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Der Kondratieff-Mythos

12.04.2008  |  Redaktion
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Schumpeter als begeisterter Anhänger der Lausanner Schule war freilich mit der mangelnden Präzision der Kondratieff-Zyklen noch nicht zufrieden. Berühmt ist seine immer feinere Einteilung des Konjunkturzyklus, die höhere Präzision anstrebt, aber eine solche letztlich nur vortäuschen kann. In seinem Modell ist ein Kondratieff-Zyklus in drei Kuznets-Zyklen aufgeteilt, die jeweils 18 Jahre dauern. Jeder Kuznets umfaßt je zwei Juglar-Zyklen von 9 Jahren, die wiederum kleinere Kitchin-Zyklen enthalten.

Dieses "Matrjoschka-Modell" des Konjunkturzyklus weckt Erinnerungen an ein berühmtes historisches Vorbild, das die Problematik dieses Zugangs sehr gut illustriert. Ptolemäus hatte einst eine ähnliche Zyklentheorie entwickelt, allerdings um die Umlaufzyklen von Planeten zu beschreiben. Seine Theorie ist als Epizykeltheorie bekannt. "Epizykel" deshalb, weil er den Zyklen immer neue Unterzyklen einschrieb. Das resultierende Modell von auf Epizykloiden umlaufenden Planeten war notwendigerweise hochkomplex. Die Notwendigkeit für diese Komplexität lag schlicht darin begründet, daß das Modell, trotz seiner durchaus beeindruckenden Fähigkeit zur Beschreibung der Beobachtungen, falsch war. Falsch bedeutet: es beschrieb nicht die Realität. Denn Ptolemäus mußte die Theorie entwickeln, um seine - heute als ptolemäisches Weltbild bekannte - falsche Vorstellung vom geozentrischen Aufbau des Sonnensystems mit den Beobachtungen in Übereinstimmung zu bringen. Je genauer die Beobachtungen, desto schwieriger wurde dieses Unterfangen und desto komplexer mußte die Behelfstheorie werden: immer neue Epizyklen waren zu konstruieren.

Wie aber ist es möglich, auf der Grundlage einer falschen Theorie reale Beobachtungen scheinbar richtig zu erklären? Bei periodischen Phänomenen gibt es hierzu einen tieferen, mathematischen Grund. Jede stetige Funktion läßt sich, vollkommen unabhängig von ihrem Verlauf, durch einen Trick in "Zyklen" zerlegen. Zunächst stellt man sich diese Funktion ins Unendliche periodisch fortgesetzt vor. Dann läßt sich eine sogenannte Fourier-Analyse durchführen. Dabei wird die Funktion in eine Fourier-Reihe entwickelt, dies ist eine Reihe von Sinus- und Kosinusfunktionen, deren Überlagerung die Ursprungsfunktion ergibt. Die Bestandteile lassen sich als Frequenzanteile interpretieren, ihre Gesamtheit als Frequenzspektrum der Funktion. Auf diese Weise läßt sich praktisch jeder reale Kurvenverlauf in periodische Wellenfunktionen aufspalten. Im Klartext: Ganz egal, was der Historiker in der Realität mißt und beobachtet, stets lassen sich Zyklen aus dem Hut zaubern. Eine überaus praktische Theorie - denn sie ist immer "richtig". Dadurch kann sie aber auch rein gar nichts erklären.

Schumpeter ging es allerdings nicht wirklich darum, die Realität zu verstehen, er gab sich damit zufrieden, sie zu beschreiben. Dies mag durchaus persönliche Gründe gehabt haben: Schumpeter war dafür bekannt, "Pragmatiker" im schlechtesten Sinne zu sein - seine Flagge stets nach dem turbulenten Wind des letzten Jahrhunderts zu richten. Persönliche Schicksalsschläge und der Wahnsinn dieses Jahrhunderts ließen ihn zunehmend verzweifeln, zu einem bloßen zynischen Beobachter des Geschehens zu werden. Damit bereitete er dem Positivismus in der Ökonomie den Weg: Diese epistemologische Richtung gibt es auf, nach realen Erklärungen und Ursachen ökonomischer Phänomene zu suchen. Es genügt, bloß hinreichend "realistisch" zu beschreiben, auch wenn diese Beschreibung eine bewußt falsche Näherung ist. Während die erklärende Ökonomie beim realen Menschen ansetzen muß, wo mathematische Methoden wenig hilfreich sind, ähnelt die beschreibende Ökonomie äußerlich den Naturwissenschaften: sie ist geprägt von Statistik und Formalismen.

