Interview mit Roland Baader: "Babylons Türme stürzen ein"
26.08.2009 | Roland Baader
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factum: Sie bezeichnen die Folgen des Staatsinterventionismus und Dirigismus und der hemmungslosen Staatsverschuldung als «verheerend» in ihrer Wirkung auf die Moral der Bürger. Inwiefern hängt die Zunahme der Funktionärsbürokratie und der «Fürsorge» des Staates für die Bürger mit deren Moral zusammen?Roland Baader: Dieser Frage ist der Philosoph Wolfgang Kersting akribisch nachgegangen. Der Sozialstaat ist, so Kersting, kein Ort ethischer Exzellenz und erzieht nicht zur Moral, sondern zum Gegenteil. Die Menschen betreiben ihre Versorgungskarrieren im Sozialstaat mit der gleichen Egozentrik wie ihre Erfolgskarrieren am Markt. Nur müssen sie sich nicht der disziplinierenden Selbstverantwortlichkeit unterwerfen, die der Markt von jedem verlangt. Nur der Markt ist die hohe Schule der Selbstverantwortlichkeit.
factum: Und Selbstverantwortlichkeit ist der Schlüssel zur Moral?
Roland Baader: Meine Überzeugung ist: Moral ist, wenn sie wirklichkeitsnah und alltagstauglich sein soll, eine einfache Maxime: Ich sorge für mich selber und meine Familie, auch damit ich anderen nicht zur Last falle und nicht auf deren Kosten lebe; ich schädige niemanden und erwarte, dass auch ich nicht absichtlich geschädigt werde; ich bewältige mein Leben und erwarte von niemandem, dass er es für mich bewältigt. Moral heißt ganz praktisch, andere in Ruhe lassen und liebevoll denen zu begegnen, die einem nahe stehen. Damit das funktioniert, gibt es Regeln. Man halte sich daran.
factum: Sie plädieren für die Einhaltung von zivilisatorischen Regeln und nicht für die Schaffung von Gesetzen?
Roland Baader: Ja, ich meine nicht Gesetze, sondern Regeln. Der alles regelnde und allfürsorgliche Staat zerstört die immanente Gültigkeit dieser Regeln und überträgt sie auf das abstrakte Gebilde namens Gesellschaft. Das zerstört das gesellschaftliche Gefüge und die Zellen dieses Gefüges, die Familien. Damit wird auch der einzelne Mensch wurzellos und umso anfälliger für totalitäre Sirenenklänge und zweifelhafte Religionsersatz-Lehren.
factum: Der Sozialstaat nimmt der Familie in vermeintlicher Fürsorge immer mehr zentrale Funktionen ab (Kindererziehung, Sorge tragen füreinander, Vorsorge, Pflege der Alten und Schwachen innerhalb der Familie) und trägt damit zu ihrer Zerstörung bei, lautet eine Ihrer Diagnosen. Eine Folge davon sei ein Wandel der Leitbilder - weg von privaten Autoritäten (Vater, Mutter, Großeltern, Lehrmeister) hin zur Kollektivautorität Staat. Würden Sie die charismatische Wirkung von Präsident Obama, der «allen alles verspricht», in diesem Zusammenhang sehen?
Roland Baader: Baader: Man kann sich Autorität, organisch und zivilisatorisch gewachsene Autorität einerseits - und Macht, zwingende politische Macht, andererseits - wie zwei Schalen einer Waage vorstellen. So wie die eine, die Autorität, schwindet, so steigt die andere, die Macht, in die Höhe. Politiker wissen das oder spüren das instinktiv. Deshalb neigen sie im Extrem zu einem Gehabe messianischer Autorität. Auf dieser Klaviatur spielt natürlich auch Obama. Und die Massen lauschen ergriffen und unterwerfen sich umso williger dem Machtzugriff, je schlechter es ihnen aufgrund der papiergeld- und politik-erzeugten Katastrophen geht.
factum: Sie fordern, der Staat dürfe nicht Kontrolle über das Geld haben. Wird sich das je ändern?
Roland Baader: Friedrich A. von Hayek, neben Ludwig von Mises der wohl bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts, hat schon 1977 in seinem Buch «Entnationalisierung des Geldes» geschrieben, dass allein dadurch der Entwicklung aller Regierungen in Richtung auf den Totalitarismus eventuell Einhalt geboten werden könnte. Es gehe um nicht weniger als das Überleben der Zivilisation. Seine letzten Sätze lauten: «Ich wünschte, ich könnte den Rat geben, langsam vorzugehen. Aber die Zeit mag kurz sein.»
factum: Die Krise ist da. War die Zeit so kurz?
Roland Baader: Ja, die Zeit war kurz, und jetzt ist es zu spät. Die babylonischen Türme stürzen ein und die Gefahr, dass sie die Zivilisation unter sich begraben, ist riesengroß.
factum: Kann es nicht sein, dass die Bevölkerung aufwacht?
Roland Baader: Was die Sache besonders schwierig macht, ist die Tatsache, dass die meisten Ökonomen den Bürgern nicht die Wahrheit sagen, sondern ihnen weiterhin die keynesianischen und etatistischen Märchen erzählen. Die eine Hälfte der Ökonomen sind Staatsdiener, die andere Hälfte Angestellte der Banken und Finanzinstitutionen. Wie sollten sie ein Geld befürworten, das ihnen ihre Geschäftsgrundlagen entzieht?