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Julien Chevalier: Schulden, 1789 und 2023: Wiederholt sich die Geschichte?

06.08.2023
- Seite 3 -
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Banque de France @gettyimages


Dieser Ausflug in die Geschichte lädt uns ein, die heutige Zeit mit etwas Abstand zu betrachten. Gemeinsamkeiten mit der Situation Frankreichs zum Ende des 18. Jahrhunderts finden sich im Überfluss:

• Frankreich und die meisten anderen Staaten weltweit nehmen seit mehreren Jahrzehnten und insbesondere seit der Finanzkrise von 2008 unaufhörlich neue Schulden auf. Die Risiken werden damit verzögert und kommenden Generationen angelastet.

• Die Ungleichheit erreicht historische Höchstwerte, wie zum Ende des 18. Jahrhunderts. In Frankreich befindet sich heute mehr als die Hälfte des Gesamtvermögens im Besitz der reichsten 10%. (In anderen Ländern ist die Situation sogar noch beunruhigender.)

• Um die Zinsraten der Staaten zu senken, werden unkonventionelle Maßnahmen angewendet. Was wir heute als "quantitative Lockerungen" bezeichnen, existierte bereits 1767, mittels der Caisse d’Escompte.

• In den letzten beiden Jahrzehnten waren die Preise moderat gestiegen (wobei sich die Kosten für Wohnraum stark erhöht haben). Ab April 2021 steigt die Inflation immer weiter an und insbesondere die Preise für Lebensmittel verteuern sich, wie im Jahr 1788.

• Unter den drei größten Haushaltsposten Frankreichs finden wir heute wie schon 1789 die Zinsen auf die Staatsschulden und den Verteidigungsetat. Die öffentlichen Ausgaben werden stattdessen gekürzt.

• Dieses Mal konnte eine katastrophale Hyperinflation dank dem Eingreifen der Zentralbanken verhindert werden. Doch die EZB schränkt ihre Maßnahmen ein, um eine Entschuldung durch Inflation zu erzielen (eine schon beim Staatsbankrott von 1789 empfohlene Lösung).

• Aufgrund der Interdependenzen im Finanzsystem könnte es zu einer neuen Finanzkrise kommen. Nach der Pleite mehrerer amerikanischer Regionalbanken im März ist zwischen Ende 2023 und 2024 mit einer größeren Krise zu rechnen.

Trotz aller Gemeinsamkeiten besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen dem damaligen und dem heutigen Währungssystem: Das heutige Modell ermöglicht eine höhere Verschuldung und dadurch eine Verlängerung des aktuellen Zyklus, da die Geldmenge nicht mehr durch einen physischen Wert begrenzt ist. Dies bringt schwerwiegende indirekte Folgen mit sich (zunehmende Unterschiede in der Wohlstandsverteilung, soziale und gesellschaftliche Spannungen etc.)

Wenngleich die Gefahr einer neuen Französischen Revolution und sozialer Umwälzungen niemals ausgeschlossen werden kann, gestaltet sich die Situation heute im Zuge der Hyper-Digitalisierung komplexer.

Im Anschluss an die Gesundheitskrise, als die Verschuldung abrupt in die Höhe geschnellt war, haben mehrere Think-Tanks einen teilweisen Schuldenerlass vorgeschlagen. Es wurde vor allem die Idee diskutiert, die Schulden zu annullieren, die die Zentralbank zwischen 2020 und 2022 aufgekauft hatte, und die der Staat zurückzahlen muss (was letztlich darauf hinausläuft, dass der Staat sich selbst bezahlt, da die Notenbank eine öffentliche Einrichtung ist… Im Falle eines Schuldenerlasses oder -schnitts würden die Zahlungen allerdings reinvestiert und nicht "gestrichen").

Doch dieser Vorschlag blieb wirkungslos, nachdem die Notenbanker ihn als "undenkbar" abqualifiziert hatten. Dabei wurde diese Lösung wiederholt angewendet, sei es vor 3000 Jahren in Mesopotamien oder in jüngerer Vergangenheit in verschiedenen Staaten (USA, Mexiko, Venezuela etc.) Deutschland griff allein im vergangenen Jahrhundert auf zwei Schuldenstreichungen zurück: Eine Schuldenerleichterung im Jahr 1918 und einen Schuldenschnitt von 60 % im Jahr 1953.

Beide Male fiel dieser Beschluss, sowie die Streichung der französischen Schulden 1797, nach dem Ende eines entsetzlichen Krieges… Vielleicht wird es auch dieses Mal wieder so kommen. Karl Marx schrieb, dass sich die Geschichte immer zweimal ereignet, "das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce."

Während sich der Krieg in der Ukraine fortsetzt und die sozialen Spannungen in den betroffenen Ländern zunehmen, bleibt die Lösung, einen Teil der Schulden zu annullieren, heute aktueller denn je. Auf diese Weise ließe sich verhindern, dass sich neue soziale Folgen zu den bestehenden Problemen hinzugesellen (geopolitische Konflikte, Ungleichheit…). Zudem würden die öffentlichen Finanzen entlastet.

Doch diese Lösung hätte nur dann eine langfristige Wirkung, wenn anschließend ein neues Währungssystem eingeführt würde, das die Zyklen abschafft. Ein solches Paradigma impliziert zunächst, dass die Währungspolitik auf demokratischem Wege festgelegt wird. Die Geldschöpfung darf anschließend nur in begrenzten Mengen erfolgen, gemäß einem Wachstumsziel, das an die realen Bedürfnisse angepasst ist. Neue, innovative Methoden müssen angewendet werden, um die Staatsschulden weiter zu reduzieren, ohne dass die Steuerzahler zusätzlich belastet werden.

Eine schuldenfreie Währung kann diese Rolle ohne Weiteres übernehmen. Zudem muss der Geldumlauf gesichert werden, um eine zu hohe Sparrate zu vermeiden (Schwundgeld könnte dies gewährleisten). Schließlich müssten langfristige Perspektiven auf politischer Ebene immer Vorrang vor kurzfristigen haben. Eine solche weiche Landung würde die Grundlagen für eine neue Ära schaffen, in der für die Herausforderungen von morgen schon heute eine Lösung gefunden wird.


© Julien Chevalier



Dieser Artikel wurde am 25.07.2023 auf https://de.goldbroker.com veröffentlicht.


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