Wie viel heiße Luft muss noch raus?
18.10.2008 | Klaus Singer
Zwei Wochen sind vergangen nach Verfassen meines jüngsten Artikels, in dem ich mich mit der Instabilität des europäischen Finanzsystems beschäftigt hatte. Dem auf dem Fuße folgenden, so schnell und heftig nicht erwarteten "Fast-Zusammenbruch" konnte ich nur aus der südlichen Ferne mitverfolgen.
Die arabischen Ölförder-Emirate liegen im schweren Dunst abgefackelten Öls, das nicht abgenommen wird. Vor Rotterdam liegt eine große Menge an Öl-Tankern, deren Ladung nicht gelöscht werden kann, weil die Lager voll sind. Und der Irak produziert am Limit seiner Möglichkeiten. Ich komme darauf zurück.
Die mittlerweile in Europa geschnürten Rettungspakete für die Finanzindustrie übersteigen das Volumen des amerikanischen TARP-Programms um Längen. Allein in Deutschland sollen Mittel bereit gestellt werden, die an dessen Volumen heran reichen. Und dabei kommt das deutsche BIP lediglich auf rund ein Drittel des US-amerikanischen. Dies legt nahe, dass die Finanz-Probleme in Europa wohl noch größer sind als in den USA. Und untermauert, nebenbei gesagt, die relative Stärke des Greenback gegen "unseren" Brüsseler Bürokraten-Euro.
Die Assets des deutschen Bankensystems belaufen sich fast 8 Bill. Euro. Wenn die Kreditmärkte weiter aus dem Ruder laufen und eine Rezession Formen annimmt, ist es gut möglich, dass die vorgesehen Rettungsmittel von bis zu 500 Mrd. Euro nicht reichen werden, um Bank-Insolvenzen zu verhindern. Diese 6,25 Prozent an Hilfsmitteln, bezogen auf die Assets, sind nicht viel, wenn man sich die weiter unten angestellten Überlegungen zur "heißen Buchwert-Luft" anschaut. Der Anteil des deutschen am globalen BIP liegt bei gut sieben Prozent.
Nachdem man in Europa lange glauben wollte, dass man sich von den USA abkoppeln könne, werden nun alle von der Wirklichkeit eingeholt. Allerorten ist jetzt von Null-Wachstum bis leichter Rezession die Rede. Meiner Meinung nach ist das so wenig zutreffend wie die völlig überzogenen Wachstumsprognosen noch aus der ersten Jahreshälfte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diejenigen, die sich als Wirtschaftsweise oder sonst als kompetent in den Medien produzieren, wirklich an das glauben, was sie sagen.
Nouriel Roubini, einer der wenigen Volkswirte, die die eingetretene Entwicklung richtig vorhergesagt haben, sagte vor einigen Tagen in einem Interview mit Bloomberg: "Wir werden von der Schwere der Rezession und dem Volumen der Finanzverluste überrascht." Er geht davon aus, dass die Rezession 18 bis 24 Monate dauern wird. In deren Verlauf wird die US-Arbeitslosenquote von jetzt 6,1 auf neun Prozent steigen. Die Hauspreise in den USA werden um weitere 15 Prozent fallen - per Juli sind sie im Vergleich zum Vorjahr schon um 16 Prozent gesunken. Und die Verluste der US-Finanzindustrie werden näher bei drei Bill. Dollar als bei seiner ursprünglichen Schätzung von eins bis zwei Bill. Dollar liegen, sagte er.
Der IWF geht in seiner jüngsten Schätzung von Verlusten des US-Bankensektors in Höhe 1,4 Bill. Dollar aus. Bisher sind 637 Mrd. Dollar berichtet worden. Im März hatte der IWF die Verluste weltweit auf eins bis zwei Bill. Dollar prognostiziert - und hatte dafür Prügel bezogen (auch aus Deutschland).
