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Die Zins-Geister, die ich rief

26.10.2015  |  Klaus Singer
Aktien sind nach dem starken Einbruch im August und einer Periode hoher Schwankungen wieder gesucht. Anfang Oktober wurde im S&P 500 die obere Begrenzung der seit dem Einbruch etablierten Seitwärtsspanne überwunden und zeitgleich auch die EMA50 "geknackt". Mittlerweile ist auch die EMA200 überwunden, was gemeinhin als Zeichen für eine längerfristig weiter bullische Ausrichtung des Index gilt.

Scott Minerd von Guggenheim Investments verweist auf positive saisonale Faktoren. Und wenn die Aktienkurse weiter steigen, sollten gemäß historischer Zusammenhänge auch die Konsumausgaben zunehmen. Für die kommenden Monate hält er ein Kurziel von rund 2175 für wahrscheinlich. Dabei sollten weiter sinkende Zinsen in China letztlich für Abwertungsdruck auf die chinesische Währung sorgen, was wiederum die Aussichten für die Wirtschaft dort verbessert und so Bedenken hinsichtlich des Wachstums der Weltwirtschaft in den Hintergrund drängt.

In diesem Umfeld wird es immer unwahrscheinlicher, dass die Fed in diesem Jahr mit der Anhebung der Leitzinsen beginnen wird. In der kommenden Woche tagt das FOMC der Fed, nach Entwicklung der Preise für Fed Fund Futures beträgt die Wahrscheinlichkeit eines Zinsschritts gerade einmal 6%, für Dezember werden 39% veranschlagt.

Die Fed unter Führung von Yellen gibt sich wankelmütig, die Akteure haben darauf im September "vergrätzt" reagiert. William Dudley, Chef der New York Fed und FOMC-Vize, sagte kürzlich, es sei angemessen, die Zinsen in 2015 zu erhöhen. Kurz danach schränkte er ein, es gebe keine Eile, insbesondere wenn die Daten dies nicht unterstützen. Diese Ambivalenz zeigt, dass offenbar niemand bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und künftige Entwicklungen aktiv zu gestalten. Immer wieder wird auf die Risiken verwiesen, die Zinsen zu früh anzuheben. Von den Gefahren, die mit Nichtstun, bzw. einem Andauern der Nullzinsen einhergehen, wird nicht geredet.

Seit 2008 sind die Zinsen auf historisch tiefem Niveau. Was zunächst als Notmaßnahme deklariert wurde, entwickelte sich zur Dauereinrichtung. Unternehmen und Private haben davon profitiert. Der seit einigen Dekaden andauernde Trend zur Ausweitung von Immobilieneigentum wird begünstigt, was wiederum Kapital ablenkt von produktiveren Einsatzmöglichkeiten.

Pensionsfonds werden mit sinkenden Anleihezinsen in immer riskantere Anlagen getrieben, weil sie anders ihre Verpflichtungen nicht erfüllen können. Die Altersvorsorge wird insgesamt vernachlässigt, "sichere" Anlagen werfen kaum noch Renditen ab. Künstlich nach unten manipulierte Zinsen schwächen das marktwirtschaftliche System, weil die Geldflut alle Preise verzerrt und gesellschaftliche Präferenzen hinsichtlich Zukunft und Gegenwart nicht richtig widergespiegelt werden.

Das niedrige Zinsniveau begünstigt die Ausweitung der Staatsverschuldung, bzw. verhindert deren Abbau. Zu hohe Verschuldung -häufig wird eine Schuldenquote von 90% des BIP als Schwelle für die industialisierten Länder genannt- wiederum belastet das Wirtschaftswachstum, weil unverhältnismäßig viele Mittel für den Schuldendienst benötigt werden oder in schwarzen Pleitelöchern verschwinden.

Ohne Marktzins fehlen Kriterien hinsichtlich Profitabilität langfristiger Investitionen. Durch manipulierte Zinsen begünstigte Fehlallokationen führen am Ende zu niedrigerem Wachstum. Gedrücktes Wachstum - das ist das, was am schwersten wiegt.

Das ungedeckte, rein auf "Vertrauen" basierende Papiergeldsystem lässt die Verschuldung stärker steigen als die Produktionsleistung. Ein durch zunehmenden Schuldendienst bedingter Konjunktureinbruch kann nur verhindert werden, wenn der Zins immer weiter sinkt und gleichzeitig immer neue Kredite ausgegeben werden.

Je weiter die Spirale aus Niedrigstzinsen und Verschuldung gedreht wird, je stärker sind die Auswirkungen der Umkehr ihrer Richtung auf den kreditgetriebenen Aufschwung. Zudem werden die Schuldner direkt tangiert. Die konjunkturellen Bremsspuren werden immer stärker, je länger mit der Normalisierung der Zinsen gewartet wird.

Ist diese Spirale erst einmal weit genug gedreht worden, gibt es kaum noch ein Zurück.

Denkbar, dass die Fed sich bereits in einer solchen Situation sieht. Mag auch sein, dass sie Angst hat vor der eigenen Courage. Sie ist auf jeden Fall Gefangene der eigenen Politik, wohl die Konsequenzen ahnend, die kommen, wenn sie von der Drogenpolitik des billigen Geldes Abstand nimmt. Dr. Martin Hüfner, assénagon, weist in seinem aktuellen Wochenkommentar noch darauf hin, dass die Fed im kommenden Jahr wegen der dann anstehenden Wahlen zur US-Präsidentschaft mehr oder weniger handlungsunfähig ist, weil sie sich nicht dem Vorwurf der Beeinflussung aussetzen will.

So geht womöglich ein weiteres Jahr mit Nullzinsen ins Land und damit sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Normalisierung und Wiederherstellung von Marktmechanismen bei der Zinsbildung immer mehr.

Japan liefert für all das die Blaupause. Die japanische Notenbank begann 1991 mit der Senkung der Leitzinsen. Acht Jahre später war er bei Null angelangt. Im Sommer 2000 und im Frühjahr 2006 wurde versucht, die Zinsen anzuheben. Die zaghaften Versuche waren jeweils nicht von langer Dauer. Gleichzeitig hat die Staatsverschuldung abstruse Ausmaße angenommen (Chartquelle).

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