Die Wirtschaft ist manipuliert
29.09.2016 | John Mauldin
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Keynesianische und neo-keynesianische Wirtschaftstheorien wurden zur vorherrschenden Strömung in akademischen Kreisen. Die Politiker und Bürokraten umwarben die Keynesianer, weil diese ihnen praktisch die Erlaubnis gaben, Geld auszugeben. Wenn Sie ein Beispiel dafür möchten, brauchen Sie nur eine beliebige Kolumne von Paul Krugman in der New York Times lesen, in denen er unermüdlich noch höhere Ausgaben und eine noch lockerere Geldpolitik fordert.Die neo-keynesianische Philosophie dominiert heute die Denkweise der Zentralbanker auf der ganzen Welt, doch bevor wir weiter auf diesen Punkt eingehen, möchte ich noch ein Zitat aus einer hervorragenden Buchrezension von James Grant, dem Herausgeber des Finanzjournals Interest Rate Observer, anbringen, in der Grant sich zu Prof. Ken Rogoffs neuster Publikation "The Curse of Cash" äußert (auf Deutsch erschienen unter dem Titel "Der Fluch des Geldes: Warum unser Bargeld verschwinden wird).
Ich fand das Buch sowie die Rezensionen darüber verstörend, da Rogoff aufgrund seines Werkes "This Time Is Different" ("Dieses Mal ist alles anders: Acht Jahrhunderte Finanzkrise"), einer brillanten tour de force zu den Problemen der Verschuldung, zu meinen persönlichen Helden zählt und ich ihn als angenehmen, gelassenen Menschen kennengelernt habe. Die Argumentation in "Der Fluch des Geldes" ist jedoch keineswegs so angenehm und erfreulich.
Prof. Rogoff schreibt darin, dass wir die 100-$-Note abschaffen sollten, weil sie die Kontrolle der Federal Reserve über die Geldmenge behindert und die Einführung negativer Zinssätze erschwert. Hier ein Absatz aus James Grants Rezension:
"Während einer schweren Rezession sollte die Fed nach Mr. Rogoffs Ansicht nicht bei 0% aufhören, die Zinsen zu senken. Sie sollte den Sprung wagen und Zinssätze von -1%, -2%, -3% usw. beschließen. Bei dem einen oder anderen Zinssatz, so die Theorie, werden die geplünderten Kontoinhaber schon aufhören zu sparen und das Geld stattdessen ausgeben. In der Weltanschauung der Leute, die Mr. Rogoff brüderlich als 'Policy Community' bezeichnet (wer hat sie gewählt?), werden diese Ausgaben die gesamtwirtschaftliche Nachfrage untermauern und so den Wohlstand wiederherstellen."
Dies darf angezweifelt werden. Mr. Rogoff selbst erkennt einige Schwierigkeiten. Bargeld stellt in seinen Augen das größte Problem dar, denn die undankbaren Subjekte der Staatskunst der Policy Community werden beginnen, es zu horten.
Ich habe ein Problem damit, dass Mr. Rogoff Negativzinsen vorschlägt, aber an dieser Stelle möchte ich mich auf die Zusammensetzung der "Policy Community" konzentrieren, der "Gemeinschaft", die die Richtung der Wirtschafts-, Geld- und Finanzpolitik bestimmt. Rogoff meint damit die führenden Kräfte in der Wirtschaft, die eine Art selbstdefinierende Nicht-Organisation bilden, der nur sehr wenige Nicht-Keynesianer angehören.
Hier gelangen wir zur Ursache des Problems. Die Wirtschaftswissenschaften haben sich in religiöse Lager aufgeteilt. Die Disziplin ist so gespalten, wie es die Protestanten und Katholiken im 16. Jahrhundert waren oder die Schiiten und Sunniten heutzutage. Es gibt jene, die als rechtgläubig angesehen werden, und jene, die als Ketzer gelten. Zudem verfügt die Glaubensgemeinschaft über eine Priesterschaft. Wer zum Hohepriester ernannt wird, steigt zum Mitglied der "Policy Community" auf.
