Hohe Inflation und negative Realzinsen für länger
04.02.2022 | Prof. Dr. Thorsten Polleit
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Ungedecktes GeldDer Marktzins spielt eine entscheidende Rolle im heutigen ungedeckten Geldsystem (das man auch als Fiat-Geldsystem bezeichnen kann). Alle wichtigen Währungen der Welt - ob US-Dollar, Euro, japanische Yen, Britisches Pfund, Schweizer Franken oder chinesischer Renminbi - repräsentieren ungedecktes Geld, also Geld, das per Bankkreditvergabe erzeugt wird, ohne dass dafür eine entsprechende Ersparnis vorliegen würde.
Das ungedeckte Geld wird im Regelfall über den Kreditmarkt in die Volkswirtschaft eingespeist. Dabei senkt die künstliche Ausweitung des Kreditangebots den Marktzins ab - im Vergleich zu einer Situation, in der es keine solche Ausweitung des Kreditangebots geben würde.
Dadurch wird ein künstlicher Aufschwung ("Boom") in Gang gesetzt. Ein solcher Aufschwung kann jedoch nur anhalten, solange der Marktzins künstlich niedrig bleibt beziehungsweise im Zeitablauf weiter absinkt. Anders gesagt: Es ist erforderlich, dass das künstliche Kreditangebot und die damit erzeugte Geldmenge im Zeitablauf weiter zunehmen.
Geschieht das nicht, fällt der Aufschwung in sich zusammen. Zahlungsausfälle auf breiter Front, Bankenpleiten, Rezession, Arbeitslosigkeit sind die Folgen. Um das zu verhindern, sorgt die Zentralbank in der Regel dafür, dass ein von ihr in Gang gesetzter Boom weitergeht, nicht kollabiert. Und dazu senkt sie bei den ersten Anzeichen einer Krise die Zinsen weiter herab.
Die Verschuldung in einem ungedeckten Geldsystem schwillt schneller an als die Wirtschaftsleistung zunimmt (beispielsweise weil nicht alle kreditfinanzierten Ausgaben produktiv (sondern viele konsumtiv) sind, weil etliche Investitionen "floppen" etc.). Der damit verbundene Anstieg der Schuldenlasten führt dazu, dass der Zins, wenn er erst einmal durch die Zentralbank abgesenkt wurde, sich nicht so ohne weiteres wieder auf sein ursprüngliches Niveau zurückbringen lässt. Denn solch ein Zinsanstieg würde den Boom kollabieren lassen. Er würde vor allem auch die Schuldner in die Bredouille bringen, es ihnen erschweren, ihren Schuldendienst leisten zu können.
Die Staaten machen bekanntlich reichlich Gebrauch von den Verschuldungsmöglichkeiten, die das ungedeckte Geldsystem eröffnet. Und es ist letztlich auch die staatliche Interessenlage, die die Zinspolitik der Zentralbank maßgeblich bestimmt. Das tritt besonders offensichtlich dann in Erscheinung, wenn die Staaten hoch verschuldet sind.
Die hauseigene Zentralbank wird sich, vor die Wahl gestellt, die Zinsen anzuheben und den Staat in Zahlungsprobleme zu bringen, oder die Zinsen niedrig zu halten und dafür Inflation herbeizuführen, absehbar gegen ersteres und für zweiteres entscheiden. Kurzum: Aus der Politik der Zinssenkung, hat sie erst einmal begonnen, gibt es kaum einen, in jedem Fall keinen leichten Ausstieg.
Wenig Raum für steigende Zinsen
Es ist in einem ungedeckten Geldsystem also alles andere als überraschend, wenn der Marktzins im Zeitablauf absinkt - weil ihn die Zentralbank im Trendverlauf auf immer niedrigere Niveaus schleust. Das Problem ist allerdings: Das ungedeckte Geldsystem kann auf den Kreditmarktzins nicht verzichten. Ganz ohne Zins kommt es nicht aus: Wenn der Zins dauerhaft null oder negativ in nominaler und realer Rechnung wäre, dann wäre kein Privater (der bei Sinnen ist) mehr bereit Kredite zu vergeben.
Es bliebe nur die staatliche Zentralbank und im Staatsbesitz befindliche Geschäftsbanken als Darlehensgeber. Zuteilung, Rationierung von Kredit wären dann erforderlich. Nicht mehr Angebot und Nachfrage (und damit der markträumende Zins) würden bestimmen, wer wann welchen Kredit erhält. Vielmehr würde der Kreditzugang von staatlich festgelegten Kriterien abhängen. Das Ergebnis wäre die vollständige Verstaatlichung des Kredits.
Soll das verhindert werden, muss die Zentralbank einen Balance-Akt vollziehen: Sie muss den Zins auf immer niedrigere Niveaus schleusen, und dabei muss sie gleichzeitig verhindern, dass die Marktakteure beginnen zu erwarten, der Zins, nachdem er erst einmal abgesenkt wurde, werde künftig nicht mehr angehoben. Die Zentralbank muss also die Zinssteigerungserwartungen der Anleger wachhalten.
Das wiederum macht es erforderlich, die Marktzinsen innerhalb des Zinssenkungstrend nicht nur zu senken, sondern zwischenzeitlich auch mal (leicht) anzuheben. Das ist vor allem dann nötig, wenn die Inflation ansteigt, wenn sich in der Öffentlichkeit die Sorge vor dem Kaufkraftverlust des Geldes ausbreitet. Denn dann schwindet das Vertrauen in Zentralbank und ihr ungedecktes Geldsystem.
Angesichts stark steigender Konsumgüterpreisinflation hat die US-Notenbank daher jetzt Zinssteigerungen in Aussicht gestellt. Doch - wie vorangehend ausgeführt - ist ihr Zinsanhebungsspielraum ziemlich gering. Dazu sei erneut ein Blick auf die langfristigen US-Zinsentwicklung geworfen (siehe nachfolgende linke Graphik). Zeichnet man mit Beginn der frühen 1980er Jahre langfristige Trendlinien ein, so wird ein "Zinskanal" ersichtlich: Er hat eine Obergrenze von etwa 2¼ bis 2,50 Prozent. Angesichts der aktuellen Rendite von etwa 1,80 Prozent ist der Steigerungsspielraum für den Langfristzins also relativ begrenzt, wenn der Zinsabwärtstrend nicht verletzt werden soll (beziehungsweise werden darf).
Quelle linke Graphik: Refinitiv; Graphik Degussa. Gestrichelte Linien: Geschätzte Trendverläufe.
Quelle rechte Graphik: Refinitiv; Graphik Degussa. 100 Basispunkte = 1 Prozentpunkt. Graue Fläche: Langfristzins gleich oder geringer als Kurzfristzins ("Inversion der Zinskurve").
Quelle rechte Graphik: Refinitiv; Graphik Degussa. 100 Basispunkte = 1 Prozentpunkt. Graue Fläche: Langfristzins gleich oder geringer als Kurzfristzins ("Inversion der Zinskurve").