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Im Fokus: Rohöl und Erdgas aktuell

20.10.2004  |  Peter Boehringer
- Seite 4 -
Fortschritte bei diesen Alternativen sind unbestreitbar und auch dringend notwendig. Realistischerweise muss man jedoch sagen, dass keine der Alternativen Öl gleichwertig ersetzen könnte. Da zudem an vielen der Technologien schon seit Jahrzehnten geforscht wird, darf man innerhalb der kritischen nächsten 10 Jahre u.E. auch keine Quantensprünge und Durchbrüche erwarten. Eine auch nur ansatzweise erschöpfende Darstellung würde den Rahmen dieses Finanzbriefs sprengen. Wir deuten daher die gravierendsten Probleme hier nur an:

  • Für die zentralisierbaren Anwendungen "Heizen" und "Verstromung" gibt es brauchbare und wirkungsvolle alternative Energieformen. Neben Kohle und den bekannten (heute allerdings meist noch subventionierten) regenerativen Stromerzeugungstechnologien erwarten wir trotz Sicherheitsbedenken eine weltweite Renaissance der Kernenergie (mit Wiederaufbereitung) als effizienter und bei moderner Nutzung auch sauberer Technologie. In einigen asiatischen Ländern (China!) wie auch z.B. in Finnland werden bereits Kernenergiekapazitäten aufgebaut; Deutschland dürfte bei Neubauten von Reaktoren allerdings voraussichtlich so lange hinterherhinken, bis die Energieknappheit in etwa fünf bis zehn Jahren offensichtlich wird.

  • Für Transport- und für sehr viele Kunststoffanwendungen gibt es aufgrund der einmaligen physikalischen und energetischen Eigenschaften dagegen keine heute bekannten gleichwertigen Substitutionsmöglichkeiten zu Öl!

  • Weiter darf man nicht vergessen, dass Öl auch für die Nutzung alternativer Energieformen benötigt wird: um Kohle und Uran abzubauen, Erdgas zu fördern, Wasserstoff zu produzieren; sowie um Kohle, Gas, Uran oder Biomasse zu Kraftwerken zu transportieren; sowie auch zur Produktion von Solarpanels, Wind- und Wasserkraftwerken etc.

  • Zu Wasserstoff muss angemerkt werden, dass die Brennstoffzellentechnologie zwar Fortschritte gemacht hat, jedoch weiterhin große Probleme bei der Lagerung und beim Transport bestehen. Zudem ist Wasserstoff keine Energieform, sondern nur ein Energieträger. Wasserstoff muss zunächst energieintensiv hergestellt werden, bevor er mit Wirkungsgraden von ca. 30%-35% in Brennstoffzellen genutzt werden kann. Dennoch ist Wasserstoff bei steigenden Ölpreisen mittelfristig eine potenziell vielversprechende Alternative für einige heute ölbasierte Anwendungen.
  • In jedem Fall erfordert die Umstellung unserer auf Öl basierenden Volkswirtschaften auf Alternativen viel Zeit sowie sehr hohe Investitionen.

  • Rein ökonomisch kostet es heute noch etwa 200 Dollar, um die in einem Barrel Rohöl enthaltene Energie aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen (Ausnahme Kernenergie). Sollte nicht ein nach Jahrzehnten der Forschung nicht mehr zu erwartender Durchbruch gelingen, wird sich daran auch nichts ändern. In diese Größenordnungen wird somit der Ölpreis klettern müssen, bevor wirklich umfassend der Öleinsatz durch Alternativen substituiert wird, soweit dies überhaupt möglich ist.



