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Alter schützt vor Torheit ebenso wenig wie ein Nobelpreis für Wirtschaft

30.03.2006  |  Claus Vogt
Am 31. Januar 2005 erschien im Wall Street Journal anlässlich der Pensionierung des US-Notenbankpräsidenten Alan Greenspan ein ganz erstaunlicher Kommentar von Milton Friedman. Der prominenteste Vertreter des Monetarismus, der 1976 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet wurde, reiht sich mit diesem Artikel in die sehr breite Phalanx der Laudatoren ein, die das geldpolitische Wirken Greenspans bereits jetzt in höchsten Tönen loben.


Die Lobreden auf Alan Greenspan sind verfrüht

Da die langfristigen Folgen der von Greenspan zu verantwortenden überaus laxen Geldpolitik erst in den kommenden Jahren sichtbar werden, halte ich die Lobreden zumindest für verfrüht. Sollten sich die von mir und Roland Leuschel in unserem Buch "Das Greenspan Dossier" vorgestellte klassisch-liberale Sichtweise von Greenspans Wirken und die darauf basierenden Prognosen als richtig herausstellen, dann wären die Lobreden allerdings nicht nur verfrüht, sondern rundherum falsch. In diesem Punkt wird die Zukunft erweisen, welche Sichtweise die richtige ist.


Für Nobelpreisträger Milton Friedman ist ein Kaufkraftverlust von 42% Geldwertstabilität

Mein Erstaunen über Friedmans Beitrag rief aber nicht sein genereller Lobgesang auf Alan Greenspan hervor, sondern der folgende Satz: "Alan Greenspan’s remarkable performance as Fed chairman demonstrated that it is possible to maintain stable prices." (Alan Greenspans bemerkenswerte Leistung als Fed-Präsident hat gezeigt, dass es möglich ist, Preisstabilität aufrechtzuerhalten.) Unter Verwendung der offiziellen US-Inflationszahlen (Konsumentenpreisindex) benötigen Sie heute 172 Dollar, um denselben Warenkorb zu kaufen, der 1987, dem Jahr des Amtsantritts Greenspans, nur 100 Dollar kostete. Das entspricht einem Kaufkraftverlust 42% in nur 18 Jahren. Was dieses traurige Ergebnis mit Geldwertstabilität zu tun haben soll, wird vermutlich das Geheimnis des 93-jährigen Nobelpreisträgers bleiben.


George Orwells "Neusprech" lässt grüßen

Kenne Sie das Buch "1984" von George Orwell? Darin beschreibt er eine totalitäre Welt, in der die Machthaber auf die Verwendung einer von ihnen veränderten Sprache bestehen, dem "Neusprech" (Newspeak). Durch die eigentlich absurden sprachlichen Begriffsumdeutungen soll die propagandistische Manipulation der Bevölkerung erleichtert werden.

Ich habe mich längst daran gewöhnt, von zeitgenössischen Politikern in einem an Orwells Neusprech erinnernden Kauderwelsch belogen zu werden. Kriege werden Friedensmissionen genannt, Schulden gelten als Wohlstand, ökonomisch nicht zu rechtfertigende Preissteigerungen bei Aktien oder Immobilien werden uns ebenfalls als Schaffung von Wohlstand verkauft und Inflation heißt heutzutage Geldwertstabilität. Dass Politiker versuchen, die Wähler auf derart plumpe Weise hinters Licht zu führen, überrascht mich nicht. Dass der brillante Milton Friedman ebenfalls in diesen Chor einstimmt, enttäuscht und beunruhigt mich allerdings sehr.


Kann es echte Geldwertstabilität geben?

