Steve St. Angelo über die Energie- und Schuldenkrise und die Notwendigkeit, Edelmetalle zu besitzen
08.06.2016 | Mike Gleason
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Steve St. Angelo: In den Jahren 2005, 2006 und 2007 hatte die Investmentnachfrage, d. h. die Münz- und Barrennachfrage jeweils einen Anteil von 8% an der gesamten Silbernachfrage. Dann kam 2008 und alles änderte sich. Was war geschehen? Die US-Banken und der US-Immobilienmarkt crashten zum ersten Mal. Ich sage zum ersten Mal, weil uns das zweite Mal noch bevorsteht. Man versucht zwar alles, um die Krise zu vermeiden, doch das wird nicht für immer funktionieren. 2008 nahmen die Silberinvestitionen stark zu und machten plötzlich 29% der Gesamtnachfrage aus. GFMS hat kürzlich die von privaten Prägestätten hergestellten Silbermedaillen und -barren in die Statistiken mit aufgenommen. Früher war das nicht der Fall, weil das Analystenteam keine guten Daten zu diesem Sektor hatte, doch jetzt haben sie die Zahlen für 2015 in ihre World Silver Survey 2016 mit aufgenommen. Dadurch haben sich ihre Angaben zur Gesamtnachfrage nach Silbermünzen und -barren im letzten Jahr um 40 oder 50 Millionen Unzen erhöht und die Statistiken der vorhergegangenen Jahre mussten überarbeitet werden. Das ist also ein weiterer Faktor, der die Investmentnachfrage steigen lässt, die sich mittlerweile auf 50% der industriellen Nachfrage beläuft.
Hier ist der springende Punkt dabei: In den 1960er Jahren haben wir den Silberstandard aufgeben, weil das weiße Metall zu wertvoll wurde, um Münzen daraus herzustellen. So war es wirklich. Wir haben zu große Mengen davon in der Industrie verwendet und beides war nicht möglich. Wir konnten nicht gleichzeitig Münzgeld aus Silber und genügend Silber für die Industrie und die Herstellung von Schmuck und Silberwaren haben. Es gab einfach nicht genug davon. Also hat man das Silber aus den Münzen entfernt, weil sonst auch der Preis der Münzen gestiegen wäre. Die Industrie hat unterdessen weiter gewaltige Mengen an Silber verschlungen und die Hälfte davon ist unwiderruflich verloren.
Doch wenn sich die Investitionsnachfrage nach Silber im Verhältnis zu letztem Jahr eines Tages verdoppeln sollte, dann würde sie den Bedarf der Industrie übersteigen, beispielsweise wenn die institutionellen Investoren im großen Stil in den Silbermarkt einsteigen oder weil die Anleger sehr besorgt sind, so wie im ersten Quartal dieses Jahres. Sobald es zu einem größeren Crash kommt, könnte sich die Nachfrage nach Silberinvestitionen leicht verdoppeln und von 300 Millionen Unzen im vergangenen Jahr auf 600 Millionen Unzen anwachsen, weil Gold und Silber echtes Geld sind. Dann läge sie bereits über der Nachfrage der Industrie. Ich denke, dass die Nachfrage eines Tages enorm zunehmen wird, Mike, und ich glaube nicht, dass das Angebot gleichermaßen mitwächst.
Mike Gleason: Sie beobachten auch das Angebotsdefizit am Silbermarkt schon seit Langem und ich würde gern Ihre Meinung zu den von Thomson Reuters veröffentlichten Statistiken zu Silberangebot und -nachfrage auf globaler Ebene hören, Steve. Sie haben kürzlich von einer Anpassung der Zahlen berichtet, durch die das Defizit viel größer wurde, als zunächst gemeldet. An den Märkten besteht also schon seit mehr als einem Jahrzehnt diese permanente Knappheit, doch die Preise sind zwar deutlich höher als noch vor zehn oder 15 Jahren, waren in den letzten fünf Jahren aber auch stark rückläufig. Was können wir daraus ableiten?
Steve St. Angelo: Innerhalb weniger Monate, sagen wir innerhalb eines halben Jahres, haben die Analysten das seit 2004 angestaute Defizit von etwas über 1 Milliarde Unzen auf fast 1,3 Milliarden Unzen nach oben korrigiert. Sie haben also festgestellt, dass der Fehlbetrag knapp 300 Millionen Unze höher ist, als zunächst angenommen.