  • Fazit

    Nur ein dramatischer, anhaltender und gesellschaftsverändernder Anstieg des Ölpreises wird Angebot und Nachfrage in den kommenden Jahrzehnten zur Deckung bringen können! Sobald sich an den Finanzmärkten die Erkenntnis durchsetzt, dass es sich im Gegensatz zu 1979 diesmal nicht nur um einen temporären Angebotsschock, sondern eine dauerhafte Ölknappheit handelt, wird die Wahrscheinlichkeit für signifikante Ölpreisrückgänge sehr gering. Wir erwarten selbst im positiven Fall einer Stabilisierung des Iraks als Ölförderland höchstens noch Rückgänge bis etwa 40-45 Dollar pro Barrel. Die zwei Preissprünge der Siebziger Jahre (1973ff: +200% und 1979ff: +100%) könnten sich durchaus wiederholen. Wir sehen im Anstieg des Ölpreises im Jahresverlauf 2004 von bereits über 65% erste Anzeichen einer solchen Entwicklung. Geht man von einem noch „normalen“ Preisniveau ohne Engpässe bei etwa 25 Dollar/Barrel per 2002 aus, sind bereits in drei Jahren 90-100 Dollar durchaus wahrscheinlich. Hierdurch ausgelöste Investitionen und nachfolgend erhöhte Ölfunde und -produktion der Ölunternehmen und potenzielle Rezessionen werden die Preise eventuell einige Jahre auf diesem Niveau halten können. Danach ist die Preisentwicklung nicht mehr prognostizierbar.

    Man muss es fast nicht betonen: Preissteigerungen diesen Ausmaßes bei Öl werden nicht nur finanzwirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen auslösen: Private und gewerbliche Langstrecken-Transporte werden zum Luxus, die Landwirtschaft (ölbasierte Düngemittel und Landmaschinen!) wird weniger produktiv werden, die Wasser- sowie die medizinische Versorgung werden beeinträchtigt. Die heutige moderne Welt kann nur wegen enormen medizinischen Fortschritten und wegen der Verfügbarkeit billigen Öls so viele Menschen ernähren. Wenn die Versorgung mit billigem Öl endet, müssen wegen Produktions-, Lagerungs- und Verteilungsschwierigkeiten von Nahrung die Bevölkerungszahlen zwangsläufig zurückgehen, was sie bekanntermaßen derzeit nicht tun…

    Wir wollen hier nicht übers Ziel hinausschießen - aber eine Überschätzung des Problems ist kaum möglich. Leider liegt der Hang zur Verharmlosung in einem vitalen Interesse aller Beteiligter - angefangen von Regierungen, über Ölförderer bis hin zum Endverbraucher, der sich nicht ungern der dauerhaften Selbsttäuschung hinzugeben bereit ist. Dennoch wusste schon Aldous Huxley: "Facts do not cease to exist just because they are ignored". Prosaischer drückte es ein Vertreter der Ölindustrie selbst aus: "If you don´t deal with reality, reality will deal with you!". Potenziell hat die Entwicklung am Ölmarkt destabilisierende politische, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen! Kriege um die letzten Ölreserven sind vor allem im Nahen Osten wahrscheinlich; insbesondere, sobald es zu ersten Versorgungsengpässen kommen wird. Die Irak-Kriege waren hier nur die vorläufig letzten in einer langen Reihe seit etwa 1910. Nur der schnelle Umstieg auf erneuerbare Energien kann etwas ändern. Natürlich sind auch die Marktkräfte hier hilfreich: wir sollten schnell steigende Ölpreise vor dem Hintergrund dann wirtschaftlich werdender Alternativen und voraussichtlich effizienterer Ölnutzung sogar begrüßen.


    INVESTITIONS-MÖGLICHKEITEN

    Risiken und Spezifika verschiedener Anlagemöglichkeiten in Öl

    Unabhängig von den düsteren Konsequenzen echter Ölknappheit eröffnen sich kurz- und mittelfristig aber natürlich auch Investmentchancen.


    Generelle Investmentthesen zum Ölpreis
  • Fundamental sind die Ölwerte nicht überbewertet. Wir erwarten einen lang anhaltenden Anstieg.
  • Ein kurzfristiges Timing ist schwierig, da die Entwicklung im Irak derzeit unvorhersehbar ist. Falls der Irak befriedet werden kann und wieder voll lieferfähig wird, sind noch einmal Kurse um 43 Dollar möglich.
  • Daher: Momentum- und Newsflow-Trader aussteigen lassen, sowie einen möglichen Abbau der Risikoprämie abwarten. Dann schrittweise positionieren.
  • Der Preis kann nach der möglichen Korrektur noch einige Jahre auf hohem Niveau stabil bleiben; insbesondere im Falle von Nachfragerückgängen in Asien oder einer massiven Rezession im Westen. Die Annäherung an den Förder-Peak führt jedoch zu langfristig weiter stark steigenden Preisen.


