Wie lange heißt es Solvenzkrise?
09.04.2013 | Presse
Dieser Beitrag stammt aus meinem Newsletter, der vor vier Wochen verschickt wurde. Damals war die Stimmung in Europa noch viel besser als jetzt. Es machte sich sogar der Eindruck breit, man wäre auf dem Weg zur Krisenlösung. Ich erwähne das nur, um die Leser daran zu erinnern, wie schnell die Stimmung drehen kann.
Letzte Woche war ich für zwei Tage in London, wo ich einen Vortrag auf einer interessanten Veranstaltung der Carnegie-Stiftung hielt. Die Teilnehmer bestanden zum größten Teil aus leitenden Bankern und Investoren. Ich hatte den Eindruck, dass einige von ihnen, wenn auch nicht alle, mit mir eine gewisse Überraschung darüber teilten, dass die europäischen Anleihemärkte in diesem Jahr eine positive Entwicklung zu verzeichnen hatten. Wir waren sogar ein wenig geschockt, dass die lebhaften Aktienmärkte tatsächlich so interpretiert wurden, als ob der schlimmste Teil der europäischen Krise schon hinter läge. Der Euro - das zumindest scheinen uns die Märkte sagen zu wollen - wurde gerettet, und die europäische Peripherie sei aus dem Gröbsten heraus.
Die Namen der Teilnehmer an der Carnegie-Veranstaltung kann ich nicht nennen, weil es sich dabei um eine inoffizielle Veranstaltung handelte; aber einer der Teilnehmer, der meine skeptische Haltung am stärksten zu teilen schien, war ein sehr hoch angesiedelter und erfahrener Bankier, dessen Namen wahrscheinlich jedem im Sektor ein Begriff sein dürfte. In meinem Vortrag erklärte ich, warum die Eurokrise meiner Meinung nach noch lange nicht vorbei sei und warum ich immer noch davon ausgehe, dass am Ende mindestens ein Land oder aber mehrere Länder aus der Währungsunion ausgeschlossen werden - falls Deutschland keine ersthaften Anstrengungen unternimmt, die Binnenausgaben deutlich zu erhöhen (was die Verschuldung im Land wahrscheinlich stark in die Höhe treiben würde). Nach meiner Rede meinte der besagte Bankier gegenüber der Gruppe, er hätte seinen Vortrag mit Ansicht nicht so düster gestaltet, weil er einen so pessimistischen Ton, wie den meinen, für undiplomatisch gehalten hatte.
Keiner von uns beiden (und kaum ein anderer Teilnehmer) hielt den aktuell herrschenden Enthusiasmus am Markt für gerechtfertigt. Nicht so wichtig, dass die spanische Wirtschaft (um wieder auf das europäische Land sprechen zu kommen, das ich am besten kenne) im vierten Quartal letzten Jahres schrumpfte und aller Voraussicht nach auch dieses Jahr wieder schrumpfen wird; dass die Arbeitslosigkeit im Land weiterhin hoch ist und die Regierungspartei wieder einmal in einen Skandal verwickelt ist, der ihre Popularität auf 20% sinken ließ. Auch nicht so wichtig, dass die jungen Spanier emigrieren (insgesamt 20.000 pro Monat), dass die Immobilienmärkte weiter sinken, dass die Unternehmen weiterhin desinvestieren und der Volkszorn außergewöhnlich hoch ist.
Allem Anschein nach ist die EZB bereit, so viel Liquidität in die Märkte zu pumpen, wie diese benötigen! Steigende Schuldenstände, zunehmende politische Fragmentierung und eine sich verschlimmernde wirtschaftliche Lage sind vor diesem Hintergrund also nicht allzu ernst zu nehmen. Die Krise ist demnach weiterhin eine Liquiditätskrise - zumindest aus Sicht der politischen Entscheidungsträger. Probleme in der “Realwirtschaft" sind nicht ursächlich und die Lösung für eine Liquiditätskrise ist natürlich mehr Liquidität.
Aber leidet die europäische Peripherie wirklich in erster Linie unter einer Liquiditätskrise? Ich würde mich deutlich besser fühlen, wenn ich auch nur ein historisches Beispiel für Staatsschuldenkrisen präsentieren könnte, bei denen die politischen Entscheidungsträger den Menschen NICHT jahrelang versichert hatten, dass es sich um keine Solvenzkrise handelte, sondern lediglich um ein kurzfristiges Liquiditätsproblem. Eine Solvenzkrise beginnt immer mit jahrelangen Beteuerungen seitens der politischen Entscheidungsträger (der Schuldner- wie auch Geberländer), dass sich die Probleme mit Zeit, Geduld und ein paar weiteren Umschuldungen lösen lassen.
