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Prolog: Schlacht gegen die Realität

29.11.2008  |  Roland Baader
Jetzt ist sie da, die lange Sicht…

Aus dem 700-Milliarden-Paket der US-Regierung zum staatlichen Ankauf illiquider Bank-Aktiva werden zwar rasch Tausend und mehr Milliarden werden, aber auch 700 Milliarden Dollar sind eine unvorstellbare Menge. In aufeinandergelegten 100-Dollar-Scheinen ergeben sie einen Stapel von 762 Kilometern Höhe. Nicht sehr viel niedriger ist der 500-Milliarden-Euro-Turm von Merkel und Co. Werden diese babylonischen Türme die Finanzkrise lösen oder wenigstens mildern? Nein, sie werden zwar die schlimmsten Krisenereignisse hinauszögern, diese aber insgesamt verschlimmern und verlängern. Ginge es nur um die sich im einstelligen Milliardenbereich austobende Subprime-Krise (Faule Hypothekenschulden), so könnten 700 bis 1.000 Milliarden einen deutlichen Mäßigungseffekt bewirken.

Aber es klopfen derzeit und fortan noch ganz andere Monster an die Türen der Finanzwelt. Bei den CDS beispielsweise, den sogenannten Credit Default Swaps (Kreditausfall-Versicherungszertifikaten, die an den Finanzmärkten ein Eigenleben als Anlagepapiere entwickelt haben) sind rund 60.000 Milliarden Dollar im Feuer - und damit mehr als die Summe aller auf dem Globus gehandelter internationalen Anleihen. Ein anderer Vergleich: 60.000 Milliarden entsprechen dem Nettogesamtvermögen aller Amerikaner und mehr als dem Vierfachen des US-Sozialprodukts.

Doch auch das ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Gesamtvolumen der Derivate genannten Finanzinnovationen, die der Milliardär Warren Buffett "Massenvernichtungswaffen" genannt hat, bewegt sich bei 550.000 Milliarden, was dem Zehnfachen des Weltsozialprodukts entspricht. Sollten nur zehn Prozent davon im Deleverage-Prozess, der an den Finanzmärkten und in den Bankbilanzen abläuft, notleidend werden, dann würde sich der gesamte Staatshaushalt der USA dagegen wie ein Trinkgeld ausnehmen. Aus dem "too big to fail" der großen Banken und Finanzinstitute der Welt ist inzwischen ein "too big to be saved" geworden. Niemand kann diese Summen mehr stemmen.

Allein die Bilanzsumme der Deutschen Bank entspricht rund 80 Prozent des deutschen Sozialprodukts, und bei kleineren Ländern sehen die Relationen noch ganz anders aus; so entsprechen zum Beispiel die Bilanzsummen der beiden größten Schweizer Banken dem Siebenfachen des eidgenössischen Bruttoinlandsprodukts. Auch "der Staat" als Retter ist angesichts solcher Horrorzahlen hoffnungslos überfordert. Island, obwohl ein fast staatsschuldenfreies Land, hat es bereits vorgeführt.

Schuldige am derzeit (und noch lange) ablaufenden Drama sind von den politischen Zampanos und den Medien schnell gefunden. Es sind die Gier, die mangelnde Staatsaufsicht, der Herdentrieb, die Maßlosigkeit, das Spekulantentum, die "verlorene Bodenhaftung", der Illusionismus etc., kurz: der Neoliberalismus und der Kapitalismus, natürlich angereichert mit den Beiwörtern Turbo und Raubtier. Das ewig alte Lied. In Wahrheit sind die negativen oder fragwürdigen Eigenschaften der Menschen in allen Ordnungen und Systemen virulent, am wenigsten aber im Kapitalismus - im echten Kapitalismus, weil dort ein jeder für seine Handlungen haftet und Fehler mit seinem eigenen Geld bezahlt.

Aber wir haben keinen Kapitalismus, nirgendwo auf der Welt. Denn zum Kapitalismus gehört unabdingbar kapitalistisches Geld, also Marktgeld (jahrhundertelang das Gold) statt staatsmonopolistischem Scheingeld. Und zum Kapitalismus oder der Marktwirtschaft gehört unabdingbar der freie, natürliche Zins - und nicht der zentralplanwirtschaftlich manipulierte Zins der Zentralbanken. Den wichtigsten Preis einer Volkswirtschaft, den Zins als den Preis des Geldes, zentralplanerisch vorzuschreiben und beliebig hoch und runter zu setzen, ist sozialistischer Wahnwitz, der den Markt sukzessive entarten lässt und letztlich erwürgt und zerstört. Was "versagt" und zur aktuellen Krise geführt hat, ist nicht der Kapitalismus, sondern - wieder einmal - der Sozialismus. Der Markt hingegen funktioniert hervorragend. Er leitet die heiße Luft der Kreditgeldstürme zuerst in Blasen, und wenn diese zu groß geworden sind, lässt er sie platzen und vernichtet den Scheinreichtum schneller als er entstanden ist.

Das substanzlose, beliebig vermehrbare Papiergeld und die nur mit dieser Falschgeld-Schmiere laufenden Turbo-Kreditmaschinen der Zentralbanken (allen voran die Greenspan-Düsen), des Teilreserven-Bankensystems und der Staatsausgaben haben dazu geführt, dass die Geldmenge in den USA (aber auch in anderen Industrienationen) in den letzten 15 Jahren doppelt so schnell gestiegen ist wie das Sozialprodukt, die Staatsverschuldung sogar dreimal so schnell. Ob man es wahrhaben will oder nicht: Die USA und die übrigen Industriestaaten sind pleite, und das auf dem Dollar basierende Weltfinanzsystem wird uns alsbald um die Ohren fliegen. Babylon ist am Ende. Game over.

Da die Billionen, die jetzt zur (scheinbaren) Rettung eingesetzt werden, wiederum aus Schulden bestehen, entsprechen die jetzigen Feuerwehreinsätze einem Löschen der Brände mit Benzin. Die Fehler, die zur Zeit der Großen Depression der 30iger Jahre gemacht wurden, werden nun in Magnum-Dimension wiederholt. Schwere und Dauer der Weltwirtschaftskrise wurden damals von der interventionistischen Politik zunächst der Hoover- und dann der Roosevelt-Regierung verursacht. Sie verhinderten mit Kaskaden von "New Deal"-Maßnahmen die Rückanpassung der Preise, der Löhne und der Beschäftigung an eine nicht-inflationäre Wirtschaft. Damit wurde die damals fällige Rezession von vielleicht zwei oder drei Jahren zu einer Weltdepression ausgeweitet, die sich eineinhalb Jahrzehnte hinzog und schließlich in den Zweiten Weltkrieg mündete.





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