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Amargi - die Geschichte der Verschuldung

01.01.2012  |  Klaus Singer
- Seite 2 -
Der US-Ökonom Michael Hudson hat im Mai 2006 unter dem Titel "Der neue Weg in die Leibeigenschaft" den Zusammenbruch der Immobilienblase in den USA vorhergesagt. Er hält die Occupy-Bewegung für "prärevolutionär". Auch Graeber sieht in ihr einen Ausdruck des Aufstands der Schuldsklaven. Für ihn war das größte soziale Übel der Antike, dass sich Menschen so tief verschuldeten, dass sie am Ende ihre Kinder in die Sklaverei verkauften, schließlich auch sich selbst. Wenn Platon oder Aristoteles heute mit einer Zeitmaschine ins moderne Amerika kämen, würden sie die Lage kaum anders beurteilen, meint Graeber.

"Löscht alle Schulden, und verteilt das Land neu!" Dieser Satz des Althistorikers Moses Finley beschreibt nach Graeber das einzige und über Jahrhunderte immer wiederkehrende revolutionäre Programm der Antike. Mehr noch: Bei den meisten Revolten in der Geschichte der Menschheit ging es um Schulden.

Wenn sie sich halten wollten, mussten sich politische Regime früher oder später eine Lösung für die Schuldenfalle einfallen lassen. Dabei gibt es in der Regel zwei Arten von Lösungen. Die eine war, direkte Kontrollmechanismen aufzuerlegen. So verkündeten die alten mesopotamischen Könige von Zeit zu Zeit einen Neuanfang durch Annullierung aller Schulden. Oder das Nehmen von Zinsen wurde verboten, wie es sowohl das Christentum im Mittelalter als auch der Islam taten. Diese Lösung war typisch für Zeiten des Kreditgeldes in Form von Schuldscheinen oder Versprechen, für Phasen also, die eher vom Typus der "menschlichen Ökonomie" geprägt waren.

Die in Zeiten entwickelterer Geldsysteme häufige Lösung ist die imperiale Methode. Es wird darauf bestanden, dass Schulden heilig sind und nicht manipuliert werden dürfen. Dann wird versucht, das Problem mit Geld zu "fluten". Es werden z.B. stehende Heere geschaffen und bezahlt. Oder es wurden in den imperialen Zentren andere Wege eingeschlagen, Bargeld oder sonstiges Vermögen direkt unter die Untergebenen zu bringen. Oft waren diese Maßnahmen gepaart mit massiver Schuldsklaverei anderswo.

Die zweite Lösung hat sich laut Graeber in der Geschichte als langfristig wenig tragfähig erwiesen: Aus der ungleichen Behandlung von Kreditnehmern und Kreditgebern entstand -manchmal über Generationen hinweg- eine revolutionäre Lage.

Graeber zieht im Interview mit Alex Bradshaw (deutsch hier) ganz aktuelle Parallelen: "Man nehme die jüngsten Revolutionen im Nahen Osten. Einer der wichtigsten Faktoren in der ägyptischen Revolution, über den kaum gesprochen wird, waren Mikrokredite. Gamal Mubarak, der mal für die Bank of America gearbeitet hat, entschied, dass er weg vom alten Modell des Wohlfahrtsstaats und hin zu einem auf Mikrokrediten basierenden Entwicklungsmodell wollte. Da niemand mehr irgendwelche Sicherheiten hatte, die hätten gepfändet werden können, erfüllte die Polizei dann die Rolle der Typen, die auftauchen um dir die Beine zu brechen. Daher die allgemeine Empörung über die Brutalität der Polizei."

Und: "Als die Saudis in Panik gerieten, weil die Revolution ihr eigenes Land zu erreichen drohte, was taten sie? Nun, abgesehen vom Aufstocken der Sicherheitskräfte, verkündeten sie Schuldenerlass im mesopotamischen Stil für alle im Königreich. (Sie haben immer noch einen König, sodass sie solche Dinge noch tun können.)"

Und zum Schluss: "Was wir 2008 gelernt haben ist, dass alles, was sie uns über Märkte erzählt haben, eine Lüge war. Märkte laufen nicht von selbst, und Schulden müssen nicht immer bezahlt werden. Wenn wir über die wirklich großen Spieler reden, dann gelten andere Regeln, dann kann man sogar 13 Billionen an Spielschulden (nach manchen Schätzungen) einfach verschwinden lassen. (...) Wenn Demokratie etwas bedeutet, muss sie bedeuten, dass nicht nur die reichsten 1% der Bevölkerung zu entscheiden haben, wer seine Versprechen auf den Buchstaben genau halten muss und wessen Versprechen annulliert oder neu verhandelt werden können... sondern alle."

Und ganz zum Schluss auf die Frage im Interview mit Philip Pilkington, wie sich die gegenwärtige Schuldenkrise weiter entfaltet: "For the long-term future, I’m pretty optimistic. We might have been doing things backwards for the last 40 years, but in terms of 500-year cycles, well, 40 years is nothing. Eventually there will have to be recognition that in a phase of virtual money, safeguards have to be put in place - and not just ones to protect creditors. How many disasters it will take to get there? I can’t say. But in the meantime there is another question to be asked: once we do these reforms, will the results be something that could even be called "capitalism"?"

Mein Fazit: Ein lesenswertes Buch - demnächst hoffentlich auch auf deutsch. Siehe auch die Buchbesprechung in der NYTimes hier.

Quelle: http://www.timepatternanalysis.de/Blog/2011/12/30/amargi-die-geschichte-der-verschuldung/


© Klaus G. Singer
www.timepatternanalysis.de



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