Wie lange heißt es Solvenzkrise?
09.04.2013 | Presse
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Nachdem die EZB im Juni 2012 ihre Rettungsabsichten erklärt hatte, konnten Unternehmen aus Frankreich, Deutschland, Belgien und den Niederlanden im zweiten Halbjahr letzten Jahres extrem niedrig verzinste Kredite im Umfang von insgesamt 37 Milliarden € aufnehmen. Unternehmen aus Italien, Spanien, Portugal und Griechenland konnten zusammen nur ca. 12 Milliarden € an den Märkten aufnehmen, wobei auch nur den größten Unternehmen wie Telecom Italia und Telefonica Zugang zu den Kapitalmärkten gewährt wurde.Gleichzeitig sank die Kreditvergabe der Banken in den peripheren Euroländern um insgesamt 65 Mrd. €, da die krisengeplagten Banken dieser Regionen zur Stärkung der eigenen Bilanzen ihr Kreditvergabevolumen reduzierten.“
Man könnte also bestenfalls feststellen, dass die Kombination aus gesunkenen Arbeitskosten und gestiegenen Kapitalkosten zu einem Ressourcentransfer von kapitalintensiven Wirtschaftssektoren zu arbeitsintensiven Wirtschaftssektoren geführt hat. Abgesehen davon, dass dies möglicherweise gar kein gutes Zeichen für das zukünftige Produktivitätswachstum sein muss, so zeigt es auch, dass die spanischen Unternehmen trotz aller Reformmühen und -qualen immer noch nicht wettbewerbsfähig sind.
Manche könnten nun behaupten (und das tun sie auch), dass der starke Rückgang des spanischen Leistungsbilanzdefizits von 5% des BIP im Jahr 2008 auf heute ca. 1% zeige, dass Spanien durchaus an Wettbewerbsfähigkeit gewonnen hätte. Aber auch das ist keineswegs so klar wie es scheint. Ein großer Teil dieser “Verbesserungen” dürfte sich nämlich auf den starken Rückgang der Importe des Landes zurückführen lassen, was wiederum nahelegt, dass eine gestiegene Export-Wettbewerbsfähigkeit hier gar keine große Rolle spielt – und das dürfte sie auch nicht, falls ich mit meiner Annahme richtig liege, dass die gestiegenen Kapitalkosten die Vorzüge der gesunkenen Arbeitskosten aufzehren.
Arbeitslosenquoten von mehr als 15% bis 20% (ich nehme an, dass die offizielle Quote von 26% zu hoch ist, weil sie die Arbeiter in der "Schattenwirtschaft“ außen vor lässt) sind ein unglaublich effektives Mittel, das Handelsdefizit sinken zu lassen. Denn wenn sich die Menschen nichts leisten können, kaufen sie auch keine Handelswaren. Wenn sie diese Handelswaren nicht mehr kaufen, würden diese Güter notwendigerweise in den Export umgeleitet, auch wenn sich dadurch keine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Landes ergibt.
Man könnte daraus schließen, dass alle bisherigen Verbesserungen im Exportgeschäft des Landes nichts anderes waren, als Exporte von Gütern, die zuvor von Spaniern gekauft wurden, welche sich diese aber nicht mehr leisten können. Eine solche Exportleistung ist allerdings nicht die Folge verbesserter Wettbewerbsfähigkeit. Es ist schlicht und einfach die Folge steigender Arbeitslosigkeit.
Sollte Spanien zudem jemals seine sehr schnell steigenden Schulden zurückzahlen wollen, dann bräuchte es viel mehr als nur ein niedrigeres Handelsdefizit. Es bräuchte einen sehr hohen Handelsüberschuss, um die Kapitalabflüsse gegenzufinanzieren (außer man ginge von einem steilen aber unwahrscheinlichen Anstieg der privaten Kapitalzuflüsse aus). Um technisch korrekt zu bleiben, sollte ich eher sagen, dass Spanien zur Rückzahlung seiner Schulden einen sehr hohen Leistungsbilanzüberschuss bräuchte; und in Anbetracht der gewaltigen Zinslasten Spaniens würde das wiederum bedeuten, dass das Land ein sehr satten Handelsüberschuss bräuchte, da der Handelsüberschuss erst den Zinsabfluss übersteigen muss, bevor er zur Rückzahlung der Schulden benutzt werden kann. Falls Arbeitslosigkeit der beste Weg dahin ist, dann mag ich bezweifeln, dass die spanische Bevölkerung die für einen hohen Handelsüberschuss erforderlichen Lasten tragen kann.
Trotz der guten Nachrichten von den spanischen Anleihemärkten bin ich also immer noch nicht der Meinung, dass wir die Champagnerkorken knallen lassen können. Abgesehen von den Schuldenrefinanzierungskosten haben sich die Fundamentaldaten für Spanien in den letzten sechs Monaten nicht verbessert. Sie sind bestenfalls unverändert geblieben, möglicherweise haben sie sich sogar verschlechtert.
Wie lange muss Spanien noch durchhalten, um glaubhaft machen zu können, dass es ernsthaft auf Kurs bleiben wird? Ich denke, noch viel länger. In den Jahren 1931/32 begann Frankreich schließlich unter der Mitgliedschaft im Goldblock zu leiden, und trotzdem hielt das Land verbissen bis 1936 durch, bevor es letztendlich das Handtuch warf und abwertete. Die Spanier zeigen sich jetzt sogar noch härter als die Franzosen, was möglicherweise daran liegen könnte, dass unter der älteren Bevölkerung (weniger unter der jüngeren) die Sorge (und die Scham) herrscht, dass Spanien vielleicht nicht wirklich europäisch ist; und daraus speist sich auch ein großer Teil der Loyalität gegenüber Europa - und der Euro ist das große Symbol Europas.
Die Spanier haben aber noch viel zu verschmerzen. Sollte sich die Euro-Debatte in Frankreich übrigens verschärfen, dann könnte diese den spanischen Intellektuellen (für sie ist Frankreich der Fixstern) grünes Licht für eine eigene Debatte über die Europerspektiven geben. Bis dahin wird man in Spanien nicht wirklich über einen Austritt aus der Eurozone sprechen dürfen, wenn man erst genommen werden will. Es ist vielleicht ein wenig wie im England der 1920er als die Abkehr von den englischen Freihandelsprinzipien und die Aussetzung des Goldstandards für die entscheidungstragende Elite “indiskutabel“ war, aber dann nach vielen Jahren hoher Arbeitslosigkeit in den frühen 1930ern plötzlich sehr wohl "diskutabel“ wurde.
Meiner Meinung nach sind diese glücklichen Anleihemärkte das, was sie unter ähnlichen Umständen schon oft gewesen sind - ein wenig voreilig. Ich glaube, es war Herbert Hoover, der dem Spruch "da ist Licht am Ende des Tunnels" 1931 zur Berühmtheit verhalf, als er sich und die anderen im Umfeld einer kräftigen Erholung am US-Aktienmarkt davon überzeugen wollte, dass die Krise vorüber sei. Das war natürlich nicht der Fall; und die frisch belebten Märkte gaben in den folgenden drei Jahren nicht nur die zuvor gemachten Gewinne wieder ab.
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© Michael Pettis
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Dieser Artikel wurde am 21.03.2013 auf www.mpettis.com veröffentlicht und exklusiv für GoldSeiten übersetzt.