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In den Abgrund starren (Teil I)

26.01.2012  |  John Mauldin
- Seite 3 -
Ein rechtlicher Euphemismus wurde geprägt, und zwar der, dass die Gläubiger "freiwillig" einen Schuldenschnitt (Haircut) akzeptieren. Denn in diesem Fall kommen die Ausfallversicherungen für jene Positionen nicht zur Anwendung. Aber nicht alle Parteien wollen diesen Verlust (oder sogar noch größere) freiwillig hinnehmen. Sollten sie dazu gezwungen werden, kommen die gekauften Ausfallversicherungen zur Anwendung. Griechenland kann sie von Gesetzes wegen zwingen, den Schuldenschnitt zu akzeptieren; die Kreditausfallversicherungen (CDS) sind jedoch so geschrieben, dass dieser Schritt als Verlust gewertet wird, wodurch die CDS zur Anwendung kämen. Die beteiligten Staaten wollen, dass jeder den Schuldenschnitt akzeptiert, dann gibt es keine Krise. Und die Fonds wollen einfach nur so viel Geld wie möglich, und viele geben sich kompromisslos.

Lassen sich die Verweigerer mit zusätzlichen Anreizen locken, die nicht jeder bekommen kann? Vielleicht durch andere Schuldensicherheiten? Oder kürzere Laufzeiten, oder aber …?

Leider wird ein Schuldenschnitt von 50% bei den Anleihen der Privatgläubiger nur bewirken, dass Griechenland in Kürze wieder bei einer Schuldenquote (Schulden:BIP) von 120% stünde. Aktuell sind es noch 170%, Tendenz steigend. 120% (die ich für optimistisch halte) sind wiederum nur eine, wenn auch geringere, Form der Insolvenz, wie Italien jetzt begreifen muss. Wenn Italien jetzt schon mit 120% unter Druck gerät, dann kann es als fast sicher gelten, dass auch Griechenland am Markt weiterhin als insolvent gelten wird.


Eine unbeabsichtigte (und sehr negative) Konsequenz

Die Verhandlungen über den griechischen Schuldenschnitt haben mindestens eine unbeabsichtigte Konsequenz zur Folge. Die Privatinvestoren waren ursprünglich davon ausgegangen, sie würden eine "Pari-Passu-Anleihe", oder eine mit allen anderen griechischen Staatsanleihen gleichrangige Anleihe, kaufen. Wie sich aber jetzt herausstellt, kauften sie nachrangige, zweitrangige oder untergeordnete Schuldverschreibungen, vergleichbar mit einer zweiten Hypothek auf ein Haus. Man trägt den Erstschaden, verlangt aber auch dementsprechend. Doch plötzlich sieht es ganz so aus, als seien die EZB, der IWF und die öffentlichen europäischen Institutionen "gleicher" als die privaten Parteien und von Verlusten gar ausgenommen. Wie die privaten Gläubiger herausfinden mussten, hatten sie die Risiken nachgeordneter Anleihen übernommen und trotzdem nur die geringen Renditen risikoärmerer Anleihen kassiert.

Würde man auch die öffentlichen Gläubiger in die Schuldenschnitte einbeziehen, so müsste der Haircut insgesamt vielleicht nur 30% betragen. Bliebe er aber bei 50% für alle, so könnte Griechenland vielleicht an den Punkt gelangen, wo das Land wieder Chancen hätte. Zudem würde sich die Struktur der verbleibenden Schulden verbessern. Ansonsten wird man weiterhin nur Verhandlungen über einen ersten Schuldenschnitt führen, dem weitere folgen werden.

Jeder Privatinvestor in Europa erkennt jetzt, dass er bei Investitionen in Staatschuldeninstrumente ein erhöhtes Risiko eingeht. Das wird zur Folge haben, dass die Zinssätze am Privatmarkt in die Höhe getrieben werden, wie man kürzlich erst an den steigenden Renditen für portugiesische Staatsanleihen sehen konnte (zu Portugal später mehr).