Ich habe per E-Mail Kontakt zum Silber-Chefanalysten bei GFMS aufgenommen und geschrieben, dass ich von Defiziten am Silbermarkt Anfang der 1980er und 1990er Jahre gehört hatte. GFMS schickte mir daraufhin sämtliche Daten zu Angebot, Nachfrage und den Defiziten seit 1975. Ich habe mir die Statistiken alle angesehen und wie sich herausstellte, gab es in den 1980ern und 1990ern einen Überschuss. Insbesondere Mitte der 1990er verkauften die Investoren eine Menge Silberbarren am Markt, weil sie gedacht hatten, dass die Preise sich erholen würden. Doch das war nicht der Fall. Die Überschüsse dieser beiden Jahrzehnte summierten sich insgesamt auf rund 1,6 Milliarden Unzen.
Und jetzt raten Sie mal - zwischen 2000 und 2015 hat sich ein Defizit von 1,6 Milliarden Unzen angesammelt. Die Märkte haben in den letzten 15 Jahren also in Wirklichkeit vom Überschuss der vorhergegangenen zwei Jahrzehnte gezehrt. Warum hatte dies keine Auswirkung auf den Silberpreis? Nunja, der Markt wird manipuliert. Die Märkte sind vollkommen manipuliert. Warum steigt der Dow Jones, obwohl grottenschlechte wirtschaftliche Fundamentaldaten veröffentlicht werden?
Die Märkte sind ein seltsamer Ort. Die Aktienkurse von Bear Stearns und später von Lehman Brothers implodierten rasend schnell, doch wenn man etwas von den Fundamentaldaten der beiden Unternehmen verstand, dann zeichnete sich das wahrscheinlich schon lange vorher ab. Die Fundamentaldaten zeigten schon zwei oder drei Jahre zuvor, dass Aktienkurse nicht dem tatsächlichen Wert entsprachen, und dass die beiden Banken bankrott waren.
Eine ähnliche Situation haben wir auch heute wieder. Gold und Silber sind unterbewertet, weil die Märkte die Daten nicht richtig verstehen. Wenn die eigentliche Lage offensichtlich wird und die echten Fundamentaldaten zum Tragen kommen, werden wir ein umgekehrtes Lehman-Brothers-Ereignis, eine umgekehrte Entwicklung wie bei Bear Stearns erleben: Die Gold- und Silberpreise werden endlich durchstarten.
Mike Gleason: Mit der steigenden Investmentnachfrage geht offenkundig auch eine örtliche Verlagerung der Edelmetalle von West nach Ost einher, möglicherweise wandern Gold und Silber aus den schwachen Händen des Westens in die starken Hände des Ostens. Wahrscheinlich werden wir diese Edelmetalle auch nicht so schnell wiedersehen. Die Investoren tätigen zwar größere Edelmetallkäufe, doch sie werden nicht unbedingt bereit sein, ihre Bestände wieder zu verkaufen, solange die Preise nicht deutlich steigen.
Ich denke, auch das ist ein wichtiger Faktor. Die jetzigen Anleger werden ihre Edelmetalle nur mit einem Gewinn wieder verkaufen wollen und damit dieses Gold und Silber wieder auf den Markt gelangt, sind signifikant höhere Preise nötig. Ein großer Teil der Edelmetalle wird von sehr starken Händen gekauft. Sehen Sie das genauso?
Steve St. Angelo: Ja, auf jeden Fall. Wir dürfen auch nicht vergessen, was 2011 passiert ist, als der Silberpreis im Durchschnitt bei über 35 $ lag. Damals war das Angebot an Altsilber mit 240 Millionen Unzen verhältnismäßig hoch, doch die Märkte absorbierten alles. Ich denke allerdings, dass das Angebot an recyceltem Silber selbst dann sinken könnte, wenn der Preis auf 100 $ steigt, denn hier besteht ein Unterschied im Vergleich zu Gold.
In den späten 1990er Jahren und Anfang der 2000er Jahre kauften die Amerikaner viel Goldschmuck, weil der Preis niedrig war und die Dinge damals gut liefen. Sie kauften Gold, um sich damit zu schmücken und damit anzugeben, während die Inder im Goldschmuck eine Notreserve sahen. Sie betrachten ihn eher als Ruhestandsgeld, als Vermögen, während die Amerikaner zeigen möchten, dass sie einen schönen Goldring besitzen. Sie sind auch bereit, ihre Goldmünzen und ihren Schmuck zu verpfänden, denn für 500 $ oder 800 $ lohnt es sich, zur Pfandleihe zu gehen.