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Riesenräder und Visibilität

17.10.2011  |  Robert Rethfeld
Schon immer war die Zukunft düster, oder etwa nicht? Generationen von Propheten in der Tradition des Nostradamus haben wahlweise das Ende der Kirche, den Untergang des Westens oder gar das Ende der Welt vorhergesagt. Und geben wir es zu: Das Wecken dieser Urängste erzeugt in uns Resonanzen.

Gerade jetzt sind wir für solche Aussagen besonders empfänglich, da die Schuldenkrise seit einigen Jahren um sich greift. Damit meine ich nicht die Krise selbst, sondern die mediale Aufmerksamkeit, die diesem Thema zuteil wird. Da sitzen Leute in Talk-Shows, die die Medienmacher vor einigen Jahren nicht einmal mit der Kneifzange angefasst hätten. Man hätte sie als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt. Nostradamus ist gesellschaftsfähig geworden, die Urängste obsiegen. Zaghafte Versuche, das Thema auf die Straße zu tragen, sind zu erkennen. Aber es gibt eine Gegentendenz: Das Thema Schulden- und Finanzkrise hängt denjenigen, die sich schon länger damit befassen, zum Hals raus.

Befasst man sich näher mit Grundstimmungen, so wird eine zyklische Eigenschaft von positiven und negativen Stimmungsbildern erkennbar. Im Vorfeld eines Jahrhundertwechsels steigt der gesellschaftliche Optimismus. Man denke nur an die Zeit der "New Economy" (etwa 1995 bis 2000): Alles war machbar. Gerade in jenen Jahren erschienen Artikel wie: Das Alter der Menschen wird durchgängig auf 120 Jahre oder mehr steigen.

Bill Clinton rechnete vor: Im Jahr 2010 seien die Vereinigten Staaten schuldenfrei. Ein amerikanischer Gelehrter erklärte gar den Konjunkturzyklus für tot, er sei ein "Relikt der Geschichte". Ein Jahrhundert zuvor beeindruckten die Weltausstellungen von Paris 1889 (Eiffelturm, Maschinenhalle) und Chicago 1893 (Riesenrad; Geschirrspülmaschine) die Menschenmassen. Das Riesenrad im Wiener Prater wurde 1897 erbaut. Die Idee des Riesenrades wurde ein Jahrhundert später erneut aufgenommen (London Eye, 1999).

Den aktuelle Zeitraum empfindet man als Spiegelbild der damaligen Zeit: Die US-Staatsverschuldung beträgt 15 Billionen US-Dollar. Währungen wie der Euro hören demnächst - so der mediale Grundtenor - auf zu existieren; eine Währungsreform erscheint unausweichlich.

Während das Riesenrad für die Lust auf den Blick in die Ferne steht, beschreiben Banker wie Josef Ackermann die "Visibilität" derzeit als eingeschränkt. Genauso geht es den Medien: Aus Angst vor der Zukunft wird der Blick über den Tellerrand gescheut. Aber Angst ist ein schlechter Ratgeber.

Nach der Euphorie folgt der Kater. Und so ist es kein Wunder, dass die ersten 14 bis 15 Jahre eines neuen Jahrhunderts üblicherweise den Charakter eines Seitwärtsmarktes aufweisen (folgender Chart).

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Die ersten 15 Jahre des 19. Jahrhunderts wurden von den Napoleonischen Kriegen und der territorialen Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress 1815 bestimmt. In den ersten 14 Jahren des 20. Jahrhunderts stiegen die Spannungen insbesondere auf dem Balkan, aber auch zwischen den großen europäischen Nationen, so dass - fast zwangsläufig - im Jahr 1914 der erste Weltkrieg ausbrach. In der ersten 11 Jahren des 21. Jahrhunderts steht die Finanzkrise im Vordergrund, die insbesondere in Europa ihre Auswirkungen zeitigt. In unserem Jahresausblick für 2011 postulierten wir eine Art Wiener Kongress für die Neuordnung der Finanzmärkte. Ob es dazu kommt, hängt weitgehend vom Handlungsdruck ab, den die Finanzmärkte auf die Politik ausüben. Einen Rahmen für eine Neuordnung würde die G20 bieten.




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