Europa bleiben verschiedene Optionen: Es kann Griechenland mehr Geld leihen, wenn der griechische Staat verspricht, er werde die Dinge zum Positiven wenden. Das kann aber nicht passieren, (1) wegen der Auswirkungen der erzwungenen Austeritätsmaßnahmen und (2) wegen eines Handelsdefizits von 10% gegenüber Resteuropa. Kommen aber keine weiteren Kredite, dann gibt es einen unkontrollierten Ausfall, und man würde den Abgrund intensiver betrachten als gewünscht. Die Konsequenz wären Verluste von hunderten Milliarden Euro bei den europäischen Banken, die letztendlich von Steuerzahler gerettet werden müssten.

Europa macht sich Sorgen wegen der "Ansteckungsgefahr“. Sollte Griechenland einen Schuldenschnitt von 50% bekommen, würde sich dann nicht auch Portugal melden und betonen, dass sie diesen viel mehr verdient hätten? Unter der wirtschaftsliberalen Regierung Pedro Passos Coelhos wurden zur Senkung der Defizite schwere Haushaltskürzungen durchgesetzt. Trotz dieser Kürzungen schätzt man, dass das Defizit immer noch 6% betragen und erst im Jahr 2013 auf 4% sinken wird. Und auch nur wenn sich die Dinge günstig entwickeln.

Die Märkte verhalten sich aber nicht so, als würden sie von einer günstigen Entwicklung ausgehen. Die Umlaufrenditen für portugiesische Staatsanleihen mit 10-jähriger Laufzeit stiegen letzten Donnerstag auf 14,39%. Die Kreditausfallversicherungen, die als Messlatte für das Anleiherisiko gelten, erreichten 1270 Punkte und preisen damit eine 75%ige Ausfallwahrscheinlichkeit über die nächsten 5 Jahre ein.

Zwar ist die öffentliche Verschuldung Portugals mit 113% des BIP niedriger als die Griechenlands, der Privatsektor ist jedoch viel stärker verschuldet und auch die Gesamtverschuldung des Landes liegt mit 360% des BIP höher (ein großer Teil davon sind externe Schulden). Jürgen Michels, Europa-Ökonom bei der Citigroup, meint: "Ohne einen umfangreichen Schuldenschnitt wird Portugal nicht in der Lage sein, zu einer existenzfähigen Haushaltssituation zurückzukehren. Wir gehen davon aus, dass es gegen Ende 2012 oder 2013 einen Schuldenschnitt von 35% geben wird.“

Ambrose Evans-Pritchard, Finanzjournalist beim "Telegraph“ aus London (dessen Arbeiten ich sehr schätze), merkt dazu Folgendes an:

"Portugal ist ein Störfaktor für die politischen Entscheidungsträger Europas, die immer wieder betonen, Griechenland sei nur ein Einzelfall - und nicht Ausdruck einer tiefgreifenden Nord-Süd-Spaltung, von der noch eine ganze Reihe anderer Ländern betroffen ist. Von offizieller Seite heißt es, Portugal werde sich durchschlagen, weil es in den sauren Apfel der Ausgabenkürzungen und Reformen beißt. […] Die politische Führung Europas hat geschworen, es werde keine erzwungenen Schuldenschnitte für die Halter portugiesischer Staatsanleihen geben. Wenn jetzt auch Portugal in den griechischen Sog gerät, dann wird Europa dieses Versprechen brechen oder eben akzeptieren müssen, dass die Steuerzahler der EU die Kosten einer Umschuldung tragen werden. Während alle Augen auf Griechenland gerichtet sind, spielt sich in Portugal das bedächtigere Drama ab, welches letztendlich aber über das Schicksal der Eurozone entscheiden wird.“

Lesen sie weiter: Teil II ...

© John Mauldin



Dieser Artikel wurde am 23. Januar 2012 auf www.financialsense.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.



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