Der grundlegende Unterschied zwischen diesen Position läßt sich am einfachsten anhand folgenden Beispiels illustrieren: Wenn ein Computer eine Sprache analysiert, kann er sich nur auf die statistischen Beziehungen zwischen Buchstaben und Wörtern stützen. Dieser Computer würde eine enorme Fülle von Daten anlegen und schließlich tatsächlich vorhersagen können, daß in einer bestimmten Sprache mit einer Wahrscheinlichkeit von 6,258% in einem gewissen Sample auf ein t ein h folgt. Ein großartiges Beschäftigungsprogramm für diesen Computer, doch welch fundamentaler Unterschied zu einem tatsächlichen Verständnis von Sprache! Die scheinbare Präzision täuscht hier über mangelhaftes Wissen über die tatsächlichen Gründe hinweg. In diesem Sinne meinte doch tatsächlich vor einiger Zeit ein Naturwissenschaftler, er habe die exakte Durchschnittsdauer eines Kondratieff-Zyklus mit 53,38 Jahren bestimmt.

Schumpeters Beschreibung wirtschaftlicher Dynamik scheint aber doch so etwas wie eine Erklärung anzubieten: Gewissermaßen entspräche der Zyklus einem Wechselspiel zwischen hochfliegenden Visionen und physischen Begrenzungen. Der kreative Zerstörer bereite einer neuen Technologie den Weg, einer revolutionären "Basisinnovation", die einen immer gleichen Prozeß eines rapiden Auf-, bzw. eigentlich Umschwungs einläute, stets gefolgt von einer Erschöpfung deren Potentials. Heute wird dieser technologische Umschwung meist selbst als Boomphase interpretiert. Schumpeter hatte aber eine etwas genauere Vorstellung, die näher an der Realität ist: Der technologische Umschwung erfordere einen Boom. Auf diese Weise konnte Schumpeter wieder geschickt das heute leider weitgehend in Vergessenheit geratene Wissen der Wiener Schule mit seinem Zugang verknüpfen: Korrekt erfaßte er den Charakter des nicht-nachhaltigen Booms als Phänomen der Ausweitung der ungedeckten Geldmenge.

Die von heutigen Kondratieff-Anhängern behauptete ursächliche Auslösung des Zyklus durch Innovationen hingegen verwechselt wiederum Ursache und Wirkung. In der Tat läßt sich in der jüngeren Geschichte das Muster beobachten, daß die rapide Ausbreitung bestimmter Technologien oft erstaunliche Parallelität mit dem Konjunkturzyklus aufweist. Kein Wunder: Beide Phänomene haben dieselbe Ursache. So wurde etwa die Ausbreitung der Eisenbahn durch staatliche Inflationierung gefördert. Starker Einsatz von Technologie findet insbesondere in den kapitalintensiven Produktionsstufen höherer Ordnung statt. Durch Kreditmengenausweitung erfahren gerade diese Sektoren einen künstlichen Boom, der freilich nicht nachhaltig ist.