  • Aktuelle Thesen zu Ölanlagen (Stand Okt. 2004)
  • Kurzfristig Vorsicht mit Indexzertifikaten auf den Ölpreis. Korrektur abwarten.
  • Vorsicht auch bei Öl-Futures: Basis ist meist der Kurs des Futures mit der jeweils kürzesten Lieferfrist (rollierende Basis), der prinzipiell manipulierbar ist und auch saisonalen Schwankungen unterliegt!
  • Kurzfristig sind auch die Kurse der Aktien einzelner Ölunternehmen überkauft. Anlagen in solche Unternehmen sollte man daher noch ein wenig zurückstellen bzw. strikt die unten stehenden Risiken und Auswahlkriterien beachten. Wir werden unsere Kunden nach Abbau der Risikoprämie in reservestarke Öl- und Gasförderer mit transparenter Investitionsplanung und günstigen Förderkosten pro Barrel positionieren. Erforderlich ist aber selbst dann ein langfristiger Anlagehorizont und Resistenz gegen politische Risiken und Volatilität.


  • Wichtige Öl- und Gastitel (keine abschließende Aufzählung; einige Firmen sind im Öl- und Gas-Markt tätig)

    Öl:
  • USA: ExxonMobil, ChevronTexaco, ConocoPhillips
  • UK / Niederlande: RoyalDutchShell, BP
  • Frankreich: Total
  • Italien: ENI
  • Russland: Yukos, Lukoil, Tatneft, Sibneft
  • Spanien: Repsol
  • Brasilien: Petrobras
  • Norwegen: Statoil
  • diverse staatseigene Unternehmen in den arabischen Ländern, sowie in Venezuela und Mexiko
  •   
    Gas:
  • Canadian Natural Resources
  • Encana
  • Gazprom incl. Rosneft
  • Surgutneftegas
  • Devon Energy
  • Petro Canada
  • u.v.a.
  •   
    Explorer u.
    Ausrüster
    :
  • Halliburton
  • Nabors
  • Diamond Offshore
  • Noble
  • Helmerich Payne
  • Grey Wolfe
  • Ensco
  • Pride International
  • Royale Energy
  • Schlumberger
  • u.v.a.



  • Spezifische Risiken und Auswahlkriterien von Ölaktien
  • Substanzkriterien: Gesicherte und vermutete Ölreserven in Barrel, Reserven in Barrel und Bewertung der Reserven gemessen am aktuellen Unternehmenswert, Geschätzte Restförderdauer der Ölfelder
  • Substanzwertverluste bei zu geringen Neufunden (Reserve Replacement Ratio < 100%)
  • Die RRR kann möglicherweise nur durch hohe Neuinvestitionen oder Akquisitionen gehalten werden
  • Bewertungsrisiken bei zu aggressiver Buchführung: Reservekorrekturen nach unten
  • Produktionskosten / Barrel bzw. Gewinnspannen bei aktuellem Ölpreis
  • KGV´s und Dividendenrenditen
  • Hedging-Aktivitäten (Umfang möglicher Vorausverkäufe)
  • Sentiment gegenüber den Aktien
  • Hebeleffekt von Ölaktien nach oben und unten ggü. Veränderungen der Basis (Ölpreis)
  • Länderrisiken (Fördergebiete liegen in politisch instabilen Ländern; zum Teil Gefahr von Kriegen um Öl)
  • Währungsrisiken (bei Euro-Depots derzeit v.a. das Dollar-Verfallsrisiko)
  • Verstaatlichungsrisiken und andere "squeeze out"-Risiken
  • Saisonale Schwankungen und Verschiebungen durch zukünftige Future-Liefertermine
  • Spezifische Unternehmensrisiken (besonders hoch bei reinen Explorationsaktien)
  • DCF-Bewertungen von Ölförderungs-Unternehmen werden i.d.R. über 10-20 Jahre durchgeführt. Dass Reserven auch vor Ende des Zeitraums zu Ende gehen können, ist in den Modellen nicht vorgesehen.



