Im Fokus: Rohöl und Erdgas aktuell
20.10.2004 | Peter Boehringer
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Fortschritte bei diesen Alternativen sind unbestreitbar und auch dringend notwendig. Realistischerweise muss man jedoch sagen, dass keine der Alternativen Öl gleichwertig ersetzen könnte. Da zudem an vielen der Technologien schon seit Jahrzehnten geforscht wird, darf man innerhalb der kritischen nächsten 10 Jahre u.E. auch keine Quantensprünge und Durchbrüche erwarten. Eine auch nur ansatzweise erschöpfende Darstellung würde den Rahmen dieses Finanzbriefs sprengen. Wir deuten daher die gravierendsten Probleme hier nur an:Fazit
Nur ein dramatischer, anhaltender und gesellschaftsverändernder Anstieg des Ölpreises wird Angebot und Nachfrage in den kommenden Jahrzehnten zur Deckung bringen können! Sobald sich an den Finanzmärkten die Erkenntnis durchsetzt, dass es sich im Gegensatz zu 1979 diesmal nicht nur um einen temporären Angebotsschock, sondern eine dauerhafte Ölknappheit handelt, wird die Wahrscheinlichkeit für signifikante Ölpreisrückgänge sehr gering. Wir erwarten selbst im positiven Fall einer Stabilisierung des Iraks als Ölförderland höchstens noch Rückgänge bis etwa 40-45 Dollar pro Barrel. Die zwei Preissprünge der Siebziger Jahre (1973ff: +200% und 1979ff: +100%) könnten sich durchaus wiederholen. Wir sehen im Anstieg des Ölpreises im Jahresverlauf 2004 von bereits über 65% erste Anzeichen einer solchen Entwicklung. Geht man von einem noch „normalen“ Preisniveau ohne Engpässe bei etwa 25 Dollar/Barrel per 2002 aus, sind bereits in drei Jahren 90-100 Dollar durchaus wahrscheinlich. Hierdurch ausgelöste Investitionen und nachfolgend erhöhte Ölfunde und -produktion der Ölunternehmen und potenzielle Rezessionen werden die Preise eventuell einige Jahre auf diesem Niveau halten können. Danach ist die Preisentwicklung nicht mehr prognostizierbar.
Man muss es fast nicht betonen: Preissteigerungen diesen Ausmaßes bei Öl werden nicht nur finanzwirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen auslösen: Private und gewerbliche Langstrecken-Transporte werden zum Luxus, die Landwirtschaft (ölbasierte Düngemittel und Landmaschinen!) wird weniger produktiv werden, die Wasser- sowie die medizinische Versorgung werden beeinträchtigt. Die heutige moderne Welt kann nur wegen enormen medizinischen Fortschritten und wegen der Verfügbarkeit billigen Öls so viele Menschen ernähren. Wenn die Versorgung mit billigem Öl endet, müssen wegen Produktions-, Lagerungs- und Verteilungsschwierigkeiten von Nahrung die Bevölkerungszahlen zwangsläufig zurückgehen, was sie bekanntermaßen derzeit nicht tun…
Wir wollen hier nicht übers Ziel hinausschießen - aber eine Überschätzung des Problems ist kaum möglich. Leider liegt der Hang zur Verharmlosung in einem vitalen Interesse aller Beteiligter - angefangen von Regierungen, über Ölförderer bis hin zum Endverbraucher, der sich nicht ungern der dauerhaften Selbsttäuschung hinzugeben bereit ist. Dennoch wusste schon Aldous Huxley: "Facts do not cease to exist just because they are ignored". Prosaischer drückte es ein Vertreter der Ölindustrie selbst aus: "If you don´t deal with reality, reality will deal with you!". Potenziell hat die Entwicklung am Ölmarkt destabilisierende politische, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen! Kriege um die letzten Ölreserven sind vor allem im Nahen Osten wahrscheinlich; insbesondere, sobald es zu ersten Versorgungsengpässen kommen wird. Die Irak-Kriege waren hier nur die vorläufig letzten in einer langen Reihe seit etwa 1910. Nur der schnelle Umstieg auf erneuerbare Energien kann etwas ändern. Natürlich sind auch die Marktkräfte hier hilfreich: wir sollten schnell steigende Ölpreise vor dem Hintergrund dann wirtschaftlich werdender Alternativen und voraussichtlich effizienterer Ölnutzung sogar begrüßen.
