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Wann wird man je verstehen?

22.03.2014  |  Robert Rethfeld
- Seite 3 -
Russland und die Türkei

Die türkische Kultur erscheint von der christlich-orthodoxen Kultur nicht so weit entfernt, wie gemeinhin suggeriert wird. Istanbul war 1000 Jahre lang als Konstantinopel die Hauptstadt des christlich-orthodoxen oströmischen Reiches, bevor es zum islamischen Istanbul wurde. Große Teile des Balkans waren Jahrhunderte lang türkisch und damit islamisch besetzt. Der gegenseitige kulturelle Austausch zwischen der christlich-orthodoxen und der islamischen Kultur hatte viel Zeit, sich zu entwickeln und ist nicht ohne Folgen für beiden Kulturen geblieben. Einige dieser Länder sind sich heute viel näher, als sie es zugeben möchten.

Gemeinsamkeiten zwischen Putin und Erdogan im Sinne des autokratischen Führungsstils sind augenfällig. Die Türkei wählte bereits 1954 den Weg in die NATO. Sie hält sich im Krim-Konflikt deutlich zurück. Russische Kriegsschiffe erhalten ebenso Genehmigungen zur Passage des Bosporus wie die US-Kriegsmarine.

Die aus türkischer Sicht "ewige" Hinhaltetaktik der Europäischen Union im Hinblick auf ihr EU-Beitrittsgesuch könnte Putin nutzen, um der Türkei den Eintritt in die eurasische Union schmackhaft zu machen. Genauso wie Zypern ist die türkische Südküste um Antalya das Ziel zahlreicher russischer Touristen. Auch laufen eine Vielzahl von Öl-Pipelines durch die Türkei Richtung Westen.


Globale Bündnisse

Jahrzehntelang standen sich NATO und Warschauer Pakt im kalten Krieg gegenüber. Während sich der Warschauer Pakt auflöste, expandierte die NATO stetig gen Osten. China spielte militärisch eine untergeordnete Rolle. Es ist jedoch klar, dass eine wachsende Wirtschaftsmacht wie China seine militärische Schlagkraft auszubauen versucht.

Da Japan sich in einem Bündnis mit den USA befindet, durch das sich China in seinem Einflussbereich - dem Südchinesischen Meer - bedroht sieht, erscheint es nicht verwunderlich, wenn Russland und China sich Rücken an Rücken stellen. Man plant den Abschluss eines Militärbündnisses. Der Westen und Japan stehen auf der einen Seite, China und Russland auf der anderen Seite.

Es könnte eine ganze Menge schiefgehen. Würden sich China und Russland zu gegenseitigem Eingreifen verpflichten, so könnte China es - mit Russland im Rücken - wagen, das Problem der Senkaku-Inselgruppe militärisch lösen zu wollen. Ähnlich, wie Österreich-Ungarn es vor 100 Jahren nur nach Rückversicherung durch den Deutschen Kaiser gewagt hat, Serbien den Krieg zu erklären.


Westliche Werte

Beitrittsverhandlungen Brüssels mit Nicht-EU-Staaten laufen nach Schema F ab. Ein großer Anforderungskatalog muss abgearbeitet werden. Jahre vergehen, bevor eine Aufnahme beschlossen wird. Den Bürokraten waren die geostrategischen Implikationen der sukzessiven Südost-Erweiterung offenbar nicht bewusst. Es ist doch klar, dass ein russischer Staatschef den Eindruck bekommen muss, dass da eine Welle auf ihn zurollt, die seinen Kulturkreis einverleiben will.

Sind "westliche Werte" wie Toleranz, Freiheit des Individuums oder Rechtsstaatlichkeit auf andere Kulturkreise übertragbar? Da das westliche Verständnis für die Werte anderer Kulturkreise beschränkt ist, und in der Praxis gute gemeinte Ratschläge des Westens gern überhört werden, sollte man sich darauf konzentrieren, die eigenen Werte für die eigene Bevölkerung durchzusetzen. Im westlichen Kulturkreis wird die Freiheit des Individuums (Stichwort: NSA) durchaus unterschiedlich interpretiert.


Lösungen

Die Ukraine gehört ganz überwiegend dem orthodoxen Kulturkreis an. Der Westen hätte sich bewusst machen müssen, dass er den orthodoxen Kulturkreis nicht einfach in sich aufsaugen kann. Der Westen hätte wissen müssen, dass es zu Problemen kommt, wenn er die weisen Worte von Huntington ignoriert: "Kernstaaten sollten davon absehen, bei Konflikten in anderen Kulturen zu intervenieren. Das ist eine Wahrheit, die zu akzeptieren machen Staaten, besonders den USA, schwerfallen wird".

Mit "Fuck the EU" kommt man in einer solchen Angelegenheit nicht weiter. Die Krisendiplomatie, auch das wiederholte Auftreten des deutschen Außenministers in der Ukraine macht die Angelegenheit nur noch schlimmer. Kluge Zurückhaltung wäre angebracht gewesen. Die Ukraine muss als souveräner Staat ihre inneren Konflikte selbst austragen. Die Türkei mischt sich - obwohl Schwarzmeeranrainer - in diesen Konflikt ebenfalls nicht ein. Es gilt, die Bruchlinien der Kulturkreise zu beachten.

Das was jetzt geschieht, wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Das ist doch absehbar. Russland dürfte nun intensiver mit China über ein Militärbündnis verhandeln. Sanktionen des Westens wirken sich nicht nur auf Russland aus, sondern stören - über die global vernetzte Weltwirtschaft - das Gleichgewicht. Wenn die russischen Oligarchen Sicherheiten verkaufen, um einen Kredit zu bedienen, dann fällt irgendwo der Kurs einer Aktie oder eines Rohstoffs.

Zudem kochen wegen eines Konflikts in einem 45 Mio. Einwohner zählenden Land unnötigerweise die Emotionen hoch. Das erinnert in der Tat ein wenig an Sarajewo vor 100 Jahren. Nichts hat die Politik gelernt. Warum greifen immer wieder die gleichen Mechanismen und schaukeln sich hoch?

Wenn man - wie Huntington - davon ausgeht, dass eine auf Kulturen basierende internationale Ordnung den sichersten Schutz vor einem Weltkrieg darstellt, dann müssen die führenden Politiker und Intellektuellen einander verstehen und miteinander kooperieren. Das ist sozusagen "alternativlos". Dabei kann es nicht schaden, auch einmal die Perspektive zu wechseln und sich in den "Gegner" hineinzuversetzen.

Es gibt keine andere Lösung, wenn man Kriege vermeiden will.xxx


© Robert Rethfeld
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