähig ist, hat er das Potenzial, die wachsende Welt-Angebotslücke noch einige Jahre lang zu kompensieren. In der politischen und militärischen Praxis setzt dies erfolgreiche Wahlen im Januar 2005 voraus - zumindest aber die dauerhafte militärische Sicherung der Hauptölfördergebiete um das kurdische Kirkuk, im Zentralirak und um Basra im Süden, sowie der wichtigsten Pipeline-Trassen des Landes. Die etwa 2 Millionen Barrel pro Tag, die der Irak in diesem Fall dem Markt künftig zusätzlich liefern könnte, würde die zusätzliche v.a. asiatische Weltnachfrage für etwa 1-2 Jahre decken und dem Markt so etwas Zeit und Erholungsmöglichkeiten verschaffen.

  • Saisonalität: Langfristig betrachtet ist eine gewisse Schwankung des Ölpreises im Jahresverlauf um immerhin etwa 12% feststellbar. Anfang Oktober sind im langjährigen Durchschnitt die höchsten Ölpreise feststellbar, was vor allem mit den Heizperioden auf der industrialisierten Nordhalbkugel zusammenhängt, die im Markt über Future-Geschäfte einige Monate vorweggenommen wird. Es ist durchaus möglich, dass in den kommenden Monaten bis etwa März 2005 hierdurch Druck aus dem Markt genommen wird.


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    Quelle: www.seasonalcharts.com



    b.)  Mittel- und langfristig (ab spätestens 2006)

    Ab spätestens 2006 werden die Ölpreise vielleicht unter gewisser Volatilität – aber dauerhaft immer höher tendieren und immer neue nominale und reale Allzeithochs markieren. Eine Preisobergrenze ist heute nicht seriös berechenbar; schon ab 2007 sind aber Preise über 90-100 Dollar pro Barrel wahrscheinlich.

    Gründe:
  • Fundamentaldaten: Selbst konservativ gerechnet wird bei anhaltendem Bevölkerungswachstum und Industrialisierung der Schwellen- und Entwicklungsländer die weltweite Nachfrage nach Öl außer im Falle einer dramatischen Rezession um 1,5-3% p.a. weiter ansteigen. Gleichzeitig wird nach Erreichen des Peaks die Ölförderung um ebenfalls 1,5-3% p.a. abnehmen. Somit rechnen wir ab spätestens 2010 mit einer Angebotslücke von 3-6%. Diese Lücke wird sich danach kontinuierlich vergrößern und schon 10 Jahre später könnte die Nachfrage ceteris paribus nur noch zu höchstens 65% / eher 50% gedeckt werden! Eine Unterdeckung von mindestens 35% / eher 50% wäre jedoch absolut dramatisch. Zur Erinnerung: Preisverdopplung 1979 bei nur 5%-iger temporärer Unterversorgung nach der islamischen Revolution im Iran.

  • Geographie der Ölreserven: Innerhalb der nächsten zehn Jahre werden die Ölquellen in stabilen Ländern allmählich versiegen (Mexiko, Venezuela, Nordsee, China, …), so dass ein immer höherer Anteil des Öls aus dem Nahen Osten und aus Russland bezogen werden muss. Der Markt wird angesichts der politischen und militärischen Situation im Nahen Osten eine Risikoprämie einpreisen.

  • Zugang zu Ölreserven: Zu günstigen Kosten förderbares Öl gibt es fast nur noch im Nahen Osten (z.T. noch unter 5 Dollar/Barrel). Die Erschließung alternativer Vorkommen ist überall mit wesentlich höheren Kosten verbunden: kanadische Ölsande, Tiefseebohrungen, Bohrungen in entlegenen und sehr kalten sibirischen Regionen, …

  • Investitionsbedarf: Wenn in immer entlegeneren, gefährlichen und unzugänglichen Regionen nach Öl gesucht und gefördert werden muss, steigen zwangsläufig die Erschließungs-, Förder- und Transportkosten sowie die Anlaufinvestitionen. Bereits zwischen 1999 und 2003 haben alleine die fünf größten Ölförderer über 150 Mrd. Dollar investiert. Diese riesigen Beträge werden künftig weiter steigen und natürlich auf die Rohölpreise umgelegt werden.

  • Wendepunkt der OPEC: Die Situation am Weltölmarkt ist nicht vergleichbar mit den Ölkrisen der Siebziger (obwohl es zu Beginn der Krise ähnliche Folgen geben wird). Die Situation wird nicht durch Krisenbeendigung (Iran 1980), leichtes Energiesparen, alternative Energien (Kernenergie) oder massive Förderausweitung in Ländern außerhalb des Nahen Ostens (Nordsee, Venezuela) behebbar sein, weil es nach dem Hochfahren der irakischen Produktion keine weiteren „swing producer“ mehr geben wird! Offensichtlich wird dies am Verhalten der OPEC 2004: Ursprünglich gegründet um die Ölpreise durch Kartellabsprachen hoch zu halten, ist sie seit einigen Monaten bemüht, rhetorisch wie auch durch echte und ungeplante Förderausweitungen die hohen Ölpreise zu senken! Man erinnere sich: noch im Februar 2004 verkündete die OPEC ein (letztes) Mal die Kürzung der Förderquoten wegen vermeintlich drohendem Weltüberangebot. Diese Fehleinschätzung ist seitdem in nur acht Monaten dreimal durch zum Teil ganz erhebliche Quotenerhöhungen korrigiert worden. In praxi waren jedoch nur noch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zu einer Erhöhung in der Lage - und die OPEC hat bis dato das neue OPEC-Ziel "Preissenkung" sogar gravierend verfehlt.