INVESTITIONS-MÖGLICHKEITEN
Risiken und Spezifika verschiedener Anlagemöglichkeiten in Öl
Unabhängig von den düsteren Konsequenzen echter Ölknappheit eröffnen sich kurz- und mittelfristig aber natürlich auch Investmentchancen.
Generelle Investmentthesen zum Ölpreis
Aktuelle Thesen zu Ölanlagen (Stand Okt. 2004)
Wichtige Öl- und Gastitel (keine abschließende Aufzählung; einige Firmen sind im Öl- und Gas-Markt tätig)
Öl: | |
Gas: | |
Explorer u. Ausrüster: |
Spezifische Risiken und Auswahlkriterien von Ölaktien
Alternative Investitionsmöglichkeiten
Selbstverständlich kann man auch direkt in alternative Energieformen investieren. Möglichkeiten gibt es in den Bereichen Wind- oder Solarenergie, Wasserkraft, Wasserstoff, Biomasse und Energiepflanzen. Allerdings gibt es bislang nur wenige liquide börsennotierte Unternehmen. Man bewegt sich als Anleger oftmals noch im außerbörslichen Bereich (Venture Capital). Zudem sind die meisten Technologien zu Beginn sehr kapitalintensiv und werden erst sukzessive mit stark steigenden Ölpreisen wirtschaftlich: Bilanzen und Businesspläne vieler Alternativenergie-Firmen sind heute in Deutschland häufig durch Subventionseffekte und staatlich garantierte Einspeisungspreise geschönt. Es besteht ein latentes Risiko, dass diese politisch motivierten Unterstützungen nicht dauerhaft bestehen bleiben. Dennoch geht langfristig der Trend hin zu diesen dezentralen Energieversorgungs-Technologien.
Bleiben für die nähere Zukunft die (nicht ganz so "alternativen") Energieformen Erdgas, Kohle, und Kernenergie. Auch diese haben alle ihre jeweiligen Nachteile bzgl. Verfügbarkeit, Umweltbelastung, Investitionsbedarf, eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten und gesellschaftlicher Akzeptanz. Für Europa sehen wir mittelfristig eine massiv steigende Bedeutung von Erdgas als noch einige Jahrzehnte verfügbarer und politisch akzeptierter Energieform voraus. Hier liegen auch kurzfristig die größten Anlagechancen, obwohl man die mit russischen Investments verbundenen politischen Risiken nicht unterschätzen sollte. Mit etwas zeitlichem Abstand wird dann Kohleverstromung eine Renaissance erleben. Schließlich dürfte in voraussichtlich zehn Jahren angesichts der Alternativen und der dann erreichten Strompreise eine moderne Kernkraft-Technologie mit geringem Endlagerbedarf trotz der Sicherheitsrisiken auch in Europa wieder politisch durchsetzbar sein.
Zuletzt setzt die PBVV auch weiterhin auf große Energieverteilungsunternehmen - allerdings aus anderen Gründen (Preismacht durch regionale Monopolstellungen, Substanzwert der Infrastruktur).
© Peter Boehringer
www.pbvv.de
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[b]Quellenangaben:
(1) Vgl. PBVV-Finanzbrief 04-2004
(2) USA: ExxonMobil, ChevronTexaco; UK: RoyalDutchShell, BP; Frankreich: Total; Italien: ENI; Russland: Yukos, Lukoil; Spanien: Repsol; Brasilien: Perobras; Norwegen: Statoil; diverse staatseigene Unternehmen in den arabischen Ländern sowie in Venezuela, Mexiko
(3) Vgl. auch PBVV-Finanzbrief 4-2004
(4) 1 Future-Kontrakt = 1.000 Barrel; es gibt Laufzeiten bis zu 5 Jahren
(5) Einer der Gründe, warum Shell kürzlich seine Ölreserven um über 20% reduzieren musste: das Öl ist höchstwahrscheinlich durchaus vorhanden, darf aber nach SEC-Definition heute noch nicht als Reserve ausgewiesen werden.
(6) … die allerdings nur mit ökologisch bedenklichen Fördermethoden nutzbar sind
(7) Tatsächlich wird es sogar niemals ganz ausgehen, da voraussichtlich 30%-40% des auf der Erde vorhandenen Öls niemals gefördert werden wird - die Förderung würde mehr Energie kosten als bei der Ölnutzung wiederzubekommen wäre.
RISIKOHINWEIS / DISCLAIMER
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