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Fallen die Tiefs?

24.01.2009  |  Klaus Singer
Eine Serie schlechter Nachrichten überschattet die Amtseinführung von Obama, dem 44. Präsidenten der USA. Die Zahl der Erstanträge auf US-Arbeitslosenhilfe ist um 62.000 auf 589.000 gestiegen. Analysten hatten einen Anstieg um 26.000 erwartet. Der gleitende Vierwochenschnitt beläuft sich auf 519.250. Die Zahl der Arbeitslosen ist in den USA um 97.000 auf 4,61 Millionen gestiegen.

Die Zahl der Baubeginne in den USA ist im Dezember um 15,5 Prozent auf annualisiert 550.000 gefallen. Analysten hatten lediglich einen Rückgang um 4,0 Prozent prognostiziert. Das ist der sechste Rückgang in Folge. Auf Jahressicht liegen die Baubeginne 45 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Die Zahl der erteilten Baugenehmigungen ist um 10,7 Prozent gegenüber dem Vormonat auf 549.000 zurückgegangen. Analysten hatten mit einem Minus von 0,8 Prozent gerechnet. Bei beiden Datenreihen ist das der tiefste Stand seit 1959, als die Zeitreihe aufgelegt wurde.

Damit befindet sich der US-Immobilienmarkt weiterhin in freiem Fall. Schaut man sich den Case-Shiller CSXR-Hauspreis-Index an, so lag das Niveau im November 2008 25 Prozent unter dem Hoch aus 2006. Aufgrund der Dynamik des Abschwungs und aufgrund der fundamentalen Hintergründe ist kaum damit zu rechnen, dass sich die Entwicklung an diesem Punkt stabilisiert. Das legt auch die Entwicklung der Baubeginne nahe, die der Calculated Risk Blog dargestellt hat (siehe Chart!). Ob der Index bei 33 Prozent unter dem Hoch aus 2006 Halt macht, erscheint mir ebenfalls recht unwahrscheinlich; zumindest sollte man mit einem Unterschwinger bis 40 Prozent unter das Hoch aus 2006 rechnen. Vom aktuellen Niveau aus wäre daher noch ein Abwärtspotenzial von weiteren gut 20 Prozent (siehe Chart!) in Betracht zu ziehen.

Immer mehr Beobachter erwarten jetzt, dass der Teufelskreis zwischen Job-Verlust und Hauspreisen neu beflügelt wird und damit die Gesamtwirtschaft weiter nach unten zieht. Immer mehr glauben auch, dass die Abwärtsbewegung der Wirtschaft erst dann ausläuft, wenn sich der Hausmarkt stabilisiert.

Nouriel Roubini kommt in einer aktuellen Schätzung zu der Ansicht, dass sich die gesamten Verluste im Finanzsystem der USA auf 3,6 Bill. Dollar summiert (Original-Text im Diskussions-Bereich auf der Web-Seite der TimePattern). Das machte den US-Finanzsektor bei einem Kapital von lediglich 1,4 Bill. Dollar insolvent. Der Calculated Risk Blog hält die Schätzung von Roubini für zu hoch - er geht von Kreditverlusten im Hausbausektor von 1 bis 1,5 Bill. Dollar und anderen Kreditverlusten in Höhe von 1 Bill. Dollar aus. Das ändert an der faktischen Insolvenz des Bankensystems in den USA allerdings nichts. Ich hatte mich u.a. im Artikel „Quartalssaison - die Hoffnung stirbt zuletzt“ am 10. April 2008 mit der Frage des Zusammenhangs zwischen Hauspreisentwicklung und Verlusten im Bankensystem befasst. Die damalige Spekulation kam auf rund 4 Bill. Dollar an Verlusten.

In Europa ist es nicht besser: Alleine in Deutschland sollen noch faule Assets im Volumen von bis zu 300 Mrd. Euro in den Bilanzen der Banken liegen. Die Kapitalinjektionen von großen europäischen Ländern in den Bankensektor betragen seit Herbst 2008 110 Mrd. Euro. Das ist noch viel zu tun!

Man muss sich den ganzen Wahnsinn noch einmal vor Augen führen: Nach 2000 wurde mit komplizierter Finanzarithmetik ausgerechnet, dass kleinere Sicherheitspuffer für die Banken reichen. Kredite und Wertpapiere ohne Ausfallrisiko (mit besten Ratings der Agenturen) bräuchten kein Eigenkapital zur Absicherung, so die Argumentation. Relevant sei nur das Verhältnis von Eigenkapital zu riskanteren Engagements, also grob gesagt die Kernkapitalquote (value at risk). Die Bankregulierung zog mit und verständigte sich mit den Banken auf eben jene risikogewichtete Kapitalquote. Das erforderliche Eigenkapital, das "unproduktiv" herumliegt, weil sein Gegenwert nicht ausgeliehen werden kann, um damit Geld zu verdienen, wurde herabgesetzt. So hatte z.B. die Deutsche Bank 1995 eine Eigenkapitalquote von 3,9%, 2008 aber nur noch eine von 1,7%. In der Finanzkrise zeigte sich, dass das Risiko letztlich viel größer war als angenommen. Abschreibungen führten zu Buchverlusten, das (ohnehin reduzierte) Eigenkapital schmolz schnell dahin. Neues Eigenkapital wird benötigt, das die Banken mittlerweile nur noch beim Staat finden. Das reicht aber nicht, Wertpapiere müssen verkauft werden. Das drückt deren Preise weiter, eine neue Runde in der Abwertungsspirale verschärft die Situation.

Apropos Finanzarithmetik: Die meisten mathematischen Modelle, mit denen die Banken ihr Risiko abschätzen, basieren auf unzureichenden Annahmen. Oft kommt irgendwo an entscheidender Stelle eine Gaußsche Glockenkurve zum Einsatz. Die Normalverteilung ist eine schöne Idee, sie kann in vielen Zusammenhängen z.B. in der Natur nachgewiesen werden. Aber sie basiert auf Voraussetzungen, die im Finanzgeschäft nicht gegeben sind. Ginge es nach der "Glocke", dürfte eine Änderung des Dow Jones-Index von 7 Prozent an einem Tag nur einmal in 300.000 Jahren vorkommen, tatsächlich gab es im 20. Jahrhundert 48 solcher Tage.

Zurzeit fokussieren alle Beobachter die großen Banken, die Märkte für Kreditkarten. Subprime-Hypotheken und Credit-Default-Swaps. Man sollte aber auch die mittleren und kleineren Banken nicht aus dem Auge verlieren. Hier geht es nicht um komplexe Finanzderivate, sie machen ihr Geschäft mit Beleihungen von Geschäftsimmobilien und Ausleihungen an kleinere und mittlere Unternehmen. Mit fortschreitender Rezession werden sich auch hier die Verluste häufen. So erwartet Gerard Cassidy, ein Veteran in der Analyse der Banken, dass 2009 200 bis 300 solcher Institutionen bankrott gehen oder in Merger gezwungen werden. 2008 gab es in den USA 25 Bank-Pleiten, im laufenden Jahr dürfte die Zahl also sprunghaft ansteigen. Dasselbe dürfte auch für Europa und insbesondere Deutschland zu erwarten sein.





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