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S.D. Prinz Michael von und zu Liechtenstein: “Die echte Gefahr geht von massiver staatlicher Abhängigkeit aus”

16.01.2021  |  Claudio Grass
- Seite 3 -
S.D. Prinz Michael von und zu Liechtenstein: Kurzfristig gedacht, ist es wahrscheinlich ein Problem, über das sich “später noch” reden lässt - es sollte allerdings nicht als ein solches betrachtet werden! Die Welt hat sich an den Gedanken gewöhnt, dass sich Staaten beliebig hoch verschulden können, ohne dass negative Konsequenzen drohen. Eine Reihe von Ökonomen setzt sich zudem für die Modern Monetary Theory ein, welche davon ausgeht, dass dem Staat ins seiner Fähigkeit zur Verschuldung keine Grenzen gesetzt sind. Es wäre nicht das erste Mal, dass Menschen, auch intelligente, mathematische Gesetze ignorieren und denken, dass 2 x 2 gleich mehrere hundert sind.


Claudio Grass: Eine beachtliche Anzahl von “Experten” und “Mainstream-Ökonomen” prognostiziert derzeit recht selbstbewusst eine große Erholung für das Jahr 2021; die Aktienmärkte benehmen sich ohnehin so, als würde diese Erholung schon laufen. Trotzdem zeichnen andere Indikatoren - wie Arbeitslosenquoten, Produktivitätskennzahlen, Sparquoten der Haushalte aber auch praktisch jeder andere “realwirtschaftlich” relevante Indikator - ein ganz anderes Bild. Was sehen Sie in nächster Zeit kommen? Werden wir in wenigen Monaten tatsächlich zu “business as usual” zurückkehren?

S.D. Prinz Michael von und zu Liechtenstein: “Business as usual” wäre schön, doch leider ist es nicht realistisch. Schon jetzt ist dafür zu großer Schaden entstanden. Ganz grundsätzlich wäre es noch nicht zu spät für gesunde, tragfähige Politik und die Anerkennung von marktwirtschaftlichen Prinzipen, Unternehmergeist sowie Eigenverantwortung - in einer Wirtschaft mit fundamental solider Finanzstruktur. In Krisenzeiten kann hier etwas Liquidität im Markt Wunder wirken.

Aktuell sehen wir aber, dass selbst zusätzliche Billionen-Beträge der “Mainstreet” nicht mehr helfen. Das wurde in den vergangenen Jahren schon häufiger versucht; die Ökonomien sind schon durch den üppigen Einsatz von Liquidität befeuert worden. Jetzt haben die Lockdowns einen guten Teil der Geschäftsgrundlage der Wirtschaft zerstört. Der Aktienmarkt könnte sogar noch weiter steigen und noch mehr vom zusätzlich vorhandenen Geld aufnehmen; allerdings zeigen sich hier schon die Hinweise, dass die Kaufkraft pro Dollar oder pro Euro an den Vermögensmärkten rückläufig ist. Eine gesunde Variante des von mir zuvor erwähnten “Great Reset” wäre ein Neustart der Wirtschaft auf Grundlage solider und tragfähiger Marktprinzipien.

Leider macht es ganz den Eindruck, als ob es bei diesem “Great Reset” viel eher in Richtung anderer Modelle geht - z.B. das des “Neuen Normalzustands”, wobei Gesellschaften und Ökonomien in eine große Mittelmäßigkeit geführt werden. Die Menschheit kann im Mittelmaß überleben, das hat die Deutsche Demokratische Republik gezeigt.

Im deutlichen Kontrast dazu konnte aber die Bundesrepublik Deutschland zeigen, dass eine Gesellschaft mehr kann als nur überleben, dass sie in einer freien Marktwirtschaft sogar prosperieren und erblühen kann. Jetzt stellt sich also die Frage, ob wir einen “Großen Neustart” wählen, der sich an einem ähnlichen Modell orientiert, dem auch die DDR folgte - oder aber einen “Großen Neustart”, der dem Modell der BRD folgt.


Claudio Grass: Abgesehen von allen Herausforderungen, vor die uns die Pandemie stellt, vollziehen sich derzeit auch wesentliche Entwicklungen auf der weltpolitischen Bühne: die US-Wahlen, die jüngst wiederaufflammenden Spannungen mit dem Iran, wachsendes Misstrauen großer Teile des Westens gegenüber China… In Anbetracht Ihrer reichen Erfahrungen und Ihres Verständnisses geopolitischer Dynamiken: Welche potentiellen Kernfragen oder -probleme werden Ihrer Meinung nach in den kommenden Jahren eine ganz entscheidende Rolle spielen?

S.D. Prinz Michael von und zu Liechtenstein: Aus geopolitischen Gründen oder Fragen der Hegemonie ist ein Konflikt zwischen den USA und China unvermeidlich, ganz gleich, wer Präsident der Vereinigten Staaten ist. Wie sich schon andeutet, wird uns der Konflikt verstärkt von der Globalisierung wegführen und gewisse Fragmentierungsprozesse in Gang setzen. China möchte unabhängiger werden vom US-Dollar-System und den westlich geprägten und bestimmten Handels- und Geschäftssystemen. Diese Tendenz wird bestehen bleiben; für Europa stellt sich damit die Frage, wie es sich in diesem Konflikt positioniert.

Die große Schwierigkeit für die westliche Welt ist der Verlust des Vertrauens ins eigene System, nach so langer Zeit der Bequemlichkeit und des Luxus. Das schwächt die Fähigkeit des Westens auf die chinesische Herausforderung zu reagieren. Der Westen sollte nicht versuchen, China einzugrenzen, er sollte stattdessen viel eher seine eigenen Stärken wie Freiheit, Selbstverantwortung und Marktwirtschaft zur Geltung zu bringen. Leider bewegt sich gerade Europa auf ein System multilateraler Standards und harmonisierter Systeme zu, die auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner basieren und gleichzeitig auf hohen bürokratischen Standards gebaut sind. Das schwächt westliche Demokratien im Vergleich zu Autokratien.

Wir befinden uns heute in einer geopolitischen Situation, die deutlich der politischen Situation Europas vor Beginn des 1. Weltkrieges ähnelt. Gleichzeitig weist die aktuelle Situation mit Blick auf Wirtschaft und Verschuldung große Ähnlichkeiten mit der Situation in den 1930er Jahren auf, vor Ausbruch des 2. Weltkrieges.

Folglich ist es wichtiger denn je, wieder Wege zu finden, die uns zurück zu den alten Prinzipien von Freiheit und Marktwirtschaft bringen. Marktwirtschaften sind per se sozial, wie das Deutsche Wirtschaftswunder nach dem 2. Weltkrieg beweist. Auch wenn der Ausblick auf 2021 ein schwieriger ist, so vertraue ich darauf, dass diese Krise die westliche Welt wieder zurückführt zu Realismus, Pragmatismus sowie zu einer freien Gesellschaft und einer freien Marktwirtschaft. Diese beiden Elemente bedingen sich gegenseitig.


© Claudio Grass
Hünenberg See, Schweiz



Das Interview wurde auf proaurum.ch veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten.de übersetzt.


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