Öl, Gold und der Risikofaktor "Black Box"
23.04.2008 | Ronald Gehrt
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Was der "Spiegel" schreibt:So plötzlich ist die Nachfrage gestiegen und das Angebot verdampft? Und seit Mitte März ist alles auf einmal anders herum? Ist die Spekulation wirklich Nebensache, wenn Weizen von Anfang Februar bis Mitte März von 900 auf 1.300 Dollar stieg um dann binnen zwei Wochen wieder auf 900 zurückzufallen, sprich die komplette prozentuale Handelsspanne von Jahren binnen ein paar Wochen zurück legte? Der Spiegel zitiert in seinem Artikel "tödliche Gier", Ausgabe 17 vom 21.4.2008, Seiten 108-112, zum Thema Weizen den US-Analysten Greg Wagner (die Genehmigung zum zitieren wurde mir netterweise erteilt):
... "Normalerweise haben wie hier eine überschaubare Gruppe von Käufern und Verkäufern, also von Farmern und Silobetreibern", sagt er. Mit dem Zustrom großer Indexfonds hat sich das geändert. Die Finanzmanager raffen, was sie an Terminkontrakten kriegen können. Folge: "Die Preise klettern immer höher und höher", sagt Wagner. Inzwischen, so hat er errechnet, halten die Finanzinvestoren die Rechte an zwei kompletten Jahresproduktionen der in Chicago gehandelten Weizensorte "Soft Red Winter Wheat" ...
Todd Kemp vom amerikanischen Getreide- und Futterverband im selben Artikel: ... "Der riesige Kapitalzufluss hat inzwischen dazu geführt, dass die Terminmärkte Angebot und Nachfrage nicht mehr wiederspiegeln".
Und am wildesten wetten die Investoren ausgerechnet mit den Grundnahrungsmitteln. Dass am anderen Ende der Welt Versorgungsengpässe und Hungertote die Folge sein können, ist auf ihren Kurszetteln nicht vermerkt. ...
Auch die Rolle der Banken, die den Anlegern selbstlos entsprechende Produkte zur Verfügung stellen, wird in diesem Artikel angesprochen. Wer meine Kolumne "Spekulanten des Hungers" gelesen hat (wenn nicht mehr greifbar, dann im meinem Kolumnen-Archiv unter www.ronald-gehrt.de/archiv.html ), dem sei dieser Artikel zur Ergänzung empfohlen. Für diejenigen, die meine Kolumne als Quatsch ansahen, ganz besonders.
Die brisante Rolle der "Black Boxes"
Zum Kommentar eines Lesers, der mich belehrte, das seien schließlich keine Privatanleger sondern Fonds, die sich da tummeln, sei kurz erwähnt - falls dieser Leser nicht der einzige sein sollte, der so denkt: Die Fonds ebenso wie die Hedge Funds, die hier seit Monaten Milliarden hinein pumpen ... woher haben die denn dieses Geld? Von den zahllosen Privatanlegern, die auf diese gezielt aufgebauten Bedürfnisse angesprungen sind und nun dort riesige Chancen als gewinnbringende Alternative zur Tristesse des Aktienmarktes sehen. Aber sie sehen offenbar oft nicht die ebenso großen Risiken.
Wobei diese Entwicklung zusätzlich befeuert wird, weil offenbar große Hedge Funds einen immer größeren Anteil an dieser Spekulation haben. Als Mitte März plötzlich zahlreiche Rohstoffe ohne Vorwarnung einbrachen ging das Gerücht um, einer der ganz großen Hedge Funds musste hier Positionen liquidieren, um Aktienmarkt-Schieflagen zu kitten. Alleine ein Kursrutsch bei Gold um 13% binnen vier Tagen, bei Silber und Weizen um 21%, bei Mais um 12% und bei Palladium um 24% (letzteres aber, da es hier zuerst losging, in 3 Wochen) unterstreichen die zuvor kaum zur Kenntnis genommenen Risiken:
Je senkrechter die Kurse steigen und sich so weiter von ihrem natürlichen Steigungswinkel im Aufwärtstrend entfernen, desto höher das Risiko, dass sie im selben Tempo dort wieder hinlaufen. Wie schon Anfang März unterstrichen: Fahnenstangen brechen. Immer.
Und besonders gefährlich wird es, wenn truppweise „Black Boxes“ mitspielen. Gerade bei den Hedge Funds weiß man in der Regel nicht, wo sie wann investieren, wie die Gewichtung aussieht, ob das Risikomanagement etwas taugt und ob nicht schon der Baum brennt - bis es zu spät ist. Diese "Black Boxes" sind riskant, intransparent und teuer ... aber erfahren trotz nicht weniger Pleiten immer noch großen Zulauf. Gerade in den USA, denn hier haben diese zu Zockerbuden entarteten Fonds für US-Anleger immer noch den Sonderstatus der Steuerfreiheit. Das lockt ... solange es nur die Hedge Funds der anderen sind, die gegen die Wand fahren.
Euro/Dollar als "Leitstrahl"
Nun aber zu Rohöl und Gold. Es mag möglicherweise auch Ausdruck dieses plötzlichen, gesteigerten Stellenwerts der Commodities unter den Investoren ein, dass sich nun die zeitweise einheitlich nach oben laufenden Rohstoff-Preise differenzieren. Ich persönlich neige aber eher dazu, hierin den Beginn eines Trend-Kontrollverlustes zu sehen, hervorgerufen durch die mit nicht marktüblichen Größenordnungen am Futuresmarkt herum spielenden Fonds.
Gerade die vielen reinen Momentum-Player bei den Hedge-Funds sorgen nun für Chaos. Denn wenn die einen Bereich verlassen, kann der betreffende Rohstoff durchaus in ein Loch fallen und unten bleiben. Auf der anderen Seite wird ein Rohstoff zeitweise "unfallbar", wenn sich die "Black Box"-Truppen um ihn kümmern.
Für Öl und Gold gibt es gleichermaßen gute Gründe, die für solide Aufwärtstrends sprechen. Im aktuellen Umfeld wäre eine echte Trendwende in beiden Segmenten nicht nachvollziehbar, keine Frage. Dabei ist es beim Gold die Furcht vor Geldentwertung, die zwar oft irrationale Züge annimmt, aber als Kursstütze durchaus funktionieren kann. Beim Öl sind es fortwährende "bad news" über ausfallende Lieferwege und Produktionsstätten oder Unruhen in Produktionsländern, die auf die per Saldo langsam steigende Nachfrage treffen (die in den USA und Europa stagniert, dafür aber in Asien weiter wächst) und so eine wirkliche Trendumkehr momentan nicht wahrscheinlich machen. Aber:
Immer dann, wenn die Kurse sich von ihren Leitlinien allzu weit entfernen, wird es gefährlich. Ob nun in Abwärts- oder Aufwärtstrends, derartige "Ausreißer" werden immer abgefangen. Dabei sind für die Rohstoffe zwei Leitstrahle aktiv. Neben dem 200 Tage-Durchschnitt ist es momentan vor allem der Wertverfall des Dollar, der den Taktstock schwingt.