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Der Kondratieff-Mythos

12.04.2008  |  Redaktion
Angesichts der dramatischen Bedeutung, die Konjunkturzyklen für die menschliche Existenz haben können, erstaunt das Schattendasein dieser Thematik in der Mainstream-Ökonomie. Es schien sich sogar die Einschätzung durchzusetzen, daß schwere Wirtschaftskrisen eine überwundene Facette der Vergangenheit wären. Kurz vor dem Ausbruch der Hypothekenkrise in den USA schrieb so etwa die Wirtschaftsredaktion der Neuen Zürcher Zeitung davon, daß wir nun in der "besten aller Welten" angelangt wären und sich die Weltwirtschaft im geruhsamen Gleichgewicht befände. So kann man sich täuschen ...

Eine der wenigen Denkschulen, die sich von der Mär der schönen neuen Welt ohne Konjunkturzyklen nicht beirren läßt, geht auf den russischen Ökonomen Nikolai D. Kondratieff zurück. Einem breiteren Publikum bekannt gemacht wurde dessen Ansatz aber erst vom berühmten österreichischen Enfant terrible der Ökonomie, Joseph A. Schumpeter, als sogenannter Kondratieff-Zyklus. Um zu verstehen, warum Schumpeter diesen Ansatz aufgriff und was ihn auszeichnet, müssen wir zunächst dessen persönliches Dilemma näher betrachten: Schumpeter war ein Zerrissener zwischen zwei grundverschiedenen ökonomischen Zugängen. Er hatte eine solide ökonomische Ausbildung in der Tradition der weltweit führenden Wiener Schule bei Eugen von Böhm-Bawerk erfahren, die ein besonders realistischer Zugang zur Ökonomie als Wissenschaft vom menschlichen Handeln in all seinen Facetten auszeichnet. Zugleich war dem genialen Schumpeter aber die seriöse Bescheidenheit dieser Schule zu eng, er war begeistert von der wunderbaren Welt der Naturwissenschaft und setzte große Hoffnung in neue mathematische Methoden.

Eines Tages, so war er überzeugt, sollte es möglich sein, die reale Dynamik des Wirtschaftslebens, wie sie die Wiener Schule beschreibt, mit Gleichungen in der Tradition der Lausanner Schule zu berechnen. Bis dahin mußten die mathematischen Ökonomen mit lebloser Gleichgewichtsökonomie Vorlieb nehmen. Die einzige Möglichkeit, dieses Dilemma zu überwinden, war, die realen Veränderungen als externe Voraussetzungen für die mathematischen Modelle zu nehmen. So wurde der Schumpetersche Zugang geboren: Da das statische System des von Schumpeter verehrten Léon Walras die reale Dynamik nicht selbst abbilden oder erklären konnte, müßte es immer wieder durch einen angenommenen deus ex machina, einen externen Schock, gut durchgeschüttelt werden. Schumpeters Unternehmertheorie leistet genau dies: Der Unternehmer tritt als wundersamer externer Akteur auf, der die Wirtschaft aus dem Gleichgewicht wirft.

In enger Anlehnung an Kondratieff weist Schumpeters Konjunkturzyklustheorie genau denselben Zugang auf. Der Zyklus der Wirtschaft wird als notwendiger, dem System geradezu "von außen" aufgezwungener Rhythmus angesehen. Der typische Phasenverlauf vom Boom über die Rezession in die Depression sei so typisch, weil er unausweichlich wäre - genauso unausweichlich wie die periodische Zerstörung der sich im Gleichgewicht eingependelten Wirtschaftsstruktur durch unternehmerische Pioniere.

Jeder dieser Zyklen umfasse, nach Kondratieff, ungefähr 54 Jahre und entspräche damit nicht zufällig ungefähr einer Lebensspanne. Schumpeter meinte, drei dieser Kondratieff-Zyklen in der jüngeren Geschichte nachweisen zu können. In einem Brief an Simon Kuznets versucht er eine genaue Zuordnung der Phasen nach Jahreszahlen, was eine Überprüfung wesentlich erleichtert. Die drei Zyklen nannte Schumpeter den "Kondratieff der industriellen Revolution", den "Kondratieff der Bourgeoisie" und den "Kondratieff des Neomerkantilismus". Rechtsstehende Tabelle enthält die Daten aus seinem Brief:

Wie schon Kondratieff bezieht sich Schumpeter bei der Aufteilung der historischen Zyklen im Wesentlichen auf Preisstatistiken. Doch eine solche Zyklentheorie läuft Gefahr, der Geldillusion zu erliegen: sich von nominellen Preisen blenden zu lassen. Tatsächlich haben Preise an sich überhaupt keine Aussagekraft über den Wirtschaftsablauf.

Die einzig unzweifelhafte Depression im Sinne struktureller Verzerrungen, die kostspielige Umstrukturierungen mit - aufgrund politischer Interventionen - hoher Arbeitslosigkeit und der Zerstörung zahlreicher Existenzen mit sich brachte, ist jene, die am wenigsten weit zurücklag, als Schumpeter dies schrieb: Die Große Depression der 1930er. Von solchen Zuständen waren jedoch alle anderen erwähnten Zeitabschnitte weit entfernt. Interessant ist zudem, daß Schumpeters Zuordnung zum Teil den Zahlen von Kondratieff widerspricht. Und Zyklentheoretiker in dieser Tradition geben bis heute immer wieder andere Daten an.

Hinter den historischen Preisbewegungen steht auch kein mysteriöser Naturzyklus, sie sind großteils auf Kriege und staatliche Inflationierung zurückzuführen. Das Schielen auf die Preise führt bis heute die meisten Ökonomen in die Irre: Preisveränderungen sind in der Regel bloße Symptome grundverschiedener Ursachen. Heute jedoch werden Ursache und Wirkung in einen Topf geworfen und verhindern so ein wirkliches Verständnis: Weder Preissteigerungen (heute falsch "Inflation" genannt - ursprünglich: ungedeckte Ausweitung der Geldmenge) noch Preissenkungen (heute falsch "Deflation" genannt – ursprünglich: Schrumpfen der Geldmenge) sind an sich problematisch. Eine Wirtschaftskrise im eigentlichen Sinn tritt dann auf, wenn es zu konzentrierten Häufungen (Clusters) von Fehlinvestitionen kommt, deren Aufdeckung Bankrotte, Produktionseinbrüche, Börsenpanik und Arbeitslosigkeit mit sich bringt. Nicht absolute Preise, sondern allein relative Preise, insbesondere jene für Ersparnisse (Zinsen), bzw. deren Verzerrung, sind hierfür ausschlaggebend.





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