Natürlich weiß Friedman ganz genau, dass 42% Kaufkraftverlust nichts mit Geldwertstabilität zu tun hat. Und im Unterschied zu den meisten Zeitgenossen, die das moderne Zentralbankwesen für unverzichtbar und seine inflationären Folgen für unvermeidlich halten, weiß er auch, dass es in der Vergangenheit durchaus Perioden echter Geldwertstabilität gegeben hat. Beispielsweise entsprach das Preisniveau kurz vor dem ersten Weltkrieg dem Preisniveau aus der Zeit vor den Napoleonischen Kriegen. In diese mehr als hundert Jahre umfassende Zeitspanne fällt nebenbei bemerkt die Blütezeit des Liberalismus, der für die Schaffung eines bis dahin unvorstellbaren Wohlstands sorgte. Die heutzutage immer wieder zu lesende Behauptung, gesundes Wirtschaftswachstum sei ohne Inflation nicht möglich, gehört also ebenfalls in die Kategorie "Neusprech".


Der Wahrheit verpflichtet

Im Oktober 2004 habe ich unter der Überschrift "Wer lügt am frechsten?" bereits von der hervorragenden Arbeit des US-Ökonomen Walter John Williams berichtet. Inzwischen hat Williams aufgrund des großen Erfolgs seiner fundierten volkswirtschaftlichen Analysen die Webseite www.shadowstats.com gegründet. Hier verspricht er "analysis behind and beyond government economic reporting" (Analysen, die hinter die Kulissen staatlicher Wirtschaftsstatistiken schauen). Williams betreibt seit 25 Jahren ein Analyseunternehmen für institutionelle Kunden. Am 21. Februar 2006 erschien ein ausführliches Interview mit ihm bei welling@weeden, einem unabhängigen US-Research-Unternehmen.

Williams beschreibt in diesem Interview, wie seit Präsident Reagens Zeiten in vielen kleinen Schritten die Berechnungsmethoden der Statistiker verändert wurden. Das sei nicht etwa heimlich geschehen, von einer konspirativen Vorgehensweise könne also keine Rede sein. Jede einzelne Änderung wurde anlässlich ihrer Einführung offen gelegt und detailliert beschrieben. Aufgrund der kumulativen Effekte seien im Lauf der Zeit Statistiken entstanden, die kaum noch Ähnlichkeiten mit ihren Vorgängern vor 10 oder 20 Jahren haben. Williams hat sich die Mühe gemacht, zeitgenössische Statistiken um diese Effekte zu bereinigen. Auf diese Weise kommt er zu Zahlen, die so berechnet wurden wie vor 30 Jahren. Die Ergebnisse sind erschütternd und spektakulär:

  • Die US-Arbeitslosenquote beträgt 12%.
  • Die US-Inflation (Konsumentenpreisindex) beläuft sich auf 8%.
  • Die Wirtschaft befindet sich in einer Rezession.

Als Aufhänger des Gesprächs diente nebenbei bemerkt das krasse Missverhältnis zwischen der Realitätswahrnehmung der US-Bevölkerung auf der einen Seite und der Realitätsbeschreibung durch staatliche Statistiken auf der anderen Seite. Ob es ein Zufall ist, dass auch in Europa spätestens seit Einführung des Euro ein Riss zwischen offiziellen Inflationszahlen und der so genannten "gefühlten Inflation" entstanden ist?


Was wäre, wenn der Staat wie ein Unternehmen Buch führen müsste?

Anschließend kommentiert Williams den amerikanischen Staatshaushalt. Wenn der Staat nach denselben Grundsätzen ordentlicher Kaufleute Buch führen würde wie die Unternehmen, also nach GAAP (Generally Accepted Accounting Principles), dann wäre die Aussichtslosigkeit seiner Finanzsituation offensichtlich. Unter Einbeziehung der sozialstaatlichen Zahlungsverpflichtungen habe das Haushaltsdefizit im Jahr 2003 3,7 Billionen US$ betragen, 2004 3,4 Billionen und 2005 3,5 Billionen. Es handelt sich hier nicht um einen Druckfehler oder um eine falsche Übersetzung. Das tatsächliche, auf ehrliche Weise ermittelte Defizit ist tatsächlich 10 Mal größer als das offiziell ausgewiesene.