Dazu vielleicht ein aufschlussreiches Beispiel aus meiner Vergangenheit: Meine Karriere als Trader fiel mit der lateinamerikanischen Schuldenkrise zusammen, die offiziell im August 1982 begann. Ich war ab 1987 am Markt, und die Politiker beteuerten damals immer noch, Lateinamerika hätte nur ein Liquiditätsproblem. Solange wir die Kredite weiter umschulden können, so erklärten sie allen Ernstes, werde sich dieses Problem am Ende, relativ kostengünstig oder sogar ohne zusätzliche Kosten, von selbst lösen (Lateinamerika hatte dennoch mit Arbeitslosigkeit, Kapitalflucht, Hyperinflation und politischen Unruhen zu kämpfen, ich nehme aber an, dass das nicht wirklich von Bedeutung war).
Zum ersten formalen Schuldenerlass - auch bekannt als mexikanische Brady-Bond-Umschuldung - kam es erst 1990. Gegen Ende der 1990er verfügten dann fast alle dieser Länder über ihre eigenen Brady Bonds - mit Ausnahme Chiles und Kolumbiens. Aber auch diese beiden Länder hatten (wie auch alle anderen) einen informellen Schuldenerlass in nicht unerheblichen Umfang für sich herausholen können, und zwar durch Debt-Equity-Swaps (Gläuberbeteiligungen) und Schuldenrückkäufen mit großen Abschlägen auf den Nennwert (teils legal, teils nicht so legal).
Warum dauerte es aber so lange, bis die Banker und Politiker die Wahrheit erkannten - d.h. die Tatsache, dass es sich nicht nur um ein Liquiditätsproblem handelte? Eigentlich erkannten sie das recht schnell. Die meisten Banker wussten schon 1985/86, dass die Region unter einem generellen Solvenzproblem litt; unter den Großbanken hatte gerade JP Morgan die ganze Zeit über umfangreiche Rückstellungen vorgenommen. Aber keiner konnte öffentlich die Möglichkeit einer Insolvenz einräumen, denn das hätte zur Folge gehabt, dass alle Banken noch umfangreichere Rückstellungen hätten vornehmen müssen als ohnehin schon. Das wäre problematisch gewesen. Hätten die Banken ihre Kreditportfolios für die lateinamerikanischen Entwicklungsländer zum Marktwert ansetzen müssen, wäre von den zehn größten US-Banken allein JP Morgan nicht in die technische Insolvenz gerutscht.
Letzte Woche war ich für zwei Tage in London, wo ich einen Vortrag auf einer interessanten Veranstaltung der Carnegie-Stiftung hielt. Die Teilnehmer bestanden zum größten Teil aus leitenden Bankern und Investoren. Ich hatte den Eindruck, dass einige von ihnen, wenn auch nicht alle, mit mir eine gewisse Überraschung darüber teilten, dass die europäischen Anleihemärkte in diesem Jahr eine positive Entwicklung zu verzeichnen hatten. Wir waren sogar ein wenig geschockt, dass die lebhaften Aktienmärkte tatsächlich so interpretiert wurden, als ob der schlimmste Teil der europäischen Krise schon hinter läge. Der Euro - das zumindest scheinen uns die Märkte sagen zu wollen - wurde gerettet, und die europäische Peripherie sei aus dem Gröbsten heraus.
Die Namen der Teilnehmer an der Carnegie-Veranstaltung kann ich nicht nennen, weil es sich dabei um eine inoffizielle Veranstaltung handelte; aber einer der Teilnehmer, der meine skeptische Haltung am stärksten zu teilen schien, war ein sehr hoch angesiedelter und erfahrener Bankier, dessen Namen wahrscheinlich jedem im Sektor ein Begriff sein dürfte. In meinem Vortrag erklärte ich, warum die Eurokrise meiner Meinung nach noch lange nicht vorbei sei und warum ich immer noch davon ausgehe, dass am Ende mindestens ein Land oder aber mehrere Länder aus der Währungsunion ausgeschlossen werden - falls Deutschland keine ersthaften Anstrengungen unternimmt, die Binnenausgaben deutlich zu erhöhen (was die Verschuldung im Land wahrscheinlich stark in die Höhe treiben würde). Nach meiner Rede meinte der besagte Bankier gegenüber der Gruppe, er hätte seinen Vortrag mit Ansicht nicht so düster gestaltet, weil er einen so pessimistischen Ton, wie den meinen, für undiplomatisch gehalten hatte.
