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Ein Goldstandard? (Teil 1)

06.06.2012  |  John Mauldin
Es folgt eine Ansprache, die Jim Grant vor der New York Federal Reserve hielt. Grant - wie immer gebildet und wohlunterrichtet - nimmt uns mit auf eine Zeitreise zu den Anfängen der Federal Reserve, um uns zu zeigen, wie weit diese von ihren ursprünglichen Absichten und Zielen abgewichen ist. Diese Rede sollte man wirklich gelesen haben. Ich habe sie mir mehrmals durchgelesen und ich will sie auch noch einmal lesen. Und dann noch ein paar Mal.

Grant augmentiert zugunsten einer Rückkehr zum Goldstandard - und das in den heiligsten Hallen des Fiat-Geldes überhaupt! Scheinbar bittet die New York Fed einige ihrer Kritiker um eine Ansprache vor Ort. Ich habe einige dieser Reden gelesen, aber diese hier ist aus verschiedenen Gründen die beste, nicht zuletzt, weil sie sehr witzige Stellen enthält. Grant, der als Gast in die Höhle des Löwen gebeten wird, hält es offenbar für das Beste, sich über die Zähne des Löwen lustig zu machen. Man muss seinen Mut schon bewundern. Ich wäre an seiner Stelle wohl etwas besorgt gewesen, dass ich persönlich auf den Menü stehe!


Eine Standpauke

Jim Grant

Liebe Freunde und Nachbarn, ich danke Ihnen für diese Gelegenheit. Wir sind ja schließlich Freunde und Nachbarn. Die Firma Grant hat ihre Büros an der Wall Street, mit Blick auf den Broadway, nur einen Zehn-Minuten-Spaziergang von Ihrem imposanten Firmensitz entfernt. Falls Sie den spektakulären Ausblick auf die nächste Konfettiparade oben am Broadway genießen wollen, schauen Sie bitte einfach bei uns rein. Die Fenster werden natürlich geputzt sein.

Sie sagen, sie würden gerne meine Beschwerden hören - nun, einerseits habe ich da schon einige, aber gleichzeitig beschleicht mich das Gefühl, ein wenig heuchlerisch daherzukommen, wenn ich Ihnen hier eine Standpauke halte. Was heute als grundsolide Doktrin für das Zentralbankenwesen des 21.Jahrhunders gilt - also Finanzrepression, Zinssatzmanipulation, die sogenannte Aktienkurs-Levitation als auch das Gelddrucken unter dem milchgläsernen Begriff des "quantitative easing“ - versorgt unsere Firma wiederum mit einem fast endlosen Vorrat an guten Aufhängern und Themen. Unser symbiotisches Verhältnis mit der Fed ähnelt jenem, das beispielsweise zwischen dem Sender Fox News und der Obama-Administration herrscht oder das - wenn wir weiter zurückgreifen wollen - zwischen der Chicago Tribune und der Purple Gang herrschte. Die Firma Grant braucht die Fed, auch wenn die Fed die Firma Grant nicht braucht.

In den nicht ganz 100 Jahren seit der Gründung Ihrer Institution wurde das Zentralbanking in den USA durch eine Art Zentralplanung ersetzt, und den Goldstandard ersetzte man, so will ich es einmal nennen, durch den Doktortitel-Standard. Ich bedauere diese Veränderungen und ich werde Reformvorschläge vorbringen, oder wohl eher Rückwärts-Reformvorschläge, da mein Programm durchaus mit jenem der Gründer dieser Institution in Einklang steht. Haben Sie jemals das Federal Reserve Act gelesen? Im Gesetzestext zur Gründung der Federal Reserve ist die Schaffung einer Institution vorgesehen, "um den Aufbau der Federal-Reserve-Banken, eine elastische Währung, die Möglichkeit der Rediskontierung von Geldmarktpapieren sowie eine effizientere Beaufsichtigung des Bankenwesens der USA zu gewähren, und um anderen Zwecken zu dienen.“ Und? Haben wir schon das bestimmende Satzglied gefunden? Entscheidend ist natürlich: "andere Zwecke”.

