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Frankreich im Streik: Die Wurzeln der Ungerechtigkeit, die über eine Million Menschen auf die Straße brachte

07.05.2023  |  Claudio Grass
Es ist der Kern eines alten Witzes, dass die Franzosen lieber streiken als arbeiten – und das aus gutem Grund. Demonstrationen, Streiks und sogar Krawalle sind seit Jahrzehnten schon fast an der Tagesordnung. Diese jüngste Serie scheint interessanterweise hartnäckig zu sein, obwohl die Medien immer weniger darüber berichten.

Das letzte Mal, dass die Franzosen auf die Straße gingen und dort blieben und die Mainstream-Presse ihnen Aufmerksamkeit schenkte, war die Gelbwestenbewegung im Jahr 2018. Damals war der ursprüngliche Auslöser eine unpopuläre neue Kraftstoffsteuer, aber die Liste der Beschwerden und Forderungen wuchs schnell und umfasste alle möglichen Politikbereiche. Es dauerte nicht lange, bis die Bewegung im Wesentlichen ein Vehikel war, um die allgemeine öffentliche Wut und Unzufriedenheit sowie ein wachsendes Gefühl der Desillusionierung gegenüber dem politischen Establishment auszudrücken. Diesmal ist es nicht wirklich anders.

Alles begann im Januar mit der Rentenreform von Präsident Macron. Auch sie war zutiefst und weithin unpopulär, und das aus gutem Grund. Wenn man jemandem jeden Monat einen beträchtlichen Teil seines Gehalts abknöpft, mit der Zusage, dass man ihn in einer bestimmten Anzahl von Jahren (teilweise) zurückgibt, und dann einseitig beschließt, die Rückzahlung um ein paar Jahre zu verschieben, dann muss man schon mit einer gewissen Verstimmtheit rechnen.

Würde ein normaler Bürger versuchen, dasselbe mit einem Bankdarlehen zu tun, hätte dies schnelle und schwerwiegende Konsequenzen. Aber aus irgendeinem Grund glaubt Präsident Macron, wie die meisten Politiker, dass der Staat über dem Gesetz steht und die Vertragsbedingungen nach eigenem Gutdünken umschreiben kann. Und so sorgte die Rentenreform, ähnlich wie zuvor die Kraftstoffsteuer, für weit verbreiteten und berechtigten Unmut, dieser weitete sich jedoch schnell auf andere Bereiche aus und die Demonstranten begannen, Änderungen in einem viel größeren Umfang zu fordern.

Dies ist wohl zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass der französische Präsident beschlossen hat, den demokratischen Prozess gänzlich zu umgehen und die Gesetzgebung im Wesentlichen per Erlass durchzusetzen, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem 73% der französischen Bürger einer Umfrage der Huffington Post zufolge mit der Reform eindeutig nicht einverstanden waren.

Diese autokratische Machtdemonstration wurde als zusätzliche Beleidigung empfunden und hat die Demonstranten noch mehr verärgert. Sie führte zudem dazu, dass die Forderungen der Streikenden viel deutlicher auf institutionelle Reformen abzielten, da sie den meisten Menschen klar machte, dass nicht dieses spezifische Gesetz das eigentliche Problem ist, sondern das System, das es zulässt, dass es verabschiedet wird, auch wenn die demokratische Mehrheit es ablehnt. Wozu ist die Demokratie eigentlich gut, wenn der Wille des Volkes zu einem irrelevanten Ärgernis für die Herrschenden reduziert wird?

Während dieser Instinkt, das große Ganze zu betrachten, sicherlich lobenswert und ein Schritt in die richtige Richtung ist, gibt es meiner Meinung nach ein noch größeres Bild, das in dieser ganzen Debatte ignoriert wird. Wenn man wirklich verstehen will, wie so etwas überhaupt passieren konnte oder überhaupt möglich war, muss man über die Feinheiten der Verfassung oder die verschiedenen Schlupflöcher und Verfahren hinausschauen, die eine Regierung nutzen und als Waffe einsetzen kann, um ihren Einfluss auf die Regierten auszuweiten. Man muss das Geld selbst betrachten.

Für mich handelt es sich hierbei lediglich um eine weitere Manifestation des Fiatgeld-Problems. Wäre Frankreich in seiner Fähigkeit eingeschränkt, Geld aus dem Nichts zu erschaffen, in diesem Fall durch die EZB, – doch das gilt für jede gelddruckende Nation – wären wir gar nicht erst in das derzeitige Chaos geraten. Die Politiker hätten nicht die Möglichkeit, absurde Wahlversprechen zu machen und diese dann mit frisch gedrucktem Geld zu finanzieren, so würden sie am Ende keine Inflationsspirale und Schuldenverpflichtungen erzeugen, die sie unmöglich einhalten können.

Sie kämen also nicht in die Situation, der Öffentlichkeit verkünden zu müssen, dass sie ihre Renten nicht pünktlich auszahlen können, weil sie das Geld bereits ausgegeben haben und etwas mehr Zeit brauchen, um das Geld zusammenzubekommen.

Was an der aktuellen Situation wirklich auffällt, ist, wie sehr sich sowohl die Regierungen als auch die Öffentlichkeit von der Realität und vom Kernkonzept der Gerechtigkeit entfernt haben. Macron übernahm keinerlei Verantwortung für die geplünderten Kassen, für das fehlende Geld und für den allgemeinen Zusammenbruch seines Wohlfahrtsstaates, sondern hielt es für selbstverständlich, dass das Volk die Last der Fehler des Staates übernehmen und dafür bezahlen sollte. Er versuchte sogar, die Demonstranten als gefährliche Fanatiker darzustellen, verglich sie mit den Menschen, die am 6. Januar das US-Kapitol stürmten, und ließ die volle, brutale Härte der Bereitschaftspolizei auf sie los.

Auch wenn es den Anschein hat, dass gesunder Menschenverstand und Anstand in unseren westlichen Gesellschaften und insbesondere in den Reihen derer, die uns regieren, längst ausgestorben sind, gibt es doch gute Gründe für die Hoffnung, dass sich dies ändern könnte. Die anhaltenden und mutigen Demonstrationen in Frankreich machen einen dieser Gründe deutlich. An einem bestimmten Punkt haben die Menschen einfach genug, und es kommt nicht darauf an, was genau der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.

Solange dieser Auslöser die Öffentlichkeit dazu veranlasst, innezuhalten und neu zu bewerten, was sie zu wissen glaubte, solange er sie dazu veranlasst, sich nicht mehr mit "ihrem Schicksal" zufrieden zu geben, und sie dazu zwingt, zu erkennen, dass die Überregulierung durch ihre Regierung zu einer existenziellen Bedrohung für sie und ihre Kinder geworden ist, gibt es ein helles Licht am Ende des Tunnels.


© Claudio Grass
www.claudiograss.ch


Dieser Artikel wurde am 02.05.2023 auf claudiograss.ch veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.


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