Ich teile Williams Einschätzung der Situation als "außer Kontrolle geraten". Dieses niederschmetternde Urteil gilt übrigens nicht nur für die USA, denn in Europa ist die Situation vergleichbar traurig. Es ist nicht möglich, diesen Verpflichtungen durch Steuererhöhungen nachzukommen, selbst wenn der Steuersatz 100% betrüge und die Menschen dennoch arbeiteten. Es ist politisch auch nicht durchsetzbar, die staatlichen Zahlungsversprechungen einfach zu brechen und den Bürgern die grausame Wahrheit zuzumuten. Welche um ihre Karriere besorgten Politiker und Politikerinnen sollten soviel Rückgrat und Wahrheitsliebe besitzen? Natürlich kennen die Verantwortlichen das Ausmaß des Problems ebenso wie die Ausweglosigkeit. Welchen Weg können sie angesichts dieser prekären Lage wählen?


Die staatliche "Problemlösung" heißt Inflation

Ich glaube, die Antwort auf diese Frage ist eine sehr einfache. Wie üblich wird unter Missachtung früherer Versprechen und langfristiger Folgen der Weg des geringsten Widerstands gewählt werden. Und das bedeutet den hemmungslosen Einsatz der Gelddruckmaschine. Der mit Abstand größte Profiteur der Geldentwertung ist bekanntlich der Staat. Wer oder was sollte ihn in dieser Situation und in Zeiten weltweit ungedeckten Geldes davon abhalten, seine Probleme wegzuinflationieren? Uns kleinen, ausgelieferten Bürgern bleibt angesichts dieser bedrohlichen Aussichten vermutlich nur ein Ausweg: Wir müssen mit einer klugen Anlagestrategie versuchen, uns den Anschlägen auf unser Vermögen zu entziehen. Dabei spielt es unter strategischen Gesichtspunkten nur eine sehr untergeordnete Rolle, ob das inflationäre Endspiel bereits begonnen hat oder erst in einigen Jahren zur vollen Entfaltung gelangen wird. In derart problematischen Zeiten ist Gold ein Basisinvestment.


Deutschland: "Wirtschaft strotzt vor Optimismus"

So lautete kürzlich die Schlagzeile im Handelsblatt anlässlich der Veröffentlichung des Ifo-Geschäftsklimaindex. Dieses Stimmungsbarometer der deutschen Wirtschaft stieg von 101,8 Zählern im Januar auf nunmehr 103,3 Punkte. Das ist der höchste Stand seit 1991. Die Befragten der rund 7.000 in die Untersuchung einbezogenen Unternehmen beurteilten sowohl ihre aktuelle Situation als auch die Geschäftsaussichten noch einmal deutlich besser als zum Jahresanfang.

Natürlich hoffe auch ich wie alle anderen in diesem Land auf einen möglichst robusten Wirtschaftsaufschwung. Nur leider, leider geben uns die hauptberuflich mit Wachstumsprognosen befassten Volkswirte nur selten einen brauchbaren Anhaltspunkt, um einigermaßen sicher sein zu können, womit wir rechnen müssen. Gerade die so wichtigen Wendepunkte entziehen sich beharrlich ihrer Prognosekraft. Das ist der Grund, warum ich mich für meine Analysen lieber auf die Zinsstrukturkurve verlasse und auf die Börsenkurse. Beide Instrumente sind hervorragende oder zumindest brauchbare Indikatoren für die so schwer zu erkennenden Wendepunkte des ökonomischen Wohlergehens. Allerdings reagierte die Börse in der Vergangenheit oft über. Deshalb witzeln böse Zungen, die Börse hätte von den letzten 6 Rezessionen mindestens 12 vorhergesehen. Und wie verhält es sich mit dem IFO-Geschäftsklimaindex?




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