Sie haben, wenn ich so formulieren darf, Glück, dass ich derjenige bin, der heute hier vor Ihnen steht und nicht der Geist des Senators Carter Glass. Eigentlich legt man den Toten nicht gerne Worte in den Mund, aber ich bin ziemlich sicher, dass jener Demokrat aus Virginia, der sich selbst als Vater der Fed betrachtete, Ihnen hier Feuer machen würde. Er hatte eine regelrechte Abscheu gegen Papiergeld und Staatsschulden. Auch mochte er die Wall Street nicht, und ich würde einmal annehmen, dass es ihm nicht sehr wichtig wäre, dass die Fed die Aktienkurse im Rahmen ihres "portfolio balance channel" steigen lässt.

Die Wut packte ihn allerdings, als Elihu Root, republikanischer Senator aus New York während einer Kongressdebatte über das Federal Reserve Act, leugnete, dass es sich bei der künftigen Federal-Reserve-Banknote um eine "Fiat“-Währung handeln werde. "Freilich Fiat!“, schnaubte Glass wütend. In den USA herrschte der Goldstandard. Und Glass sah keinen Grund, daran zu zweifeln, dass dieser auch weiterhin herrschen würde. Die geplanten Banknoten der Federal Reserve würden - ganz selbstverständlich - auf Verlangen in Gold konvertierbar sein und zwar zum festen, gesetzlich fixierten Kurs von 20,67 $ pro Unze. Aber hinter den Banknoten stand mehr als nur Gold. Sie wäre auch besichert - durch einwandfreie kommerzielle Vermögenswerte - seitens der emittierenden Mitgliedsbank (diesen Punkt werde ich später wieder aufgreifen) und auch auf Grundlage der sogenannten Nachschusspflicht, der die Anteilseigner der emittierenden Bank nachkommen müssen.

Wenn Glass das stärkere Argument hatte, so hatte Root die anschaulichere Vision. Die ursprüngliche Banknote der Federal Reserve kann als eine Art Derivat betrachtet werden. Ihr Wert leitete sich hauptsächlich vom Gold ab, in welches sie sich, nach den damals geltenden rechtlichen Bestimmungen, eintauschen ließ. Heute aber lässt sich die Banknote der Federal Reserve maximal noch in Kleingeld einwechseln; sie ist ein Derivat ohne Grundlage. Man könnte bestenfalls noch sagen, dass es sich hierbei um ein Derivat handelt, dessen Wert durch die Weisheit des US-Kongresses sowie die geldpolitische Urteilskraft der Federal-Reserve-Gelehrten besichert ist. Wie dem auch sei, hier wurde allem Anschein nach gefährliches Neuland betreten.

Im Rahmen der Vorbereitungen auf den 100. Jahrestag der Federal Reserve sollten Sie sich aber auch wieder darauf besinnen, wie weit sich diese Institution im Verlauf dieser Jahre von den ursprünglichen Absichten ihrer Gründer entfernt hat. Nach den Vorstellungen der Gründer sollte die Institution indirekt reagieren - und zwar über das Diskontfenster. Sie sollte keinen Kredit schöpfen, sondern nur die bereits bestehenden Kreditmengen liquide machen, indem solide Handelswechsel in bare Geldmittel verwandelt werden - und das auch nur temporär. Und dies auch nur insofern die Saison und der Wirtschaftszyklus es erforderlich machte. Die Fed regierte auf die Marktgemeinschaft. Sie versuchte nicht, etwas vorwegzunehmen oder dieser Gemeinschaft zuvorzukommen. Sie setzte sich nicht über den Preismechanismus hinweg - was die Fed aber heute bei jeder sich bietenden Gelegenheit tut. Die Fed fügte sich dem Preismechanismus.

Die meiner Meinung beste Darstellung der ursprünglichen Grundsätze der Fed findet man in H. Parker Willis‘ Buch "The Theory and Practice of Central Banking". Parker Willis war Vorstandsvorsitzender der Federal Reserve und die rechte Hand von Glass im US-Repräsentantenhaus.




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