In der historischen Dimension müssen wir zunächst zumindest die Rückabwicklung der Exzesse der Finanzindustrie seit 2000/2001 durchstehen. Dahinter aber steht -als "Option"- die Rückabwicklung der gesamten Geschichte seit 1970, dem Ende des Goldstandards von Bretton Woods, mit allen von der Dominanz der Finanzindustrie hervorgebrachten Erscheinungen - dem neoliberalen Laissez-faire, der Selbstentmachtung und Willfährigkeit der Nationalstaaten der Finanzindustrie gegenüber, der Globalisierung insgesamt. Ob es so weit kommt oder wie weit es auf diesem Wege geht - keine Ahnung. Aber es ist eine Möglichkeit, die Chaos, aber auch neue Chancen birgt. Ob in diesem Zusammenhang auch die wirtschaftliche und politische Dominanz der USA unter die Räder kommt, wie mancher EU-Brüssel-zentrierter Beobachter glaubt, bzw. hofft, steht auf einem anderen Blatt.
Um welche Größenordnung der Exzesse seit 2000/2001 handelt es sich? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Auch hier geht es wieder um den "deleveraging process". Nähern wir uns von "oben" her an: Das Volumen der weltweit ausstehenden Derivate hat sich innerhalb der zurückliegenden sechs Jahre auf 500 Bill. Dollar versechsfacht. Es macht das Zehnfache des globalen BIPs und das fünffache der Bond- und Aktienmärkte zusammen aus. Eine Rezession mit einem negativen Wachstum von nur einem Prozent würde "verlangen", dass das Derivate-Volumen um 5 Bill. Dollar schrumpfen muss. Legt man die Annahme zugrunde, dass die Märkte für Aktien und Bonds im Zuge einer Rezession zusammen um zehn Prozent kontrahieren, wären schon 50 Bill. Dollar zu veranschlagen. Dabei ist noch unterstellt, dass die genannten "Hebel" so bestehen bleiben können, was unrealistisch ist. Eine Reduktion der Hebel um jeweils nur 10 Prozent würde schon einen Rahmen zwischen 54,5 und 95 Bill. Dollar an "heißer Buchwert-Luft" aufspannen, die sich im Wirtschaftssystem unserer Tage angesammelt hat. Natürlich ist die Herleitung hier sehr spekulativ - ich möchte auch nur die Größenordnungen zeigen und damit ein Gefühl für die noch ausstehenden Risiken und Turbulenzen entwickeln.
Die arabischen Ölförder-Emirate liegen im schweren Dunst abgefackelten Öls, das nicht abgenommen wird. Vor Rotterdam liegt eine große Menge an Öl-Tankern, deren Ladung nicht gelöscht werden kann, weil die Lager voll sind. Und der Irak produziert am Limit seiner Möglichkeiten. Ich komme darauf zurück.
Die mittlerweile in Europa geschnürten Rettungspakete für die Finanzindustrie übersteigen das Volumen des amerikanischen TARP-Programms um Längen. Allein in Deutschland sollen Mittel bereit gestellt werden, die an dessen Volumen heran reichen. Und dabei kommt das deutsche BIP lediglich auf rund ein Drittel des US-amerikanischen. Dies legt nahe, dass die Finanz-Probleme in Europa wohl noch größer sind als in den USA. Und untermauert, nebenbei gesagt, die relative Stärke des Greenback gegen "unseren" Brüsseler Bürokraten-Euro.
Die Assets des deutschen Bankensystems belaufen sich fast 8 Bill. Euro. Wenn die Kreditmärkte weiter aus dem Ruder laufen und eine Rezession Formen annimmt, ist es gut möglich, dass die vorgesehen Rettungsmittel von bis zu 500 Mrd. Euro nicht reichen werden, um Bank-Insolvenzen zu verhindern. Diese 6,25 Prozent an Hilfsmitteln, bezogen auf die Assets, sind nicht viel, wenn man sich die weiter unten angestellten Überlegungen zur "heißen Buchwert-Luft" anschaut. Der Anteil des deutschen am globalen BIP liegt bei gut sieben Prozent.
