VW-Aktien im Aufwind: Die Absurdität unseres Finanzsystems
28.11.2015 | Ernst Wolff
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Der Grund ist simpel: 2007 / 2008 stand das Weltfinanzsystem am Abgrund, zahlreiche große Finanzinstitutionen wurden für „too big to fail“ erklärt und mit Steuergeldern gerettet. Um die dadurch entstandenen Löcher in den Bilanzen von Staaten und Finanzinstitutionen zu stopfen, wurden vor allem 3 Maßnahmen ergriffen: Es wurden Unsummen an Geld gedruckt, die Leitzinsen gesenkt und hochriskante Spekulationen erlaubt. Auf diese Weise wurden Aktien- und Anleihenkurse künstlich in die Höhe getrieben und der Eindruck erzeugt, das System „erhole“ sich. In Wahrheit ist es - ähnlich einem Patienten auf der Intensivstation - nur durch die Verabreichung dreier Drogen (Gelddrucken, Zinssenkung und Deregulierung) künstlich am Leben erhalten worden.
Aber nicht nur die Leerverkäufe tragen derzeit zum Kursanstieg der VW-Aktie bei. Ein weiterer wichtiger Faktor dürfte auch die Manipulation des Kurses durch Rückkäufe seitens der Geschäftsführung sein - ein Prinzip, das in den vergangenen Jahren ebenfalls zu einer vollständigen Verzerrung sämtlicher Aktienmärkte in der ganzen Welt beigetragen hat.
Nach Schätzungen der US-Bank Citygroup haben Unternehmen außerhalb des Finanzsektors weltweit zwischen 2011 und 2014 eigene Aktien im Umfang von 2,2 Billionen US-Dollar zurückgekauft (eine Summe, die dem Bruttoinlandsprodukt Brasiliens entspricht). Die 450 größten amerikanischen Unternehmen wandten 2014 im Durchschnitt 51 Prozent ihrer Reingewinne für Aktienrückkäufe auf, dreimal mehr als sie in neue Investitionen steckten.
Ein Blick auf die Geschichte zeigt die Entwicklung in diesem Bereich: Steckten die 450 größten US-Unternehmen 1981 noch ganze 2 Prozent ihrer Gewinne in Aktienrückkäufe, so ist dieser Anteil zwischen 1984 und 1993 auf 25 Prozent und bis 2014 auf 51 Prozent angewachsen.
Hintergrund dieser Entwicklung ist die Stagnation der Weltwirtschaft, die vor allem zwei Gründe hat: Zum einen lassen sich auf dem Finanzsektor viel schnellere und größere Gewinne machen als in der Realwirtschaft und zum anderen können seit der Erklärung großer Finanzinstitutionen und transnationaler Konzerne für „too big fail“ unbegrenzte Risiken eingegangen werden.
Das wiederum führt dazu, dass Großkonzerne immer weniger in die Produktion investieren und sich stattdessen immer stärker am internationalen Finanzcasino beteiligen.
So treiben die Konzernleitungen, die wegen des zunehmenden Investitionsrückgangs auf riesigen Bargeldbeständen sitzen, durch Aktienrückkäufe zum einen die Manager-Boni (die vom Aktienkurs abhängen) in die Höhe und lenken zum anderen von negativen Entwicklungen im eigenen Konzern ab (so hat der deutsche Siemens-Konzern nach einem Kurseinbruch seiner Aktien in diesem Jahr umgehend angekündigt, in den kommenden drei Jahren Aktien im Wert von bis zu 3 Milliarden Euro zurückzukaufen und den Kurs so wieder stabilisiert).
Die Abnahme von Investitionen bei gleichzeitigem verstärktem Rückkauf eigener Aktien hat neben der Verzerrung der Märkte auch den Effekt, dass immer weniger neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Da zugleich bestehende Arbeitsplätze durch permanente Rationalisierung abgebaut werden, nimmt die Arbeitslosigkeit zu und die Konsumkraft der Verbraucher schwindet, was die Realwirtschaft wiederum zusätzlich schwächt.
Dieser fatale Kreislauf ist symptomatisch für den gegenwärtigen Zustand des Weltwirtschaftssystem: Es wird in immer größerem Ausmaß von kurzfristigen Finanzinteressen beherrscht und siecht dabei ohne Aussicht auf Besserung vor sich hin.
© Ernst Wolff
Ernst Wolff ist freiberuflicher Journalist und Autor des Buches "Weltmacht IWF - Chronik eines Raubzugs", erschienen im Tectum-Verlag, Marburg. Desweiteren war er Referent auf der Internationalen Edelmetall- und Rohstoffmesse und veröffentlichte einen Artikel im Edelmetall- und Rohstoff-Magazin 2015/16.