Das Damoklesschwert über dem Gold-Papiermarkt - Interview mit Craig Hemke
17.05.2016 | Mike Gleason
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Der Shanghaier Referenzpreis ändert die Spielregeln. Es sollte in diesem Zusammenhang kaum eine Überraschung sein, dass der Goldpreis im April beständig fiel und dann am 19. April plötzlich wieder anstieg. Natürlich lässt sich ein Großteil der Preisbewegungen auf die Entwicklung der Währungskurse zurückführen, aber es ist dennoch kein Zufall. Die Möglichkeit Chinas den Preis zu kontrollieren, schwebt nun wie ein Damoklesschwert über dem Goldmarkt. Das ist wirklich eine große Sache. Ich bin froh, dass Sie dieses Thema aufgegriffen haben, denn darüber sollten alle Goldinvestoren und -trader weltweit auf dem Laufenden sein.Mike Gleason: Ich frage mich, ob wir eines Tages aufwachen werden, um festzustellen, dass China von den Goldpreismanipulationen des Westens genug hat und beschlossen hat, den Schalter umzulegen. Wie Sie gesagt haben schwebt jetzt ein Damoklesschwert über dem Markt und wenn es ihnen beliebt könnten die Chinesen sagen, "So, eine Neubewertung von Gold auf einem viel höheren Preisniveau ist jetzt in unseren Interesse. Wir haben alle Reserven angelegt, die wir wollten. Ihr habt all euer Gold dummerweise zu Dumping-Preisen verkauft und an uns geliefert, aber jetzt ist das vorbei." Könnte so etwas wirklich passieren?
Craig Hemke: Lassen Sie uns noch einmal genau darüber nachdenken, Mike. Während der Goldpreis in diesem Jahr seit Ende Januar um vielleicht 15% oder 20% gestiegen ist, erhöhte sich das Open Interest an der COMEX um fast 200.000 Kontrakte bzw. 40%. Die Zahl der Papiergold-Kontrakte hat sich also mindestens doppelt so stark erhöht, wie der Goldkurs. Die großen Banken wie JP Morgan, die HSBC, die Scotiabank, Barclays, die UBS und die Deutsche Bank nehmen dabei an den Terminmärkten hauptsächlich die Verkäuferposition ein, während die Spekulanten als Käufer auftreten.
Die Kontrakte werden einfach nachgeliefert, in einem Versuch, die Preise niedrig zu halten. Wenn die Anzahl an Goldkontrakten dagegen statisch wäre, müsste sich ein Gleichgewicht zu dem Preis einstellen, zu dem die Verkäufer bereit sind, die begrenzt verfügbaren Kontrakte zu veräußern. Doch stattdessen wächst das Angebot an Papiergold einfach immer weiter. Dadurch werden die täglichen Kursgewinne abgeschwächt.
Die Daten zu den "Commercials", die jeden Freitag im Commitments of Traders Report veröffentlicht werden, sind letztlich nur eine Zusammenfassung der Positionierung der Banken am Goldmarkt, bzw. an der COMEX. Es ist natürlich möglich, dass die Banken in London oder an den extrem intransparenten, außerbörslichen Handelsplätzen (OTC) über ausgleichende Positionen verfügen, doch an der New Yorker COMEX halten die Commercials mehr als 400.000 Short-Kontrakte, und damit meine ich die absolute Gesamtzahl.
Gleichzeitig verfügen sie vielleicht über 150.000 Long-Kontrakte, also liegen die Netto-Short-Positionen nur bei 250.000 Kontrakten, doch insgesamt haben die Commercials 400.000 Shorts. Das entspricht 40 Millionen Unzen Gold, die theoretisch geliefert werden müssen, da es sich ja um Verkaufspositionen handelt.
Es kommt allerdings nie zur Auslieferung. Die COMEX ist in keiner Weise ein physischer Markt. Sie ist nur eine Art Hütchenspiel, bei dem Papier hin- und hergeschoben wird. Der einzige Lieferprozess an der COMEX besteht darin, dass die Banken untereinander immer mal wieder ein paar Warrants austauschen, um die Scharade, die Illusion von Auslieferungen physischen Metalls aufrechtzuerhalten.
Die Chinesen sind sich dieser Situation an den Papiermärkten des Westens natürlich bewusst. Sollten sie eines Tages ein eigenes alternatives Währungssystem einführen wollen, könnten sie die Bullionbanken praktisch auf einen Schlag völlig vernichten. Wenn das westliche Bankenwesen zusammengebrochen ist, bliebe dem Westen dann keine andere Wahl, als das neue System zu akzeptieren. Dann würden all die Intrigen und all die Spiele, die in den vergangenen 40 Jahren an den Finanz- und Terminmärkten mit dem Goldpreis getrieben wurden, letztlich zum Ende unseres Finanzsystems führen.