Nachdem man in Europa lange glauben wollte, dass man sich von den USA abkoppeln könne, werden nun alle von der Wirklichkeit eingeholt. Allerorten ist jetzt von Null-Wachstum bis leichter Rezession die Rede. Meiner Meinung nach ist das so wenig zutreffend wie die völlig überzogenen Wachstumsprognosen noch aus der ersten Jahreshälfte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diejenigen, die sich als Wirtschaftsweise oder sonst als kompetent in den Medien produzieren, wirklich an das glauben, was sie sagen.
Nouriel Roubini, einer der wenigen Volkswirte, die die eingetretene Entwicklung richtig vorhergesagt haben, sagte vor einigen Tagen in einem Interview mit Bloomberg: "Wir werden von der Schwere der Rezession und dem Volumen der Finanzverluste überrascht." Er geht davon aus, dass die Rezession 18 bis 24 Monate dauern wird. In deren Verlauf wird die US-Arbeitslosenquote von jetzt 6,1 auf neun Prozent steigen. Die Hauspreise in den USA werden um weitere 15 Prozent fallen - per Juli sind sie im Vergleich zum Vorjahr schon um 16 Prozent gesunken. Und die Verluste der US-Finanzindustrie werden näher bei drei Bill. Dollar als bei seiner ursprünglichen Schätzung von eins bis zwei Bill. Dollar liegen, sagte er.
Der IWF geht in seiner jüngsten Schätzung von Verlusten des US-Bankensektors in Höhe 1,4 Bill. Dollar aus. Bisher sind 637 Mrd. Dollar berichtet worden. Im März hatte der IWF die Verluste weltweit auf eins bis zwei Bill. Dollar prognostiziert - und hatte dafür Prügel bezogen (auch aus Deutschland).
In der historischen Dimension müssen wir zunächst zumindest die Rückabwicklung der Exzesse der Finanzindustrie seit 2000/2001 durchstehen. Dahinter aber steht -als "Option"- die Rückabwicklung der gesamten Geschichte seit 1970, dem Ende des Goldstandards von Bretton Woods, mit allen von der Dominanz der Finanzindustrie hervorgebrachten Erscheinungen - dem neoliberalen Laissez-faire, der Selbstentmachtung und Willfährigkeit der Nationalstaaten der Finanzindustrie gegenüber, der Globalisierung insgesamt. Ob es so weit kommt oder wie weit es auf diesem Wege geht - keine Ahnung. Aber es ist eine Möglichkeit, die Chaos, aber auch neue Chancen birgt. Ob in diesem Zusammenhang auch die wirtschaftliche und politische Dominanz der USA unter die Räder kommt, wie mancher EU-Brüssel-zentrierter Beobachter glaubt, bzw. hofft, steht auf einem anderen Blatt.
Um welche Größenordnung der Exzesse seit 2000/2001 handelt es sich? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten. Auch hier geht es wieder um den "deleveraging process". Nähern wir uns von "oben" her an: Das Volumen der weltweit ausstehenden Derivate hat sich innerhalb der zurückliegenden sechs Jahre auf 500 Bill. Dollar versechsfacht. Es macht das Zehnfache des globalen BIPs und das fünffache der Bond- und Aktienmärkte zusammen aus. Eine Rezession mit einem negativen Wachstum von nur einem Prozent würde "verlangen", dass das Derivate-Volumen um 5 Bill. Dollar schrumpfen muss. Legt man die Annahme zugrunde, dass die Märkte für Aktien und Bonds im Zuge einer Rezession zusammen um zehn Prozent kontrahieren, wären schon 50 Bill. Dollar zu veranschlagen. Dabei ist noch unterstellt, dass die genannten "Hebel" so bestehen bleiben können, was unrealistisch ist. Eine Reduktion der Hebel um jeweils nur 10 Prozent würde schon einen Rahmen zwischen 54,5 und 95 Bill. Dollar an "heißer Buchwert-Luft" aufspannen, die sich im Wirtschaftssystem unserer Tage angesammelt hat. Natürlich ist die Herleitung hier sehr spekulativ - ich möchte auch nur die Größenordnungen zeigen und damit ein Gefühl für die noch ausstehenden Risiken und Turbulenzen entwickeln.