Keiner von uns beiden (und kaum ein anderer Teilnehmer) hielt den aktuell herrschenden Enthusiasmus am Markt für gerechtfertigt. Nicht so wichtig, dass die spanische Wirtschaft (um wieder auf das europäische Land sprechen zu kommen, das ich am besten kenne) im vierten Quartal letzten Jahres schrumpfte und aller Voraussicht nach auch dieses Jahr wieder schrumpfen wird; dass die Arbeitslosigkeit im Land weiterhin hoch ist und die Regierungspartei wieder einmal in einen Skandal verwickelt ist, der ihre Popularität auf 20% sinken ließ. Auch nicht so wichtig, dass die jungen Spanier emigrieren (insgesamt 20.000 pro Monat), dass die Immobilienmärkte weiter sinken, dass die Unternehmen weiterhin desinvestieren und der Volkszorn außergewöhnlich hoch ist.
Allem Anschein nach ist die EZB bereit, so viel Liquidität in die Märkte zu pumpen, wie diese benötigen! Steigende Schuldenstände, zunehmende politische Fragmentierung und eine sich verschlimmernde wirtschaftliche Lage sind vor diesem Hintergrund also nicht allzu ernst zu nehmen. Die Krise ist demnach weiterhin eine Liquiditätskrise - zumindest aus Sicht der politischen Entscheidungsträger. Probleme in der “Realwirtschaft" sind nicht ursächlich und die Lösung für eine Liquiditätskrise ist natürlich mehr Liquidität.
Aber leidet die europäische Peripherie wirklich in erster Linie unter einer Liquiditätskrise? Ich würde mich deutlich besser fühlen, wenn ich auch nur ein historisches Beispiel für Staatsschuldenkrisen präsentieren könnte, bei denen die politischen Entscheidungsträger den Menschen NICHT jahrelang versichert hatten, dass es sich um keine Solvenzkrise handelte, sondern lediglich um ein kurzfristiges Liquiditätsproblem. Eine Solvenzkrise beginnt immer mit jahrelangen Beteuerungen seitens der politischen Entscheidungsträger (der Schuldner- wie auch Geberländer), dass sich die Probleme mit Zeit, Geduld und ein paar weiteren Umschuldungen lösen lassen.
Dazu vielleicht ein aufschlussreiches Beispiel aus meiner Vergangenheit: Meine Karriere als Trader fiel mit der lateinamerikanischen Schuldenkrise zusammen, die offiziell im August 1982 begann. Ich war ab 1987 am Markt, und die Politiker beteuerten damals immer noch, Lateinamerika hätte nur ein Liquiditätsproblem. Solange wir die Kredite weiter umschulden können, so erklärten sie allen Ernstes, werde sich dieses Problem am Ende, relativ kostengünstig oder sogar ohne zusätzliche Kosten, von selbst lösen (Lateinamerika hatte dennoch mit Arbeitslosigkeit, Kapitalflucht, Hyperinflation und politischen Unruhen zu kämpfen, ich nehme aber an, dass das nicht wirklich von Bedeutung war).
Zum ersten formalen Schuldenerlass - auch bekannt als mexikanische Brady-Bond-Umschuldung - kam es erst 1990. Gegen Ende der 1990er verfügten dann fast alle dieser Länder über ihre eigenen Brady Bonds - mit Ausnahme Chiles und Kolumbiens. Aber auch diese beiden Länder hatten (wie auch alle anderen) einen informellen Schuldenerlass in nicht unerheblichen Umfang für sich herausholen können, und zwar durch Debt-Equity-Swaps (Gläuberbeteiligungen) und Schuldenrückkäufen mit großen Abschlägen auf den Nennwert (teils legal, teils nicht so legal).
Warum dauerte es aber so lange, bis die Banker und Politiker die Wahrheit erkannten - d.h. die Tatsache, dass es sich nicht nur um ein Liquiditätsproblem handelte? Eigentlich erkannten sie das recht schnell. Die meisten Banker wussten schon 1985/86, dass die Region unter einem generellen Solvenzproblem litt; unter den Großbanken hatte gerade JP Morgan die ganze Zeit über umfangreiche Rückstellungen vorgenommen. Aber keiner konnte öffentlich die Möglichkeit einer Insolvenz einräumen, denn das hätte zur Folge gehabt, dass alle Banken noch umfangreichere Rückstellungen hätten vornehmen müssen als ohnehin schon. Das wäre problematisch gewesen. Hätten die Banken ihre Kreditportfolios für die lateinamerikanischen Entwicklungsländer zum Marktwert ansetzen müssen, wäre von den zehn größten US-Banken allein JP Morgan nicht in die technische Insolvenz gerutscht.