Ja, auch in den Reihen der Priester gibt es Unstimmigkeiten und Meinungsverschiedenheiten. Schließlich handelt es sich um Akademiker, die sich ihre Titel mit der Ausarbeitung verschiedener Ideen, der Veröffentlichung von entsprechenden Abhandlungen (die meist viel schwer verständliche Mathematik enthalten) und den anschließenden Diskussionen darüber verdient haben.
Um in der keynesianischen Religionsgemeinschaft als Hohepriester akzeptiert zu werden, muss man im Allgemeinen eine Reihe von Prinzipien vertreten, die der Katechismus vorgibt. Zu den wichtigsten zählt der Grundsatz, dass der Konsum die Antriebskraft der Wirtschaft darstellt. Damit geht der Folgesatz einher, dass sich der Verbrauch mit Hilfe des Geldangebotes und der Zinssätze ankurbeln oder verringern lässt, wodurch wiederum Inflation und Deflation gemäßigt werden können. Dies impliziert auch die Annahme, dass es der Zentralbank als unabhängigem Wirtschaftsakteur obliegt, die Geldmenge und den Leitzins im besten Interesse des wirtschaftlichen Gemeinwesens zu regulieren.
Blicken wir für einen Moment rund 2.400 Jahre in die Vergangenheit und nach Athen, in die Zeit, zu der Platon lebte. Der Philosoph arbeitete damals gerade an seiner "Politeia", welche die westliche Staatstheorie über Jahrhunderte hinweg beeinflussen sollte. In diesem Werk idealisiert er eine Führungselite, die er als "Philosophenherrscher" bezeichnet und die die Geschicke seiner utopistischen Stadt Kallipolis lenkt. In einem idealen Stadtstaat, so Platon, müssen "die Philosophen Könige werden oder die, welche man jetzt Könige und Herrscher nennt, echte und gründliche Philosophen werden."
Die akademisch gebildeten Ökonomen der heutigen Zeit würden den Gedanken, dass sie Philosophenherrscher sind, mit Sicherheit von sich weisen, doch im Grunde genommen sind sie genau das. Die Zentralbanker haben einen Mantel der Unfehlbarkeit um ihre kräftigen Schultern gelegt: In ihren Augen verfügen sie allein über das nötige Wissen und die Kompetenz, um den Preis des wichtigsten Rohstoffes der Welt bestimmen zu können - des Geldes.
Sie haben entschieden, dass das gemeine Volk an den Märkten nicht mit dieser Preisfindung betraut werden kann. Überließe man derartige Angelegenheiten den unbändigen, launenhaften Märkten, würde die Welt im Chaos versinken. Aus diesem Grund haben die Hohepriester diese Verantwortung zu Gunsten des allgemeinen wirtschaftlichen Wohlergehens auf sich genommen.
Hier liegt der Hund begraben. Die Manipulation der Wirtschaft zum Nachteil der Durchschnittsbürger ist nicht die Schuld der Wall Street oder der Regierungspolitiker, sondern vielmehr das Ergebnis eines historischen Prozesses, der der Wirtschaft und ihre führenden Wissenschaftler Schritt für Schritt und Byte für Byte in den Status einer allmächtigen Priesterschaft erhoben hat.
Ich habe viele dieser Männer und Frauen kennengelernt. Als Individuen sind sie zumeist eher bescheiden und sympathisch. Doch wenn sie sich in Gruppen zusammenfinden und in den Zentralbanken an einem großen Tisch versammelt sind, glauben sie an ihre magische Fähigkeit zu erraten, was für eine Volkswirtschaft von 330 Millionen Menschen wie die USA oder für Milliarden von Menschen auf der ganzen Erde am besten ist.
Natürlich würden sie diese Anspielung auf Zauberei übelnehmen und argumentieren, dass sie sich keineswegs auf Hokuspokus verlassen, sondern Theorien und Modelle anwenden, die hoch mathematisch und genauso zuverlässig wie die Gleichungen der Physik oder der Ingenieurswissenschaften sind. Das Problem ist nur, dass sich diese Modelle als unglaublich nutzlos für die Vorhersage künftiger Entwicklungen erwiesen haben. Die mit Hilfe dieser Modelle beschriebenen Zukunftsszenarien sind ausnahmslos nicht eingetroffen.