Wann wird man je verstehen?
22.03.2014 | Robert Rethfeld
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Hitlers MomentumIm Vorfeld des zweiten Weltkrieges hatte Hitler hatte immer wieder getestet, wie Franzosen, Briten, Amerikaner und Russen auf die schrittweise territoriale Ausweitung des deutschen Reiches reagierten. Ob in der Remilitarisierung des Rheinlands (1936), den „Anschluss“ Österreichs (1938) oder den Einmarsch in das Sudetenland (1938): Hitler erhielt als Rückmeldung den Eindruck von Desinteresse, Negation, und militärischer Unlust. Diese "Appeasement"-Politik endete erst im Frühjahr 1939.
Eurasische Union
Wladimir Putin betont bei jeder Gelegenheit die orthodoxen Wurzeln Russlands. Putin nimmt für Russland die Führung des orthodoxen Kulturkreises in Anspruch. Er möchte mit der eurasischen Union, die bereits als Wirtschaftsgemeinschaft besteht, ein Gegengewicht zur europäischen Union setzen. Die Gründung ist für das Jahr 2015 geplant. Russland, Weißrussland, Armenien und Kasachstan sind als Gründungsmitglieder vorgesehen.
Putin sieht den Westen als dekadent und im Abstieg begriffen an. Er beruft sich auf orthodoxe Moralvorstellungen, die im Gegensatz zu westlichen Vorstellungen stehen. Der Umgang mit Homosexuellen, mit Kritikern des Kremls oder die Inhaftierung von "Pussy Riot" sind Ausdruck dieser Einstellung. Offenheit und Toleranz werden als negative Werte des Westens begriffen.
Um eine eurasische Union dauerhaft und stabil bauen zu können, dürfte der eigene Kulturkreis das erste Ziel dafür sein, Verbündete und Partner zu gewinnen. Da Estland, Lettland, Litauen und Polen Staaten mit überwiegend evangelischer bzw. römisch-katholischer Tradition sind, dürfte Putin Blick nach Südosteuropa schweifen. Die orthodoxen Staaten Rumänien und Bulgarien sind Mitglieder der Europäischen Union. Die EU hat Beitrittsverhandlungen mit Serbien aufgenommen. Es wird damit gerechnet, dass ein Beitritt nicht vor 2020 erfolgen kann. Die Kosovo-Frage bleibt ein Zankapfel.
Zypern ist ein orthodoxes EU-Mitglied, in dem sich Russen (nicht nur Urlauber, sondern auch Oligarchen und russische Unternehmen) wohl fühlen. Griechenland ist von Europa – insbesondere von Deutschland – enttäuscht. Es erscheint durchaus vorstellbar, dass eine Moskau-basierte eurasische Union Serbien, vielleicht längerfristig auch Zypern und Griechenland integriert. Rumänien und Bulgarien könnten in einem solchen Fall ebenfalls in Richtung eurasische Union zu tendieren. Putin könnte durchaus testen, inwieweit er Momentum in Richtung Südosten aufbauen kann.
Putins Probleme
Putin wirft dem Westen korrekterweise Verfallserscheinungen vor, übersieht dabei jedoch die eigenen Probleme. Der orthodoxe Kulturkreis hat eine demographische Entwicklung vor sich, die ihn gegenüber dem Westen benachteiligt.
Zudem erscheint die wirtschaftliche Macht einer eurasischen Union begrenzt. Nicht ein einziges orthodoxes Land verfügt über ein florierendes, auf Handel und Ideen basierendes Geschäftsmodell. Die Abhängigkeit von Rohstoffen ist eklatant. Auch stimmen die Einwohner der orthodoxen Länder mit den Füßen ab. Der weitaus größte Zustrom von Ausländern nach Deutschland erfolgt aus diesem Kulturkreis. Eine eurasische Union wäre wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig. Allenfalls das Denken in Machtoptionen (Schaffung einer Pufferzone zwischen dem Westen und Russland) könnte erklären, warum Putin die eurasische Union ausbauen möchte.
Orthodoxes Konzil
Kürzlich haben sich die Oberhäupter orthodoxer Kirchen in Istanbul getroffen. Sie haben beschlossen, dass im Jahr 2016 - erstmals seit 1.200 Jahren - ein gemeinsames orthodoxes Konzil stattfinden soll. Es soll die Einheit der Orthodoxie stärken. Putin möchte verhindern, dass der orthodoxe Kulturkreis im europäischen Teil des westlichen Kulturkreises aufgeht. Aus diesem Grund dürfte er Schritte zur Stärkung der Orthodoxie ausdrücklich unterstützen. Im dürfte daran gelegen sein, die Bedeutung und das Wertesystem der Orthodoxie zu festigen.
Istanbul - das frühere Konstantinope l- ist Sitz des Patriarchen der orthodoxen Kirche. Der Patriarch ist zwar kein "orthodoxer Papst". Doch wird er als "Ehrenoberhaupt" anerkannt. Kiew ist der Entstehungsort der russisch-orthodoxen Kirche.