  • Alternative Investitionsmöglichkeiten

    Selbstverständlich kann man auch direkt in alternative Energieformen investieren. Möglichkeiten gibt es in den Bereichen Wind- oder Solarenergie, Wasserkraft, Wasserstoff, Biomasse und Energiepflanzen. Allerdings gibt es bislang nur wenige liquide börsennotierte Unternehmen. Man bewegt sich als Anleger oftmals noch im außerbörslichen Bereich (Venture Capital). Zudem sind die meisten Technologien zu Beginn sehr kapitalintensiv und werden erst sukzessive mit stark steigenden Ölpreisen wirtschaftlich: Bilanzen und Businesspläne vieler Alternativenergie-Firmen sind heute in Deutschland häufig durch Subventionseffekte und staatlich garantierte Einspeisungspreise geschönt. Es besteht ein latentes Risiko, dass diese politisch motivierten Unterstützungen nicht dauerhaft bestehen bleiben. Dennoch geht langfristig der Trend hin zu diesen dezentralen Energieversorgungs-Technologien.

    Bleiben für die nähere Zukunft die (nicht ganz so "alternativen") Energieformen Erdgas, Kohle, und Kernenergie. Auch diese haben alle ihre jeweiligen Nachteile bzgl. Verfügbarkeit, Umweltbelastung, Investitionsbedarf, eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten und gesellschaftlicher Akzeptanz. Für Europa sehen wir mittelfristig eine massiv steigende Bedeutung von Erdgas als noch einige Jahrzehnte verfügbarer und politisch akzeptierter Energieform voraus. Hier liegen auch kurzfristig die größten Anlagechancen, obwohl man die mit russischen Investments verbundenen politischen Risiken nicht unterschätzen sollte. Mit etwas zeitlichem Abstand wird dann Kohleverstromung eine Renaissance erleben. Schließlich dürfte in voraussichtlich zehn Jahren angesichts der Alternativen und der dann erreichten Strompreise eine moderne Kernkraft-Technologie mit geringem Endlagerbedarf trotz der Sicherheitsrisiken auch in Europa wieder politisch durchsetzbar sein.

    Zuletzt setzt die PBVV auch weiterhin auf große Energieverteilungsunternehmen - allerdings aus anderen Gründen (Preismacht durch regionale Monopolstellungen, Substanzwert der Infrastruktur).


    © Peter Boehringer
    www.pbvv.de



    » Forumsbeiträge zu diesem Artikel



    [b]Quellenangaben:
    (1) Vgl. PBVV-Finanzbrief 04-2004
    (2) USA: ExxonMobil, ChevronTexaco; UK: RoyalDutchShell, BP; Frankreich: Total; Italien: ENI; Russland: Yukos, Lukoil; Spanien: Repsol; Brasilien: Perobras; Norwegen: Statoil; diverse staatseigene Unternehmen in den arabischen Ländern sowie in Venezuela, Mexiko
    (3) Vgl. auch PBVV-Finanzbrief 4-2004
    (4) 1 Future-Kontrakt = 1.000 Barrel; es gibt Laufzeiten bis zu 5 Jahren
    (5) Einer der Gründe, warum Shell kürzlich seine Ölreserven um über 20% reduzieren musste: das Öl ist höchstwahrscheinlich durchaus vorhanden, darf aber nach SEC-Definition heute noch nicht als Reserve ausgewiesen werden.
    (6) … die allerdings nur mit ökologisch bedenklichen Fördermethoden nutzbar sind
    (7) Tatsächlich wird es sogar niemals ganz ausgehen, da voraussichtlich 30%-40% des auf der Erde vorhandenen Öls niemals gefördert werden wird - die Förderung würde mehr Energie kosten als bei der Ölnutzung wiederzubekommen wäre.



    RISIKOHINWEIS / DISCLAIMER
    Diese Publikation ist lediglich eine unverbindliche Stellungnahme zu den Marktverhältnissen. Alle Angaben darin stammen aus Quellen, die wir für vertrauenswürdig halten. Eine Garantie für die Richtigkeit und Vollständigkeit kann jedoch nicht übernommen werden. Die zum Ausdruck gebrachten Meinungen und Kommentare entsprechen den Einschätzungen der PBVV. Sie können sich jederzeit ohne vorherige Ankündigung ändern. Sie erheben selbstverständlich keinen Anspruch auf Rechtsgültigkeit. Die Publikation stellt keinesfalls eine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers dar. Sie dient lediglich der allgemeinen Information und ersetzt keinesfalls die persönliche Beratung.




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