Man kann natürlich unmöglich vorhersagen, wann es soweit sein wird. Theoretisch könnte das schon nächste Woche geschehen. China besitzt nun auf jeden Fall die entsprechenden Möglichkeiten. Ich habe zumindest keinen Zweifel daran, dass dieses Szenario eines Tages eintreten wird. Die Chinesen neigen eher dazu, in Jahrzehnten und Jahrhunderten zu denken.
Bedenken Sie nur, wie lange zum Beispiel die Ming-Dynastie überdauert hat. Sie wissen, dass diejenigen, die das Gold besitzen, die Regeln machen, und deswegen legen sie ihre Goldreserven an. Sie werden die Großmacht sein, der das Gold gehört. Die derzeitige Struktur des globalen Reservewährungssystems ist nur ein vorübergehender Zustand. Die Macht über die Reservewährung lag 70 Jahre lang bei den USA, doch zuvor lag sie beim Vereinigten Königreich, bei Portugal usw. Im 21. Jahrhundert sieht sich China in dieser Rolle und es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Reich der Mitte entsprechend handelt. Sagen wir es so: Wenn sich der Staub erst einmal gelegt hat, wird mein Gold nicht mehr 1.280 $ je Unze wert sein.
Mike Gleason: Ja, das bezweifle ich auch. Das bringt mich direkt zu meiner nächsten Frage. In einem Artikel, den Sie diese Woche veröffentlicht haben, haben Sie sehr gut erklärt, worin der Unterschied besteht zwischen dem Kauf einer Aktie und der Investition eines Traders in einen Terminkontrakt. Wenn jemand Aktien von Coca-Cola kauft, dann ist das Angebot an diesen Aktien begrenzt und es muss gleichzeitig einen Verkäufer geben, d. h. es gibt eine echte Preisfindung.
Wenn man jedoch Futures kauft, dann kann eine Bullionbank einfach neue Kontrakte drucken, ohne dass diese durch irgendetwas gedeckt sind. Wenn man mit Terminkontrakten handelt ist das also praktisch, als würde man auf den Preis von Äpfeln wetten, obwohl die Gegenseite der Wette alle Obstbäume besitzt. Sie haben hier einen ganz zentralen Punkt angesprochen, den die meisten übersehen. Erklären Sie unseren Lesern und Zuhörern doch bitte, wie sie zu den Terminmärkten stehen und warum diese weder fair noch frei sind.
Craig Hemke: Der Großteil des täglichen Handelsvolumens am Gold- und Silbermarkt der COMEX in New York beruht auf dem Austausch von bestehenden Kontrakten. Man kann sich das tägliche Volumen ansehen und es mit den täglichen Änderungen des Open Interest vergleichen. Hier ist jedoch der Punkt, auf den wir zuvor in dieser Diskussion schon hingewiesen haben: Ende Januar belief sich das Open Interest am Goldmarkt der COMEX auf insgesamt 373.000 Kontrakte. Aktuell ist es jedoch auf 568.000 Kontrakte angewachsen, d. h. innerhalb der letzten 100 Tage wurden 20 Millionen Unzen Papiergold einfach aus dem Nichts erschaffen. Dies hat, wie Sie sehen, eine Abschwächung der täglichen Kursgewinne zur Folge.
Letzte Woche wurde bei Gold praktisch eine historische Kursentwicklung verzeichnet. In der letzten Woche im April legte der Kurs innerhalb von fünf Tagen 60 $ zu! Das ist eine enorme Bewegung, richtig? Immerhin entsprach das einem Gewinn von fast 5%. Doch im gleichen Zeitraum erhöhte sich die Zahl der ausstehenden Kontrakte um 10%, da die Banken einfach mehr davon druckten. Die Bullionbanken dürfen neue Kontrakte ausgeben, sei es JP Morgan, die HSBC oder eine andere Bank. Sie können diese Kontrakte dann shorten, indem sie sie an Spekulanten, Hochfrequenz-Trader, Algo-Trader, Hedgefonds etc. verkaufen, die auf der Suche nach Exposure gegenüber Gold sind und deshalb Futures kaufen.
Am letzten Freitag beispielsweise - ich glaube, es war am Freitag - kletterte der Goldpreis 20 $ nach oben und die Zahl der ausstehenden Kontrakte erhöhte sich um 20.000. Da kommt unweigerlich die Frage auf, wie weit der Preis noch gestiegen wäre, wenn man den Markt nicht mit zusätzlichen 20.000 Kontrakten versorgt hätte und die 20.000 Käufer stattdessen tatsächlich 20.000 Verkäufer hätten finden müssen...