  • Dollarentwicklung / Öl in Dollar: Wir teilen nicht die gängige Meinung, nach der der Ölpreis die Inflation treibt. Natürlich ist dies mathematisch korrekt; die Kausalität gilt jedoch auch umgekehrt: Die massive Geldmengenerhöhung beim Dollar und die resultierende (statistisch verschleierte) Inflation bzw. Dollarabwertung ist eine Ursache für höhere Ölpreise: Der hohe Ölpreis ist nicht (nur) Ursache, sondern zugleich Resultat der Dollar-Inflation! Die US-Geldmenge M3 hat sich seit 1996 verdoppelt - ebenso der Ölpreis. Der Preisanstieg ist durch die Förderländer des Nahen Ostens bewusst in Kauf genommen oder sogar herbeigeführt worden: teilweise aus politischen, teilweise aus wirtschaftlichen Gründen soll der Ölpreis real zumindest stabil gehalten werden. In Euro ist der Ölpreis, der noch Anfang 2003 bei 30 Dollar wie auch bei 30 Euro lag, bis heute "nur" auf ca. 43 Euro gestiegen; in Dollar steht er auf über 54. Da die von den USA abhängigen arabischen Regierungen das Öl nicht in Euro fakturieren dürfen, müssen sie zum realen Erhalt ihrer Einnahmen den Ölpreis in Dollar eben hochfahren, ohne die offizielle Fakturierung des Öls in Dollar aufzugeben. Implizit (!) fakturieren sie derzeit eher in Euro - unseres Erachtens künftig vielleicht in Yen, Renminbi oder in Goldeinheiten. Daher teilen wir (indirekt) die Meinung mancher Chart-Analysten, die eine Korrelation zwischen Öl- und Goldpreisen sehen. Dies ist zu einem gewissen Grad richtig (und Gold folgt ja auch bereits dem Öl nach oben) - allerdings nur wegen der gemeinsamen Korrelation von Öl und Gold zur Inflationsentwicklung bzw. zum Grad des Vertrauens in den Dollar. Ein langfristig betrachtet recht stabiles Verhältnis von Unzen- zu Barrelpreis in Dollar liegt bei etwa 14:1. 50 Dollar pro Barrel würden daher etwa 700 Dollar pro Unze implizieren, die in einem freien Goldmarkt heute bereits erreicht wären.

  • Besondere Eigenschaften: Öl ist in vielen Bereichen ohne Qualitätsverluste fast nicht substituierbar (Transporte, Kunststoffherstellung Landwirtschaft). Schon bei temporären Versorgungsengpässen kann es daher zu dramatischen Kostensprüngen kommen.



  • zu 6.)  Gibt es gleichwertige und verfügbare alternative Energieformen?

    a.)  Erdgas
    Dass die Nachfrage bei Produkten zur Deckung von Grundbedürfnissen extrem preisunelastisch ist, zeigte sich 2000 im mit dem Ölmarkt verwandten Gasmarkt der USA: Erhöhte Nachfrage bei zunächst nur kurzfristigen Versorgungsengpässen führten im harten Winter 2000 zu einem Gaspreisanstieg von über 150% in nur wenigen Monaten.

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    Quelle: Yardeni 6-2004


    Mittlerweile zeigt sich jedoch, dass die US-Nachfrage nach Gas dauerhaft höher als das verfügbare Angebot liegt, was bereits seit drei Jahren zu ständig steigenden Preisen führt. Wir rechnen damit, dass dieser Trend auch weiterhin anhält, weil die USA im Gegensatz zu Europa kein russisches Erdgas per Pipeline beziehen können (vergleiche dazu auch die Folgegrafik "Trade Flows"). Russland nimmt im Gasmarkt jedoch als größtes Reserveland und größter Produzent die Stellung ein, die der Nahe Osten beim Öl innehat. Der Erdgasmarkt unterliegt wegen der komplizierteren Transportmöglichkeiten noch mehr als der Ölmarkt regionalen Besonderheiten.

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    Quelle: BP - Statistical Review of World Energy, 2004


    Da die Liquefied Natural Gas (LNG) - Transporttechnologie von Erdgas in verflüssigter Form sehr aufwändig und teuer ist, werden die USA noch vor Europa ein Erdgasknappheitsproblem bekommen, obwohl der voraussichtliche Förder-Peak bei Gas erst etwa 2030 erreicht werden wird. Die deutsche Energiepolitik wird derzeit (da Gas relativ emissionsarm ist und da Kernenergie oder verstärkter Kohleeinsatz nicht durchsetzbar erscheinen) sehr stark in Richtung russisches Erdgas abgestellt, was zwar einige Jahrzehnte funktionieren kann - aber auch erhebliche Abhängigkeiten von nur einem Lieferanten mit sich bringt.

    Neben Erdgas werden im Hinblick auf eine weitere Verknappung von Öl folgende Energieformen und -träger gefördert, technologisch weiterentwickelt oder "wiederentdeckt":

    b.) Kernenergie (Spaltung, Fusion)c.) Kohle
    d.) Wasserkrafte.) Windkraft
    f.) Solarenergieg.) Biomasse
    h.) Fernwärmei.) Wasserstofftechnologie / Brennstoffzellen





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