Ähnliche Zyklen werden auch in vielen anderen Bereichen beschrieben und haben auch in der Regel dieselbe Ursache. Ein beliebtes Beispiel, das die Gesetzmäßigkeit des Zyklenverlaufs zeigen soll, ist das zyklenartige Wechseln der Farbe von Regierungen. Tatsächlich scheinen sich "links" und "rechts" in gewissen Abständen abzuwechseln, ein Phänomen, das nicht direkt auf die Inflationierung rückführbar scheint und sich damit als Indikator "versteckter Variablen" (eigentlich "versteckter Konstanten") aufdrängt. Doch auch dieses Phänomen hat eine Erklärung: Wie die Public Choice-Theorie zeigt, ist in einer Parteiendemokratie die ideologische Annäherung gegnerischer Parteien rund um eine, am Medianwähler orientierte "Mitte" nahezu unausweichlich. Naturgemäß stellen diese Parteien dann keine Alternativen mehr dar. Dies entspricht einer Situation, in der ein Arzt für eine Krankheit nur zwei, eigentlich identische Placebos zur Verfügung hat und diese abwechselnd verschreibt. Nachdem das erste Placebo keine Wirkung zeigt, verlangt der Patient das andere. Wenn auch dieses keine Wirkung zeigt, wechselt er wieder zurück: Vielleicht hätte das andere mit etwas Geduld doch geholfen. Dieses Spiel läßt sich wiederholen, solange der Patient Vertrauen in Arzt hat.

Kondratieffs Zugang unterscheidet sich zwar positiv von heute dominanten Vorstellungen, indem er die Rezession als notwendigen Korrekturprozeß nach dem Boom sieht. Doch diese Einschätzung wird leider von einem falschen Determinismus getragen, der in den anderen Phasen des Zyklus verheerend ist. Nach dem künstlichen Boom muß in der Tat die Heilungsphase des Bust folgen, doch keineswegs gilt der umgekehrte Zusammenhang. Auf den Kondratieff-"Winter" muß kein Frühling folgen, schon gar nicht nach einer fixen Zeitspanne. Das Jahreszeiten-Bild führt vollkommen in die Irre. Einerseits ist die strukturelle Verzerrung des künstlich geschaffenen Booms kein wünschenswerter "Frühling" der Wirtschaft. Das moderne Muster des Konjunkturzyklus, ein Kind des Irrsinns des letzten Jahrhunderts, hat rein gar nichts Natürliches oder Notwendiges, wie das Bild der wechselnden Jahreszeiten den Eindruck erweckt. Eine allzu deterministische Vorstellung wird dabei zur selbsterfüllenden Prophezeiung: Die Wiederholung des wohlstandszerstörenden Konjunkturzyklus ist nur dadurch möglich, daß die Bevölkerung erneut auf den damit verbundenen Illusionszyklus hereinfällt.

Wie der Ökonom Jörg Guido Hülsmann zeigte, ist der Konjunkturzyklus im Grunde ein "error cycle", ein Fehlerzyklus. Eine eingebildete Notwendigkeit des Booms befördert genau diese Fehler und Illusionen. Zudem ist eine fatalistische Grundhaltung die Folge. Es gibt keinerlei Gesetzmäßigkeit, die dazu führt, daß es nach einer Depression einen Aufschwung geben muß, schon gar keinen nachhaltigen. Das bekannteste historische Beispiel ist das Ende des Römischen Reiches. Zahlreiche Szenarien sind denkbar - die Depression ist kein automatischer Nährboden für den Aufschwung, sondern kann Nährboden für totalitäre Regime, Kriege, weitere Wohlstandszerstörung sein. Die Menschheit kann noch viel tiefer fallen und wird es auch, wenn sich nach der unausweichlichen nächsten Bereinigung der ökonomischen Mißverhältnisse nicht die richtigen Ideen durchsetzen. Nachdem unter dem Strich jedes Durchlaufen des künstlichen Konjunkturzyklus einen Wohlstandsverlust bedeutet, kein bloßes Auf und Ab, müssen wir hoffen, daß beim nächsten Mal die Lektion gelernt wird. Den nächsten, künstlichen Boom freudig zu erwarten, weil die Zeit laut irgendeiner deterministischen Zyklentheorie wieder "reif" dafür wäre, hieße, sich das eigene Grab zu schaufeln.


© Rahim Taghizadegan

Herr Taghizadegan ist Analytiker und Dozent im Institut für Wertewirtschaft. Gemeinsam mit dem Ökonomen Gregor Hochreiter bietet er u.a. das Seminar "Werte sichern in Zeiten der Wirtschaftskrise" an (www.wertewirtschaft.org/seminare).






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