Wo ein Weg ist, ist noch lange kein Wille
An der Quittung für diese Politik wird noch gedruckt. Immerhin musste die EZB schon ihre Prognose für die Inflationsrate 2012 hoch setzen - auf 2,4%. Zur Erinnerung: Ihr Inflationsziel liegt bei 2%. Beobachter warnen vor einer inflationären Bewegung, wie etwa Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank: Erste Anzeichen liefere der deutsche Immobilienmarkt, jetzt komme es auf die nächsten Tarifabschlüsse an. Eine Lohn-Preis-Spirale könnte sich in Bewegung setzen.
Draghi und sein Chefvolkswirt Praet haben alles im Griff, sagen sie und verweisen auf ihr Instrumentarium. Solche Mittel gibt es, sie laufen im Kern darauf hinaus, dass die EZB Kredite bei den Geschäftsbanken aufnimmt. So wie sie zuvor etwa durch die LTRO-Kredite Geld in den Finanzsektor gepumpt hat, so kann es auch wieder eingesammelt ("sterilisiert") werden. (Die Fed diskutiert etwas Ähnliches, um die Gemüter zu beruhigen).
Wo ein Weg ist, ist noch lange kein Wille.
Wenn die EZB anfängt, Liquidität mehr als nur in homöopathischen Dosen einzusammeln, gibt es einen Aufschrei. Großbanken werden damit drohen, Kredite an die Realwirtschaft einschränken zu müssen, Asset-Preise kommen schon mal vorsorglich unter Druck, um zu zeigen, was alles passieren könnte. Nicht zuletzt werden die PIIGS-Staaten aufschreien, weil ihre Schuldzinsen anziehen.
Die EZB hat sich mit ihrer LTRO-Politik den "Märkten" ausgeliefert (siehe hier und hier!). Es spielt keine Rolle, ob sie (notleidende) Staatsanleihen direkt in ihrer Bilanz hat oder ob sie bei den Geschäftsbanken lagern, die diese wiederum gegen Kredite an die EZB verpfändet haben. Durch die LTRO-Politik ist die EZB sogar noch viel abhängiger von den "Märkten" geworden, als wenn sie PIIGS-Bonds direkt gekauft hätte. Von der LTRO-Summe floss nur ein Teil in Staatsanleihen, ein nicht unbeträchtlicher weiterer Teil dient zur Refinanzierung der Banken.
Zur Angleichung innerhalb der Eurozone gibt es nur zwei Wege: Inflation in der Nord- oder Deflation in der Südzone. Die Südländer haben im EZB-Rat die Mehrheit. Damit ist klar, was im Zweifelsfall geschieht: Wenn es für Deutschland z.B. notwendig wäre (bzw. schon ist), die Zinsen zu erhöhen, wird das nicht geschehen. (Historisch gesehen ist das die (invertierte) Wiederholung des Fehlers bei Einrichtung der Eurozone, als der einheitliche Zinssatz für die Süd-Länder zu niedrig war). Aber auch ohne PIIGS-Mehrheit im EZB-Rat wird die EZB zu spät reagieren, weil steigende Zinsen die Rückzahlung der von ihre ausgereichten Kredite gefährden könnte (so zumindest die "überzeugende" Argumentation der "Märkte", wenn es denn eines Tages auf der Agenda steht).
Inflation ist für hoch verschuldete Staaten der leichteste Weg, sich zu entschulden. Damit das funktioniert, müssen letztlich auch Kapitalverkehrskontrollen her. Eine Art Kapitalverkehrskontrolle gibt es schon: Die Schweizer Notenbank hat den Franken gegen Euro bei 1,20 festgetackert. Weitere werden folgen.
Der andere Weg der Entschuldung wären höhere Steuern. Das ist bei den Politikern unpopulär, sie wollen schließlich nach all dem Desaster, was auch sie angerichtet haben, wieder gewählt werden. Die kalte Enteignung der privaten Geldvermögen ist da schon "eleganter".
Eine nachhaltig inflationäre Entwicklung ist auch makroökonomisch gefährlich. Sie führt zu einer Verzerrung der Preise. Die Preise der "notwendigen" Güter steigen stärker als andere. Das sieht man aktuell z.B. bei den Energiekosten. Im nächsten Schritt unterbleiben dann Investitionen in Bereichen, die die Produktivität der Wirtschaft und ihre Innovationskraft bestimmen. Und daher wichtig wären für den künftigen Bestand unserer Wirtschaftsräume.
Noch hält sich die Inflation in Grenzen - die Wege aber werden bereitet und ein Wille zu ihrer Bekämpfung fehlt. Ob es tatsächlich zu einer inflationären Beschleunigung kommt, das hängt allerdings auch davon ab, ob die Wirtschaft aus der Liquiditätsfalle herausfindet.
© Klaus G. Singer
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