Interview mit Roland Baader: "Babylons Türme stürzen ein"
26.08.2009 | Roland Baader
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factum: Die individuelle Freiheit des Menschen ist Ihnen offenbar eine Herzenssache. Was sind die Fundamente der Vorstellung, dass der Mensch frei zu sein hat und eigenverantwortlich ist?Roland Baader: Freiheit ist zuoberst ein moralischer Grundsatz, der in der Natur des Menschen und in seinem Selbsteigentum verankert ist. Eine Handlung kann nur moralisch sein, wenn sie weder unter Zwang noch auf Kosten anderer erfolgt. Freiheit ist auch ein Gegenprinzip gegen Macht und Herrschaft. Es gibt nur drei Arten der Austragung von Konflikten: die Gewalt, die freiwillige Einigung und der friedliche Wettbewerb. Sowohl die freiwillige Einigung als auch der friedliche Wettbewerb sind nur in einer freien Marktordnung möglich. Freiheit ist ein leeres Wort, wenn das private Eigentum nicht respektiert wird und wenn nicht alle menschlichen Beziehungen auf freiwilliger Zustimmung beruhen. Ausserdem gilt die Erkenntnis des grossen Rechtsgelehrten Franz Böhm, dass der Wettbewerb «das genialste Entmachtungsinstrument der Weltgeschichte» ist.
factum: In welchem Zusammenhang stehen christlicher Glaube und Freiheit?
Roland Baader: Die Realität lehrt uns oft besser als die abstrakte Theorie, dass Christentum und Freiheit aufeinander bezogen und aufeinander angewiesen sind, indem stets beide entweder miteinander bestehen oder miteinander niedergehen. Es ist kein Zufall, dass im Verlauf des 20. Jahrhunderts in allen totalitären und sozialistischen Zwangsstaaten der Erde zugleich mit der Freiheit auch die göttliche Botschaft ausgelöscht wurde. Es ist auch kein Zufall, dass in den halbsozialistischen Wohlfahrtsstaaten Europas die Kirchen leer geworden sind, sowie persönliches Mitleid und private Karitas dem «sozial»-kleptokratischen Umverteilungsbefehl des Staates gewichen sind.
Der christliche Glaube sollte keineswegs nur funktional, als eine Art nützliche Hilfskrücke bei der Bewahrung freier Gesellschaften gesehen werden, sondern vielmehr als Essenz der Freiheit.
factum: Von manchen Liberalen hört man, beim Glauben höre die Freiheit auf.
Roland Baader: Der echte Liberale, der jede Herrschaft von Menschen über Menschen ablehnt, weil sie stets Ausbeutung, Unterdrückung, Willkür, Entwürdigung, Zwang, Entmündigung und Knebelung des freien Willens bedeutet - wobei «Herrschaft» nicht mit gewachsener Autorität verwechselt werden darf -, kann sich durchaus der Herrschaft - besser: Autorität - des christlichen Gottes unterwerfen, weil diese nichts mit Ausbeutung, Unterdrückung, Entwürdigung, Entmündigung oder Knebelung des freien Willens zu tun hat, sondern eine Herrschaft der Liebe ist. Diese Herrschaft Gottes ist die eigentliche Befreiung von menschlicher Willkür, weil die Gotteskindschaft dem Menschen erst seine größte Würde und seine höchstmögliche Mündigkeit verleiht.
Es gibt einen wunderbaren Satz von Frédéric Bastiat: «Versuche es mit der Freiheit, denn Freiheit ist ein Glaubensbekenntnis in Gott und seine Werke.» Auch John Locke, einer der Urväter der Freiheitsphilosophie, hatte erkannt, dass Leben, Freiheit und Eigentum eng mit dem Selbsteigentum der Person verbunden sind - und letztere wiederum mit der Gotteskindschaft oder dem Gotteseigentum am Menschen.
factum: Welche Bedeutung hat christlicher Glaube für Sie in Ihrem persönlichen Leben?
Roland Baader: Der Mensch ist ein Wesen, das nach einer Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens - und somit auch nach dem Sinn der Freiheit sucht. Das Prinzip Freiheit läßt sich zwar wohlbegründen (Locke, Hume, Hayek, Jasay usw.), aber es bleibt die letzte Frage nach ihrem metaphysischen Sinn. Im Christentum ist der letzte Sinn der Freiheit die Freiheit des Menschen zu Gott.
Gott annehmen oder ablehnen zu können, ist der letzte ultimative Sinn und das Wesen der Freiheit. Jesus hat die Herrschaft von Menschen über Menschen abgelehnt. Bei Markus (Mark. 10,42-43) ist zu lesen, was er zu seinen Jüngern sagt, nämlich: «Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker unterdrücken und die Mächtigen ihre Macht über die Menschen missbrauchen. Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein.» Dass Herrschaft im wahrsten Sinn des Wortes «Teufelswerk» ist, kommt besonders in der biblischen Erzählung von der Versuchung Christi in der Wüste zutage. Christus ist die einzige Partei, die ich wählen würde.
Für den Freiheitsanspruch und die Menschenwürde gibt es letztlich nur eine einzige unwiderlegbare Rechtfertigung, und das ist die Gottesgeschöpflichkeit des Menschen.
factum: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Thomas Lachenmaier, erschienen ist es im Factum Magazin.